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Die erfundene Insolvenzwelle: Wie Schlagzeilen Politik machen und wem das nützt

Österreichs Medien warnen vor einer "Pleiteflut". Doch eine aktuelle Studie der Nationalbank belegt, die gibts gar nicht. Warum dennoch Panik geschürt wird und wem sie nützt, kommentiert Barbara Blaha.

Seit Jahresbeginn überschlagen sich die Schlagzeilen: “Fast 2.000 Firmenpleiten: Insolvenzwelle rollt durch Österreich”, “So viele Pleiten wie noch nie”, der Boulevard meldet gleich einen “Insolvenz-Tsunami”. Das Bild ist eindeutig: Österreich versinkt angeblich in einer Pleiteflut. Das dicke Ende kommt erst noch, raunen marktliberale Ökonomen im österreichischen Blätterwald düster. 

Nur stimmt das so nicht. Eine aktuelle Studie der Österreichischen Nationalbank zeigt: Gemessen an gesamten Zahl von Unternehmen ist die Insolvenzrate erstaunlich stabil. Sie liegt seit Jahren bei recht konstant 1 Prozent. Ja, es gibt mehr Insolvenzen als in den Vorjahren, aber es gibt auch mehr Unternehmensgründungen. 

Verzögerte Insolvenzen

Insgesamt ist der Anstieg auch weniger ein Alarmzeichen als eine Rückkehr zur Normalität. In den Corona-Krisenjahren 2020 bis 2022 verhinderten massive staatliche Hilfsmaßnahmen von der Kurzarbeit über die Fixkostenzuschüsse bis hin zu Kreditgarantien viele Insolvenzen.

Firmen, die unter normalen Bedingungen schon früher vom Markt verschwunden wären, wurden auf diese Weise künstlich am Leben gehalten. Manche Insolvenzen, die jetzt registriert werden, sind also bloß aufgeschobene Fälle. Die aktuelle Zunahme der Firmenpleiten ist deshalb weniger ein Zeichen akuter wirtschaftlicher Schwäche als vielmehr eine Marktbereinigung nach den Ausnahmejahren.

Kaum große Pleiten

Entscheidend ist außerdem, welche Unternehmen betroffen sind. Die allermeisten Insolvenzen betreffen Kleinstbetriebe mit weniger als 10 Angestellten. Im Verhältnis zur Gesamtbeschäftigung sind die Auswirkungen der Firmenpleiten also verschwindend gering. Das betont auch die Nationalbank. Die absolute Zahl der Firmenpleiten ist wenig aussagekräftig, wenn man ihre ökonomische Relevanz nicht mitdenkt.

Dazu kommt: Insolvenzen sind nicht nur Ausdruck von Scheitern, sondern auch ein notwendiger Teil von Erneuerung und Strukturwandel. Dass eine Firma den Markt verlässt, schafft Raum für andere und kann Ressourcen dorthin lenken, wo sie produktiver eingesetzt werden.

Insolvenz als Ausweg für Unternehmer:innen

Auch die Praxis der Insolvenzverfahren selbst steht im Fokus der Studie: Sie sind nicht neutral. Unternehmen können Ausstiege so timen, dass die Eigentümer möglichst ungeschoren davonkommen. Schwächen bei gerichtlicher Durchsetzung oder zersplitterte Gläubigerkoordination begünstigen das. So wird ein Insolvenzverfahren schnell ein Werkzeug, um Verluste auf Gläubiger und letztlich die Öffentlichkeit abzuwälzen. Hinzu kommt, dass die Rechtsform der GmbH oder von Privatstiftungen oft nicht nur zur Unternehmensfinanzierung, sondern als Schutzschild für private Vermögen genutzt wird. Das verzerrt die Fallzahlen zusätzlich.

Das Problem beginnt, wenn diese Zahlen in Schlagzeilen dramatisiert und politisch instrumentalisiert werden. Die Nationalbank warnt sogar explizit vor der Verkürzung auf die einfache Zählung der Insolvenzen. Denn Interessenvertreter nutzen die Erzählung von der großen Pleitewelle, um Krisenszenarien zu zeichnen und Druck auf Politik und Öffentlichkeit auszuüben. Mit dem Schreckensbild lassen sich leichter milliardenschwere Hilfen rechtfertigen: Subventionen, Steuervorteile, Garantien oder Rettungspakete. Ohne ein solches Panikszenario ist es in Zeiten von knappen Budgets und Sparpaketen politisch viel schwerer, weitere Mittel für Unternehmen lockerzumachen.

Dabei sind staatliche Unterstützungen nicht per se falsch. Aber sie müssen so gestaltet sein, dass auch die Allgemeinheit von ihnen profitiert. Andernfalls drohen Verluste sozialisiert und Gewinne privatisiert zu werden. Ein Muster, das wir aus der Bankenkrise ebenso kennen wie bei fossilen Subventionen, die kurzfristig Stabilität versprachen, langfristig aber notwendige Transformation blockierten. 

Förderungen sind wichtig, wenn sie gut gemacht sind

Die OeNB-Studie hält fest: Gut gemachte Förderungen müssen öffentliche Gewinnbeteiligungen, Rückflüsse oder klare Auflagen für Reinvestitionen enthalten. Ohne solche Bedingungen droht eine schlechte Verwendung (“Fehlallokation”) von Ressourcen, die Österreich langfristig schwächt. Wer also reflexartig immer neue Unterstützungen fordert, zementiert womöglich genau jene Strukturen, die Österreichs Wirtschaft langfristig schwächen.

Die nüchterne Wahrheit lautet: Österreich erlebt derzeit keine Insolvenzwelle, sondern den ganz normalen Prozess von Marktein- und -austritten. Insolvenzen sind Teil des Systems, nicht sein Untergang. Wer das Gegenteil behauptet, verfolgt selten das Ziel, die Bevölkerung zu informieren. Es geht um Geld, Macht und politischen Einfluss. Der “Insolvenz-Tsunami”ist weniger eine ökonomische Tatsache als eine politische Strategie.


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