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Gesundheit

Kürzungen im Gesundheitswesen sind tödlich. Buchstäblich.

Das Coronavirus zeigt, wie teuer und gefährlich es ist, im Gesundheitswesen zu sparen.

Das öffentliche Gesundheitssystem steht seit Jahren unter Beschuss. Die vorherrschende neoliberale Lehre der Wirtschaft empfiehlt, staatliche Leistungen zu kürzen. Wer genug Geld hat, soll privat bezahlen. Der Rest? Hat Pech. Jetzt zeigt sich, welche Probleme dadurch entstehen – und was passieren könnte, wenn nach der Corona-Krise weiter gekürzt wird.

„Überzählige Spitalsbetten“ würden in Österreich 4,75 Milliarden Euro kosten, empört sich NEOS-Gesundheitssprecher Gerald Loacker im Dezember 2015. Damit würde in den Krankenhäusern „Geld von Steuerzahlern in Milliardenhöhe vernichtet“.

Ins gleiche Horn bläst FPÖ-Chef Norbert Hofer. Im Mai 2016 forderte er wörtlich einen „Abbau der Akutbetten“ und auch noch im Juni 2019 kritisiert er laut FPÖ-Webseite: „Österreich leistet sich im stationären Bereich etwa doppelt so viele Akutbetten pro 1000 Einwohner wie der EU-Schnitt“.

Wie aus solchen Forderungen Taten werden, zeigt die Salzburger Landesregierung. Der „Abbau von Überkapazitäten bei Akutbetten“ steht wörtlich im aktuellen Koalitionsvertrag von ÖVP, Grünen und Neos, die in Salzburg seit 2018 eine gemeinsame Regierung bilden.

Und diese Pläne sollten dann auch umgesetzt werden: Die Anzahl der Akutbetten in den Salzburger Spitälern solle von 3129 auf 2904 reduziert werden, berichtet salzburg24 im Mai 2019. Damit würde es zu einer „enormen Leistungsverdichtung“ kommen, sagt Landeshauptmann-Stellvertreter Christian Stöckl von der ÖVP. Das Salzburger Krankenhaus Tamsweg verlor bereits 2014 alle Akutbetten und die Intensivstation.

Eine Frage von Leben und Tod

Die Frage, welche Ressourcen in den Krankenhäusern zur Verfügung stehen, wird in den nächsten Wochen in vielen Fällen buchstäblich über Leben und Tod entscheiden. Dabei geht es um genug Personal, um Schutzbekleidung, um Platz zur Trennung der PatientInnen, um Beatmungsgeräte und vor allem auch um ausreichende und gut ausgestattete Betten.

Besonders die Intensivbetten sind aktuell wichtig. Das sind Betten, wo es etwa Anschlüsse für Sauerstoff, ein Beatmungsgerät oder eine Monitoringeinheit gibt. Und die Zahl dieser Betten wird zunehmend knapp: Mit Stand 30. März waren laut der Austria Presse Agentur (APA) in ganz Österreich bereits die Hälfte der Intensivbetten belegt. In Salzburg – das von der Corona-Krise später getroffen wurde – sind noch 62 Prozent der Betten frei, in Kärnten 29 Prozent, im Burgenland nur noch 20 Prozent.

Noch problematischer sind die Zahlen, wenn es um die Anzahl der verfügbaren Beatmungsgeräte geht. In ganz Österreich waren laut APA am 27. März nur noch rund ein Drittel der Geräte frei. Auch hier zeigen sich regionale Unterschiede: in Salzburg sind noch 82 Prozent der Geräte verfügbar, in Oberösterreich 70 Prozent. In Wien dagegen gibt es nur noch 19 Prozent freie Beatmungsgeräte, in der Steiermark nur noch 16 Prozent.

Der internationale Vergleich

Im internationalen Vergleich steht Österreich bei den Betten aktuell noch immer überraschend gut da: Die OECD hat vor einigen Tagen eine neue Studie veröffentlicht. Dort wird verglichen, wie es in Zeiten der Corona-Krise mit der Anzahl der Spitalsbetten in unterschiedlichen Ländern aussieht.

Bei den Akutbetten liegt Österreich dabei auf Platz fünf – hinter Japan, Südkorea, Deutschland und Litauen. „Akutbetten sind Betten, die für nicht geplante Aufnahmen bereit gehalten werden“, erklärt mir S., ein Spitalsarzt aus Salzburg. „Der Begriff Akutbetten beschreibt alles mit. Vom einfachen Spitalsbett im 4-Bettzimmer über eigene Betten für SchlaganfallpatientInnen bis zum Intensivbett.“ Laut OECD können darunter etwa auch Betten in der Psychiatrie fallen.

Bei den Intensivbetten liegt Österreich auf Platz zwei hinter Deutschland. Besonders schlecht sieht es hier in Italien und Spanien aus, also den Ländern, die aktuell von der Corona-Krise besonders hart getroffen sind: Während in Österreich 28,9 Intensivbetten für 100.000 Menschen zur Verfügung stehen, sind es in Spanien gerade einmal 9,7 Betten, in Italien 8,6 Betten.

Auch in Österreich wurde gekürzt

Doch auch in Österreich wurden die Akutbetten in Krankenhäusern in den vergangenen Jahren deutlich reduziert. Gab es laut OECD in Österreich im Jahr 1990 noch 8,1 Akutbetten pro 1000 EinwohnerInnen, waren es 2017 nur noch 5,5 Betten.

 

 
In Europa (Österreich, Italien, Spanien und im EU-Durchschnitt) sinkt die Zahl der Akutbetten seit Jahrzehnten. In Südkorea steigt sie.

Bei all diesen Zahlen geht es nicht einfach nur um die Betten selbst, wie Arzt S. erklärt: “Der Punkt ist der Personalabbau, der mit dem Abbau von Betten verbunden ist.” Nach der Anzahl der Betten würde sich der Personalspiegel richten: “Das betrifft insbesondere die Pflege, aber auch Putzpersonal, Küchenpersonal und alle anderen, die im Spital beschäftigt sind”, so der Spitalsarzt.

Woher hier der neoliberale Wind weht, zeigen nicht nur die Aussagen von Neos oder FPÖ, sondern auch Beispiele aus anderen Ländern. Im britischen Gesundheitssystem etwa gab es im Jahr 2010 noch 144.455 Betten, berichtet der Guardian. Im Jahr 2019 waren davon nur noch 127.225 Betten übrig – die rechts-konservativen Regierungen haben damit mehr als zehn Prozent aller Betten gestrichen. Wohlgemerkt: Bei wachsender Bevölkerung. Und die Corona-Fälle in Großbritannien steigen rasant.

Auswählen, wer überleben darf

Eine ähnliche Entwicklung zeigt sich in Schweden, wie der Spiegel berichtet. In Stockholm gibt es nur noch 90 Intensivbetten, im ganzen Land nur 500. Krankenhausmanager Jouko Vanhala kritisiert: „Das sind wirklich wenige im Vergleich zu vielen europäischen Ländern.“ Die Prognosen geben ihm recht: Auf dem Höhepunkt der Corona-Epidemie würden bis zu 1400 Intensivbetten in Schweden benötigt, rechnet die Agentur für Volksgesundheit.

Vanhala erklärt auch den Grund für den Mangel an Betten: In den Neunzigerjahren habe Schweden noch über 4300 Intensivbetten verfügt, dann sei im Gesundheitswesen massiv gekürzt worden. Möglicherweise bleibe den ÄrztInnen irgendwann nur die „Triage“. Es ist ein Begriff aus der Militärmedizin. Er bedeutet, dass ÄrztInnen auswählen, welche Menschen beispielsweise intensiv medizinisch versorgt werden und welche nur noch beim Sterben begleitet werden.

KollegInnen fühlen sich allein gelassen

Die Kolleginnen und Kollegen im Gesundheitswesen stehen derzeit an vorderster Front. Manche fühlen sich dort schlichtweg alleine gelassen. „Die Lage ist nicht mehr tragbar“, sagt mir etwa eine Diplomierte Gesundheits-und Krankenpflegerin aus dem Wiener Krankenhaus Nord. Mehrere Beschäftigte aus diesem Krankenhaus haben jüngst Alarm geschlagen. KollegInnen aus anderen Krankenhäusern in ganz Österreich üben ebenfalls Kritik an vergangenen Kürzungen. Im Kärntner Spittal an der Drau hat nun die Leitung eines Spitals im Privatbesitz brutal zurückgeschlagen.

Der Betriebsratsobmann wurde nach einem besorgten Brief an die MitarbeiterInnen gekündigt. Die Geschäftsführerin und Mit-Eigentümerin des Spitals, Andrea Samonigg-Mahrer, ist ÖVP-Funktionärin und Ehefrau von Harald Mahrer. Der Vertraute von Bundeskanzler Sebastian Kurz ist ÖVP-Präsident der Wirtschaftskammer und Präsident der Nationalbank.

Kürzungen im Gesundheitswesen sind lebensgefährlich

Und das dicke Ende könnte noch kommen. Nach dem Ende der Corona-Krise wird sich unweigerlich die Frage stellen, wer für die Kosten der Krise bezahlen wird. Und da könnte auch der öffentliche Sektor massiv unter Druck kommen. So hat etwa Bernhard Wurzer, Generaldirektor der neuen schwarz-blauen Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) und Ex-ÖVP-Stadtrat in St. Pölten, bereits im Februar verkündet, dass die ÖGK „den Gürtel enger schnallen“ und ausgabenseitig kürzen wolle.

Doch der Salzburger Spitalsarzt S. warnt vor Kürzungen: “Man muss einfach eine gewisse Infrastruktur quasi auf Vorrat halten. Du kannst so ein System im Bedarfsfall nicht innerhalb einer Stunde hochfahren. Jetzt wird das ja für alle Menschen offensichtlich.”

Die aktuelle Corona-Krise sollte uns in aller Eindringlichkeit zeigen, was es bedeuten kann, wenn im Gesundheitsbereich gekürzt wird. Hier geht es um Menschenleben. Buchstäblich.

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