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Gesundheit

Was passiert in der Corona-Krise mit der Gesellschaft, Barbara Prainsack?

Das Coronavirus wirft viele Fragen über unsere Gesellschaft auf. Barbara Präinsack gehört zu den SozialwissenschafterInnen, die die Auswirkungen und Antworten untersuchen.

Was macht die Pandemie mit uns? Was motiviert die Menschen, die Anweisungen von Regierungen zu befolgen oder zu ignorieren? Und wem vertraut die Bevölkerung und warum? Das Coronavirus wirft viele solcher Fragen auf.

Die Versuche von SozialwissenschaftlerInnen, diese Fragen mittels Umfragen und Interviews zu beantworten, laufen bereits seit einigen Wochen. Barbara Prainsack, Politikwissenschaftlerin an der Uni Wien, ist an zwei Studien in leitender Funktion beteiligt. Vergangene Woche hat sie im Rahmen der „Wiener Vorlesungen“ auch vorläufige Ergebnisse aus einer der beiden vorgestellt. Im MOMENT-Interview erklärt sie, warum diesmal alles schnell gehen muss, warum uns die Krise nicht alle gleich trifft und warum der Begriff „Risikogruppe“ problematisch ist.

MOMENT: Die Sozialwissenschaft meldet sich oft gerne erst zu Themen, wenn schon wieder alles vorbei ist. Eure Studien passieren gerade quasi live. Warum? 

Barbara Prainsack: Erstmal möchte ich sagen, dass es uns nur aufgrund des riesigen Einsatzes von vielen Menschen möglich ist, die Daten der Corona-Panelstudie so schnell zu analysieren. Wir möchten die Ergebnisse zum einen deshalb sofort online stellen, weil sich aktuell so viel verändert, fast im Wochenrhythmus. Und wir möchten auch Hilfestellung für die Politikgestaltung bieten. Wir PolitologInnen beschweren uns ja oft darüber, dass die Politik nicht evidenzbasiert sei. Deshalb ist es wichtig, diese Evidenz auch zur Verfügung zu stellen. Wir sind aber keine PolitikberaterInnen – wir sind ein wissenschaftliches Projekt und die Fragestellungen werden von uns unabhängig und nach wissenschaftlichen Kriterien ausgearbeitet und analysiert. Aber wir publizieren unsere Ergebnisse sofort, das ist eher ungewöhnlich. 

Es gibt eine Studie in Österreich und eine andere in mehreren Ländern? Hab ich das richtig verstanden?

Genau. Bei der quantitativen Panelstudie befragen wir online 1500 ÖsterreicherInnen in derzeit wöchentlichen Intervallen zu sehr unterschiedlichen Themen. Da veröffentlichen wir fast jeden Tag neue Ergebnisse. Daneben gibt es noch eine qualitative Studie in neun Ländern, darunter Deutschland, Österreich und die Schweiz, aber auch Belgien, Italien und das Vereinigte Königreich. Dort führen wir Tiefeninterviews mit Menschen. Die erste Welle im April, und eine zweite Welle dann im Spätherbst, um Veränderungen erfassen zu können. Der Gedanke dahinter war: Wir befinden uns in einer neuen Situation, wo wir alle im Dunkeln tappen. Da wird es viele Aspekte geben, die noch gar nicht am Radar der Wissenschaft und der Politik sind. Es macht in so einer Situation wenig Sinn, nur quantitativ zu arbeiten, weil wir da nur Dinge abfragen können, von denen wir schon einiges wissen. Unsere qualitative Studie versucht ergänzend dazu Dinge zu erfahren, die Wissenschaft und Politik vielleicht noch gar nicht mit Pandemien in Zusammenhang bringen, die aber für die Menschen wichtig sind – wie zum Beispiel neue Formen der Technologienutzung, oder neue Ungleichheiten, die dadurch entstehen. Die beiden Studien sind formal getrennt, aber die Ergebnisse der jeweiligen Studien bereichern einander natürlich.  

Gibt es dafür ein konkretes Beispiel? 

Wir sehen in der Panelstudie, dass Menschen, die ihr eigenes Risiko an Corona zu erkranken gering einschätzen, zu Beginn der Krise gleich selten aus dem Haus gingen wie Leute, die es hoch einschätzen. Wir wissen aber nicht, warum sie das tun – zum Schutz anderer Menschen oder aus Angst vor Bestrafung. Diese Zusammenhänge kann man dann mit qualitativen Daten näher erforschen. In unseren Interviews bitten wir die Menschen, von selbst zu erzählen, was sie konkret tun, und warum und nähern uns den kausalen Zusammenhängen. Wir haben dafür in Österreich bereits 70 Interviews geführt, es werden noch mehr dazu kommen. Ab Anfang Mai gehen wir dann in die vertiefende Auswertung, auch ein Ländervergleich wird dann möglich sein. Solche Interviewstudien geben uns auch die Möglichkeit, die quantitative Forschung zu erweitern. Wir hören zum Beispiel in den Interviews in Österreich, dass sich manche Arbeitgeber staatliche Hilfen „erschwindeln“: Menschen werden beispielsweise arbeitslos gemeldet, sollen aber weiter arbeiten. Die Panelstudie kann uns dann Hinweise darauf geben, wie weit sowas verbreitet ist. 

Dann trennen wir das mal sauber. Was sind vorläufige Ergebnisse der Interviewstudie, die herausstechen?

Drei der bisherigen Ergebnisse aus Österreich sind besonders interessant. Wir sehen, dass die Kommunikation über die „Risikogruppen“ problematisch war. Unsere InterviewpartnerInnen haben uns von älteren Menschen erzählt, die sich kurz vor den Maßnahmen besonders riskantem Verhalten ausgesetzt haben. Sie sind zum Beispiel schnell noch einmal Schifahren gegangen oder zu Veranstaltungen. Nicht aus Rücksichtslosigkeit, sondern um zu signalisieren: Ich gehöre nicht zur Risikogruppe, ich bin fit. Und dann haben wir von Menschen gehört, die sich zwar klar als zur Risikogruppe gehörend fühlen, das aber als sehr stigmatisierend empfinden – sie schämen sich dafür. Du gehörst dann zu der Gruppe, für die die anderen Opfer bringen müssen. Der Opfer-Diskurs kommt häufig auf, Österreich ist ja in manchen Teilen immer noch ein sehr katholisches Land. Darin steckt glaube ich eine wichtige Nachricht an die Politik: Man muss aufpassen, wie man Risikogruppen definiert und kommuniziert, auch welche Worte man verwendet. Man kann da schnell Konsequenzen auslösen, die man gar nicht haben will. 

Was waren die anderen beiden?

Wir haben in der Bevölkerung eine relativ große Ablehnung der Idee der Überwachung über Apps gefunden. Verpflichtete Überwachung geht für die Menschen nicht mit der Freiheit zusammen. Gleichzeitig befürworten viele Menschen, die beim Thema Apps sagen „Die Österreicher wollen nichts Verpflichtendes“, die Verpflichtung bei den Ausgangsbeschränkungen. Wir interpretieren das so, dass Pflicht dann ein Problem wird, wenn es um Eingriffe in die Privatsphäre geht. Eine dritte Erkenntnis: Die Idee von „Immunitätspässen“, also mehr Rechte für Menschen, die die Krankheit bereits hinter sich haben, wird als sehr problematisch empfunden. Jeder, mit dem wir gesprochen haben, empfindet das als diskriminierend – auf verschiedenen Ebenen. Es gibt auch eine Angst vor „Corona-Partys“, also dass sich Menschen, die ihr wirtschaftliches Risiko höher einschätzen als ihr gesundheitliches, bewusst anstecken könnten, wenn sie sonst nicht reisen oder nicht arbeiten dürfen. 

Und was waren wichtige Erkenntnisse der Panelstudie?

Zentral ist, dass wir zwar alle von Corona betroffen sind, aber nicht gleich. Menschen mit niedrigeren Einkommen sind beispielsweise von den Gefahren des Arbeitsplatzverlustes und anderen negativen Auswirkungen deutlich stärker betroffen. Die Menschen sind in ihrer eigenen Einschätzung pessimistisch, nur ein Viertel der Haushalte erwartet sich eine Verbesserung der finanziellen Situation. Die Lebenszufriedenheit der Menschen hat durch die Krise deutlich abgenommen. Und der Zusammenhalt in der Gesellschaft nimmt ab: Der Anteil der Menschen, die einen höheren Zusammenhalt in der Gesellschaft wahrnehmen, nimmt seit Beginn der Krise ab. 

Wie stehen die Menschen zu den verhängten Maßnahmen?

Wir sehen, dass die Zufriedenheit mit der Regierung mit zwei Drittel relativ konstant bleibt, aber die Menschen gleichzeitig immer mehr die Wohnung auch für Sport oder aus Langeweile verlassen. Warum das so ist, wird uns hoffentlich die qualitative Forschung besser sagen. Zusätzlich zeigt sich – und das sind die ganz neuen Ergebnisse –, dass die Zahl derer, die Gesundheit immer über die wirtschaftlichen Interessen stellen wollen, abnimmt. Die Zahl ist immer noch hoch, sie sank zwischen Ende März und jetzt von 60 auf 50 Prozent. Natürlich kann man das nicht strikt trennen, Angst vor Arbeitslosigkeit und Einkommenseinbußen haben ja auch gesundheitliche Auswirkungen. Aber da ist eine Veränderung festzustellen. Das merken wir übriges auch in den Interviews.

Barbara Prainsack ist Teil des wissenschaftlichten Beirats des Momentum Instituts.

 

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