Parlagram: So streitet der Nationalrat um Vermögenssteuern
Um Vermögenssteuer und Erbschaftssteuer wird mal mehr mal weniger heiß gestritten. Heiß wurde es im Jahr 1993: In dem Jahr nahmen die Parlamentarier das Wort 113-mal in den Mund. Damals schaffte der Nationalrat im Zuge einer Steuerreform die Vermögenssteuer ab. Kanzler war Franz Vranitzky, der Finanzminister hieß Ferdinand Lacina, beide SPÖ. Dass ausgerechnet die Sozialdemokraten die Vermögenssteuer abdrehten, ist aus heutiger Sicht bemerkenswert. Sind sie es doch, die heute fordern, große Vermögen wieder zu besteuern.
„Mich haben damals Industrielle gefragt: Warum schaffen Sozialisten die Vermögenssteuer ab?“, sagt Otto Farny, langjähriger Leiter der Abteilung Steuerpolitik der Arbeiterkammer, heute zu Moment. Farny konnte darauf nur mit einem Schulterzucken antworten. „Ich weiß es nicht, habe ich zu denen gesagt.“ Der Hintergrund dafür, dass der rote Kanzler und sein roter Finanzminister damals dafür eintraten, die Steuer auf Vermögen abzuschaffen, war dennoch ein handfester.
„Lacina hat gesehen, dass verstaatlichte Betriebe wie die VOEST schwer defizitär waren. Dennoch musste das Unternehmen Vermögenssteuer zahlen“, erinnert sich Farny. Für Lacina war das ein Unding – und das ist es bis heute. Noch 2014 sagte der damalige Finanzminister der Presse, die Steuer „war absolut sinnlos.“ Lacina fügte aber im gleichen Interview an: „Es war mit der ÖVP damals vereinbart, andere Formen von Vermögen zu besteuern.“ Grundsteuer und Erbschaftssteuer hätten reformiert werden sollen. „Aber wie das mit anderen Vereinbarungen mit der ÖVP auch so war, hat es nicht gehalten“, sagte Lacina.
Wer damals gesagt hätte, ich bin weiter für die Vermögenssteuer, wäre psychiatriert worden.
Otto Farny, Arbeiterkammer
Widerstand aus den eigenen Reihen der SPÖ sei damals nicht aufgekommen, sagt Otto Farny. „Es gab keine Diskussion bei den Sozialdemokraten. Es wurde abgeschafft und damit war es das. Ich habe Gift und Galle gespuckt“, sagt der Steuerexperte. Farny erklärt es sich auch aus dem Geist der Zeit heraus: „Der Ostblock war zusammengebrochen, niemand wollte mehr Sozialist sein. Wer damals gesagt hätte, ich bin weiter für die Vermögenssteuer und sehe die Börsen kritisch, wäre psychiatriert worden“, so Farny.
Die Vermögenssteuer abzuschaffen, wurde in der Sitzung am 11. und 12. November 1993 beschlossen. Einige SPÖ-Abgeordnete hatten damit aber offenbar doch Schmerzen. Der damalige SPÖ-Abgeordnete und spätere Nationalbank-Governeur Ewald Nowotny forderte, dass Vermögende „zumindest einen gewissen steuerlichen Beitrag zur Finanzierung öffentlicher Leistungen“ einbringen sollten. „Weil ja sonst die Gefahr besteht, daß sich die Steuerlast langfristig immer stärker eben nur in Richtung Lohnsteuerpflichtige und Konsumenten verschiebt“, ist in den Protokollen zu lesen. Es gehe dabei „nicht um die kleinen Vermögen, es geht nicht um die Eigentumswohnung, es geht nicht um das Einfamilienhaus“, betonte Nowotny.
Das Gegenteil träfe zu, sagte der ÖVP-Abgeordnete Josef Straßberger. Familien, „die ihr ganzes Leben fleißig gespart und gerackert haben, um sich ein Einfamilienhaus zu bauen“, seien vermögenssteuerpflichtig geworden. „Auf einmal waren diese Personen wegen ihres Grundbesitzes vermögend“, so Straßberger. Die Vermögenssteuer abgeschafft zu haben, sei „auch für diese Bevölkerungsgruppe ein großes Entgegenkommen“.
Das kann nicht der sozialdemokratische Weg sein, das kann nicht ihre Idee von Umverteilung sein.
Monika Langthaler, Grüne, 1993 im Nationalrat
Die Argumente klingen vertraut. Sie werden so bis heute vorgetragen. Abgeordnete von FPÖ und Liberalem Forum begrüßten es im Jahr 1993, die Vermögenssteuer abzuschaffen. Nur die Grünen protestierten. Ohne die Steuer „wird das Vermögen tendenziell steuerlich kaum mehr erfasst“, sagte die Abgeordnete Monika Langthaler. Und der SPÖ richtete sie aus: „Das kann doch nicht der sozialdemokratische Weg sein, das kann doch nicht ihre Idee von Umverteilung sein.“
Doch die Vermögenssteuer – in den Protokollen wird sie übrigens, wie die Erbschaftssteuer, mal mit und mal ohne Fugen-S geschrieben – verschwand, einen Ersatz gab es nicht. Der Anteil vermögensbasierter Steuern in Österreich sank rapide: Trugen sie 1993 noch 1,1 Prozent zum BIP bei, waren es im Jahr darauf schon nur noch 0,65 Prozent. Heute sind es knapp über 0,5 Prozent. Zum Vergleich: Im Schnitt aller Länder der OECD steuern Abgaben auf Vermögen 1,9 Prozent zum BIP bei. Der Anteil von von Lohn- und Verbrauchssteuern am BIP blieb in Österreich dagegen im gleichen Zeitraum annähernd gleich hoch.
Vermögenssteuern? Null mal erwähnt im Jahr 2002
Von Ende der 90er Jahre bis Ende der 2000er Jahre waren Steuern auf Vermögen kaum ein Thema im Parlament. Im Jahr 2002 – die erste schwarz-blaue Regierung zerbrach, ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel gewann vorgezogene Neuwahlen – fielen beide Begriffe kein einziges Mal. Dann kam das Jahr 2007. Plötzlich erlebte die Erbschaftssteuer eine Renaissance in den PLenardebatten. 113-mal fiel das Wort im Nationalrat. War war passiert?
Im März kippte der Verfassungsgerichtshof die Steuer. Genauer: Er setzte sie aus und forderte die Parteien auf, sie bis zum Juli des darauffolgenden Jahres zu reparieren. „Denn nicht die Steuer an sich war verfassungswidrig“, erläutert Otto Farny, „sondern das System der Einheitswerte“. Dieses Register, festgelegt in den 70er Jahren, bildet die Basis dafür, den Wert von Grundstücksvermögen zu taxieren. Das Problem: „Die Grundstückslandschaft hat sich seitdem radikal verändert“, sagt Farny. Die Werte bildeten schlichtweg nicht mehr die Realität ab und sorgten so für Steuerungerechtigkeit. Aus Farnys Sicht war das ein Versäumnis der Schwarzen: „Die ÖVP hatte 30 Jahre lang verhindert, dass es eine Anpassung der Einheitswerte gab.“
Der ÖVP war es äußerst recht, dass die Erbschaftssteuer auslief.
Hubert Sickinger, Politikwissenschaftler zur Debatte 2007
Der Nationalrat war gefordert. Für die ÖVP war die Lösung klar. „Für uns von der Volkspartei ist die beste Korrektur der Erbschaftssteuer, sie überhaupt abzuschaffen“, sagte Günther Stummvoll in der Parlamentssitzung am 7. März, dem Tag des VfGH-Spruchs. „Der ÖVP war es äußerst recht, dass ohne diese Reparatur die Erbschaftssteuer auslief und war daher nicht für eine Gesetzesanpassung bereit“, sagt der Politikwissenschaftler und Parteienexperte Hubert Sickinger zu Moment.
Der damalige Finanzstaatssekretär Christoph Matznetter von der SPÖ wollte die Steuer beibehalten. „Wir werden gemeinsam in der Regierung arbeiten, eine vernünftige Lösung zu finden“, sagte er und wiederholte, was Ewald Nowotny 14 Jahre zuvor in der Debatte um die Vermögenssteuer so ähnlich sagte: „Der ‚kleine‘ Häuselbauer, der sein Einfamilienhaus vererbt, der eine Eigentumswohnung hat, das Auto von der Mutter erbt, der soll möglichst draußen sein, den wollen wir freistellen“, so Matznetter.
Kritik daran, die Steuer einfach auslaufen zu lassen, kam vom Grünen-Abgeordneten und heutigen Parteivorsitzenden Werner Kogler: „Es kann nicht sein, dass wir das einzige Land in Europa sind, das sagt: schnöde Erbschaftssteuer!“ Derzeit steht er kurz davor, Koalitionsverhanbdlungen mit der ÖVP aufzunehmen. In der Debatte 2007 forderte er, die Erbschaftssteuer beizubehalten. Sein Vorschlag: „Bei den Kleinen großzügigere Freibeträge„, so Kogler, „aber ab einer bestimmten Höhe muss das stärker greifen als jetzt“.
Doch: Die Steuer wurde nicht repariert, sie lief aus. „ÖVP und FPÖ waren gegen die Steuer und das blieb bis heute so“, sagt Hubert Sickinger. „Der SPÖ blieb nichts anderes übrig, als dies hinzunehmen. Die ÖVP war in einer komfortablen Vetoposition“, sagt er. Unterm Strich stand jedoch: Erneut wurde unter einem SPÖ-Bundeskanzler, diesmal Alfred Gusenbauer, eine Steuer abgeschafft, die Reiche betrifft. Verkehrte Welt in Österreich. AK-Experte Otto Farny zur Rolle des damaligen Kanzlers: „Gusenbauer wollte keinen Wirbel und hat gar nicht versucht, eine reformierte Erbschaftssteuer in Kraft zu setzen.“
Wenn diese Schieflage über längere Zeit besteht, dann gibt es eine Umverteilung in die falsche Richtung.
Andreas Schieder, SPÖ, 2014 im Parlament
Verkehrte Welt auch sieben Jahre später: Im Juni 2014 zitierte der damalige ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka im Nationalrat zwei ehemalige SPÖ-Kanzler – Gusenbauer und Franz Vranitzky, unter dem 1993 die Vermögenssteuern abgeschafft wurde -, um zu untermauern, dass seine Partei Vermögenssteuern weiterhin ablehnt. Tenor: Wenn sogar SPÖ-Granden dagegen sind, große Vermögen zu besteuern, warum soll sich dann die ÖVP bewegen. Kanzler in einer rot-schwarzen Koalition war damals Werner Faymann von der SPÖ.
Als Reaktion auf die Wirtschaftskrise 2009, hatte seine Partei ihre Position zur Vermögenssteuer überdacht. Seit dem Krisenjahr wurde im Nationalrat wieder mehr über die Vermögenssteuer diskutiert. Im Jahr 2014 fiel das Wort in den Debatten des Nationalrats 126-mal, wie das Parlagram zeigt. Allein in der Sitzung am 12. und 13. Juni wurde die Vermögenssteuer 48-mal erwähnt, wie aus dem stenograpfischen Protokoll hervorgeht.
„Die Steuern und Abgaben auf Arbeit sind einfach zu hoch, auch im internationalen Vergleich“, sagte der SPÖ-Abgeordnete Jan Krainer, „und auf Vermögen und Kapital im internationalen Vergleich viel zu niedrig und viel niedriger als in allen anderen Ländern“. Er verwies darauf, dass Organisationen wie OECD, IWF und EU-Kommission von Österreich schon damals forderten, vermögensbasierte Steuern zu erhöhen, Steuern und Abgaben auf Arbeit dagegen zu senken. „Das ist keine ideologische Frage, das ist ganz pragmatisch“, so Krainer. Parteikollege Andreas Schieder sagte: „Wenn diese Schieflage über längere Zeit besteht, dann gibt es eine Umverteilung in die falsche Richtung, nämlich von den ärmeren Schichten hin zu den reicheren Schichten.“
Der damalige Grünen-Abgeordnete Bruno Rossmann verwies ebenfalls auf die Forderungen von EU-Kommission und Co. nach höheren Vermögenssteuern. „Nur wird das von der ÖVP regelmäßig ignoriert, ebenso natürlich wie von der SPÖ“, sagte er damals. Die Sozialdemokraten würden zwar immer von Besteuerung von Vermögen reden, setzten das aber in Wirklichkeit nicht durch. Hitzig stritten die Parlamentarier an diesem Tag, es gab zahlreiche Zwischenrufe. „Das ist Kommunismus, was Sie predigen! Das ist Raub an der Bevölkerung, an den Häuselbauern!“, rief Christoph Hagen, damals Abgeordneter des Team Stronach, während Rossmanns Rede.
„Wenn jemand über Vermögensteuern reden will, dann kann ich nur sagen: Danke, wir haben schon gespendet!“, sagte der ÖVP-Abgeordnete und Bauernbündler Hermann Schultes. Er verwies auf die Grundsteuer für Landbesitz, die eine „Vermögensteuer auf Grund und Boden“ sei. Am selben Tag nahm eine „Steuerreformkommission“, besetzt mit von SPÖ und ÖVP bestellten Experten, darunter auch Otto Farny, ihre Arbeit auf. Die ÖVP-Abgeordnete Gabriele Tamandl sagte zuvor noch: „Wir haben die Vermögenssteuer 1993 zu Recht abgeschafft!“ Auch die Erbschaftssteuer habe man zu Recht auslaufen lassen. Dass es so bleibe, „dafür werden wir in dieser Expertenkommission eintreten“. Verhärtete Fronten im Parlament!
Meine Damen und Herren! Nicht dabei ist die Erbschaftssteuer, nicht dabei ist die Vermögensteuer.
ÖVP-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, 2015 im Nationalrat
Und so kam es. Die Kommission erarbeitete einen Bericht für eine Steuerstrukturreform. Im 10. und letzten Kapitel ging es dabei um vermögensbezogene Abgaben. Die Experten tauschten darin die spätestens seit 1993 bekannten Argumente für und gegen vermögensbasierte Steuern aus. Im Frühjahr darauf war die Steuerreform der von Werner Faymann geführten Regierung fertig. Der SPÖ-Kanzler stellte am 25. März 2015 im Nationalrat fest, „dass die Lohn- und Einkommensteuer bei uns zu hoch und vermögensbezogene andere Steuern niedriger als in anderen Ländern sind“.
Zumindest für den ersten Teil präsentierte er eine Lösung: „Daher haben wir dort, wo wir zu hohe Steuern haben – nämlich bei den Lohn- und Einkommensteuern –, eine Senkung vorgenommen“, sagte Faymann. Um das gegenzufinanzieren und Steuerbetrug zu einzudämmen, wurde das Bankgeheimnis abgeschafft und die Registrierkassenpflicht eingeführt. Die Steuern auf Dividenden und Spekulationsgewinne wurden erhöht. Maßnahmen, die Vermögende treffen und ein Punktgewinn für die SPÖ. Aber: Das Wort Vermögenssteuer erwähnte Faymann nicht mehr. Das übernahm der damalige ÖVP-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner: „Meine Damen und Herren! Nicht dabei ist die Erbschaftssteuer, nicht dabei ist die Vermögensteuer, nicht dabei ist die Schenkungssteuer“, verkündete er. Es klang triumphierend.
Vermögens- und Erbschaftssteuer spielen seitdem in den Debatten des Nationalrats kaum mehr eine Rolle. An den Zahlen hat sich aber nichts geändert: Das reichste Prozent besitzt in Österreich rund 40 Prozent des Nettovermögens, das ist mehr als die ärmeren 90 Prozent der Bevölkerung zusammen haben. In Österreich herrsche eine „bemerkenswerte Ungleichverteilung der Vermögen“, kritisierte erst jüngst die EU-Kommission und forderte Österreich erneut auf, Vermögen stärker zu besteuern.
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