Häusliche Gewalt: Was die Zahlen nicht sagen
Am Anfang der Corona-Krise und des Lockdowns im April befürchteten ExpertInnen einen dramatischen Anstieg bei Fällen von häuslicher Gewalt. Was sagen die Zahlen?
Aber wie aussagekräftig sind diese Zahlen überhaupt?
„Wie mit den Zahlen umgegangen wird, ist teilweise unseriös“, sagt Andrea Brem, Geschäftsführerin der Wiener Frauenhäuser. Sie gibt zu bedenken, dass sich die Zählweise von Betretungsverboten Anfang des Jahres geändert hat. „Wir bräuchten einen bereinigten 5-Jahresvergleich für die relevanten Monate. Sonst hat das kaum Aussagekraft. Wir sehen zumindest, dass es im Vergleich zum Vorjahr bisher viel weniger Morde an Frauen gegeben hat. Das ist doch eine gute Nachricht.“ In den Wiener Frauenhäusern gab es keinen besonderen Andrang.
Dunkelziffer ist immer hoch
Obfrau des Vereins Autonomer Frauenhäuser (AÖF) Maria Rösslhumer sieht das anders. „Ich finde, eine Steigerung von 22 Prozent ist nicht harmlos. Wir gehen davon aus, dass Betroffene vor allem während des Lockdowns vermehrt unter Beobachtung standen und weniger sich getraut haben, sich zu trennen. Dazu kommen finanzielle Probleme durch die Krise, die Opfer von Gewalt abhängiger machen.“
Außerdem geht es bei diesen Zahlen um ausgesprochene Annäherungs- und Betretungsverbote. Wie oft es zu Gewalt kam, bleibt unbekannt. Die offiziellen Zahlen würden immer nur einen Ausschnitt zeigen, sagt Rösslhumer. „Es gibt eine hohe Dunkelziffer.“
War der Lockdown ein Grund eher schneller oder zögerlicher zur Polizei zu gehen? Sich eher öfter oder seltener zu trennen? Sprechen PolizistInnen in der Krise schneller Betretungsverbote aus oder überlegen sie länger? Die Daten für eine fundierte Antwort fehlen.
Positiv sieht Rösslhumer, wie durch Kampagnen am Anfang der Corona-Krise die Bekanntheit der Frauenhelpline gesteigert haben. Sie verzeichne um 38 Prozent mehr Anrufe als noch vor der Krise.
Eine Anfrage von MOMENT an das Innenministerium wurde vor Redaktionsschluss nicht beantwortet.
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