Windeln fürs dritte Kind kosten nichts? Der gefährliche Irrtum der Claudia Plakolm
Integrationsministerin Claudia Plakolm sorgte kürzlich mit einer Aussage für heftige Diskussionen: Großfamilien sollen künftig weniger Familienzuschüsse erhalten. Sie argumentiert: Die sogenannten “Startausgaben” stiegen ja ab dem zweiten oder dritten Kind kaum noch. Eine bemerkenswerte These, die vor allem eines offenbart: Die Lebensrealität von Familien scheint der Ministerin weitgehend unbekannt zu sein.
Das könnte dir auch interessieren
Kinder sind nicht einfach eine ökonomische Einheit, deren Kosten sich mit jedem weiteren Mitglied linear verringern. Es stimmt, dass Möbel, Kleidung und Spielsachen häufig weitergereicht werden können. Aber der Alltag einer Familie besteht nicht nur aus Kinderwagen und Bettchen. Die laufenden Ausgaben für Lebensmittel, Hygieneprodukte, Bildungsbedarf und medizinische Versorgung wachsen selbstverständlich mit jedem weiteren Kind. Wer je versucht hat, den monatlichen Einkauf einer fünfköpfigen Familie zu organisieren, weiß, dass die Mathematik von Plakolm nicht aufgeht.
Es sei doch normal, meint die Ministerin, “gebrauchte Sachen zu verwenden und ein bisschen aufs Geld zu schauen.” Natürlich ist es normal und oft notwendig, sparsam zu leben und Gebrauchtes weiterzuverwenden. Niemand weiß das besser, als Eltern von Mehrkind-Familien. Eltern wie diese brauchen keine Spartipps, sondern wirksame Sozialpolitik. Die Politik bagatellisiert strukturelle Armut auf diese Weise, ignoriert nicht nur reale Notlagen, sondern macht Armut zur Tugend.
Populismus statt wichtiger Debatte
Diese Haltung spiegelt nicht nur einen dramatischen Mangel an Empathie wider, sondern sie bedient zugleich ein populistisches Ressentiment gegen jene, die in unserer Gesellschaft ohnehin schon benachteiligt werden. Indem Großfamilien, insbesondere jene mit Migrationshintergrund, öffentlichkeitswirksam ins Visier genommen werden, suggeriert die Ministerin, dass diese Familien eine Belastung für die Gesellschaft darstellen würden. Sie entzieht damit gleichzeitig die Grundlage der wichtigen Debatte über Armutsbekämpfung und Chancengleichheit.
Politiker:innen wie Plakolm, die Sozialabbau vorantreiben wollen, argumentieren gerne, dass üppige Sozialhilfe für Großfamilien falsche Anreize schaffe. Doch Daten und internationale Erfahrungen widersprechen dem. Ein Blick nach Großbritannien zeigt, wie kontraproduktiv Kürzungen für kinderreiche Familien sind. Dort wurde 2017 eine Obergrenze eingeführt, die Sozialleistungen auf die ersten zwei Kinder beschränkt. Das Ergebnis: Kinderarmut explodierte.
Abschreckende Vorbilder für Claudia Plakolm
Expert:innen sehen diese Zwei-Kinder-Regel inzwischen als “Haupttreiber” der steigenden Kinderarmut im Vereinigten Königreich. Mindestens 10.000 zusätzliche Kinder wurden allein in den vergangenen Jahren direkt durch diese Kürzung in Armut gedrückt. Wohlfahrtsverbände und sogar parteiübergreifend fordern Politiker:innen daher die Abschaffung dieser Regelung. Studien zeigen, dass ein Ende des Zwei-Kinder-Limits hunderttausende Kinder aus der Armut holen würde – mit langfristig positiven Effekten auch für Gesellschaft und Wirtschaft. Kürzungen bei Familienleistungen mögen populistisch Punkte bringen, lösen aber kein Problem, sondern verschärfen die Not von Kindern.
Plakolms Vorstoß reiht sich ein in eine problematische Tradition politischer Kommunikation. Die Schwächsten der Gesellschaft werden gegeneinander ausgespielt, um Budgetkürzungen und Sparmaßnahmen moralisch zu rechtfertigen. Familienpolitik darf nicht zum Werkzeug politischer Polarisierung werden. Sie muss vielmehr daran gemessen werden, wie gut sie den sozialen Zusammenhalt stärkt und Kindern unabhängig von ihrer familiären Herkunft echte Chancen bietet.
Welche Gesellschaft wollen wir sein?
Die österreichische Politik täte gut daran, den Fokus darauf zu legen, wie sozialer Ausgleich nachhaltig gestaltet werden kann, statt populistische Stimmungsmache zu betreiben.
Familienpolitik ist eben kein buchhalterischer Vorgang, sondern der Ausdruck dessen, welche Art von Gesellschaft wir sein wollen. Eine solidarische Gesellschaft, in der Kinder nicht als Belastung, sondern als Gewinn betrachtet werden – ganz unabhängig davon, ob sie das erste, dritte oder fünfte Kind einer Familie sind.
Das könnte dir auch gefallen
- Bürgergeld-Studie in Deutschland: So wird endlich einmal richtig über die Sozialhilfe diskutiert
- Privater Reichtum wächst viel schneller als öffentliche Schulden
- Die Macht der Anekdote
- Luxusgut Kinder: Warum Kinderkriegen kein Privileg der Reichen ist
- „Wir werden alle einmal sterben“ – Zynismus als Prinzip der Politik
- Wenn Sozialfälle zum Skandal werden
- Das unleistbare Eigenheim: Eigentum nur noch für Erben
- Kinderwahlrecht durch Eltern: Progressiver Anstrich, problematischer Kern