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Und wer regiert uns jetzt?

Österreich ist eine repräsentative Demokratie. Dementsprechend sollte auch das Parlament repräsentativ für die österreichische Bevölkerung sein. Das Momentum Institut hat die Verteilung unter die Lupe genommen und zeigt: Der Großteil ist nicht vertreten.

Der Nationalrat besteht aus 183 Abgeordneten, die Regierung aus dem Bundeskanzler, 13 Minister:innen und sieben Staatssekretär:innen, die ihnen zur Seite stehen. Schaut man auf die Zusammenstellung des Nationalrats, funktioniert die Repräsentation der Bevölkerung zumindest politisch: Die fünf im Nationalrat vertretenen Parteien teilen sich die Sitze entsprechend ihren Wahlergebnissen auf. Vergleicht man jedoch sozioökonomische Faktoren, wie Bildung, Beruf, Alter, Geschlecht, Herkunft und Staatsbürgerschaft, sieht die Sache ganz anders aus. Das zeigt eine Analyse des Momentum Instituts.

Master als Voraussetzung?

​Der Bildungsstand im Nationalrat liegt deutlich über dem Schnitt der Bevölkerung. So haben 56 Prozent der Abgeordneten ein Studium abgeschlossen. In der Bevölkerung sind es hingegen nur 21 Prozent. Aber damit nicht genug: Nur sieben Prozent der Abgeordneten hörten bei ihrem Bachelorabschluss auf. 39 Prozent besitzen einen Magister- oder Masterabschluss, neun Prozent tragen sogar einen Doktortitel. Zum Vergleich: In der österreichischen Bevölkerung haben gerade einmal ein Prozent ein Doktorat abgeschlossen. 

Wer glaubt, in der Regierung sei der Bildungsgrad geringer, der irrt. Hier besitzen sogar 14 Prozent einen Doktortitel. 

Lauter Chef:innen

​Mehr als 60 Prozent der Nationalratsabgeordneten sind in Führungspositionen tätig. In der Regierung sind es sogar 86 Prozent. Führungskräfte in Österreichs erwerbstätiger Bevölkerung liegen im Vergleich nur bei fünf Prozent. Darunter fallen neben Nationalratsabgeordneten, Bürgermeister:innen und Parteifunktionär:innen auch Unternehmer:innen und Manager:innen. 

Das gilt leider für alle Parteien. 78 Prozent der SPÖ-Abgeordneten sind Führungskräfte, bei ÖVP, NEOS und den Grünen sind es jeweils knapp unter 70 Prozent. Die FPÖ weist mit 39 Prozent den niedrigsten Anteil an Führungskräften auf, dafür arbeiten überdurchschnittlich viele Abgeordnete in akademischen Berufen.

Die arbeitende Bevölkerung besteht jedoch nicht nur aus Chef:innen. Dementsprechend sind verschiedene Berufsgruppen unterrepräsentiert im Nationalrat. Beispielsweise technische Berufe (vier Prozent vs. 18 Prozent), Bürokräfte (vier Prozent vs. neun Prozent) und Dienstleistungsberufe (ein Prozent vs. 17 Prozent). Drei Berufsgruppen – Handwerker:innen, Maschinenbediener:innen und Montageberufe, sowie Hilfsarbeitskräfte – sind im Nationalrat überhaupt nicht vertreten. In diesen Berufen sind 25 Prozent der Erwerbstätigen beschäftigt – ein Viertel der arbeitenden Bevölkerung wird somit nicht repräsentiert. 

Auch andere Berufsgruppen sind im Parlament stärker vertreten als in der Bevölkerung: acht  Prozent der Abgeordneten sind Landwirt:innen – unter der erwerbstätigen Bevölkerung sind es drei Prozent. Außerdem üben zwei Prozent der Nationalratsabgeordneten – gendern ist in diesem Fall nicht notwendig – einen militärischen Beruf aus. In der erwerbstätigen Bevölkerung sind  mit 0,2 Prozent nur ein Zehntel als Soldat:in tätig. 

Zählt man die beiden obersten Berufsgruppen – Führungskräfte und akademische Berufe – zusammen, liegt die Quote zwischen 72 Prozent bei der FPÖ und sogar 100 Prozent bei den NEOS. Landwirt:innen sitzen vor allem für die ÖVP (18 Prozent) im Nationalrat. Soldat:innen sind nur unter den FPÖ-Abgeordneten vertreten. Dort stellen sie 5 Prozent der Nationalratsabgeordneten. 

Alter vor Repräsentation

Der Nationalrat und die Regierung sind deutlich älter als die Gesamtbevölkerung Österreichs. 17 Prozent der Bevölkerung sind zwischen 18 und 29 Jahre alt. Im Nationalrat sind es nur drei Prozent. Für ÖVP und Grüne sitzt dort sogar niemand unter 30. Für vier von fünf Parteien stellen die 46- bis 59-Jährigen die größte Gruppe der Abgeordneten. Nur bei den Grünen ist die Mehrheit der Abgeordneten jünger. Fast ein Fünftel der ÖVP- und FPÖ-Abgeordneten ist 60 oder älter – allerdings liegt der Anteil der Bevölkerungsgruppe 60+ auch bei ihnen um 14 beziehungsweise 15 Prozent unter dem Bevölkerungsschnitt. 

Nur eine Partei erfüllt Frauenquote von 50 %

Im Nationalrat sind Frauen dramatisch unterrepräsentiert – nur 37 Prozent der Abgeordneten sind weiblich. Und das obwohl sie 51 Prozent der österreichischen Bevölkerung stellen. Vor der Wahl 2024 waren es noch 40 Prozent. Die wenigsten Frauen wurden dabei von der FPÖ entsandt mit 23 Prozent. Nur die Grünen haben mit 56 Prozent geringfügig mehr weibliche als männliche Abgeordnete. 

Besser sieht es im Regierungsteam aus: zehn Frauen und elf Männer sorgen für eine beinahe ausgeglichene Verteilung. Das ist allerdings teilweise auf die vier niedriger eingestuften Staatssekretär:innen zurückzuführen – sechs Minister:innen stehen acht Ministern (inklusive Bundeskanzler, auch wenn dieser formal kein Minister ist) gegenüber. Nicht-binäre Menschen sind im Nationalrat gar nicht vertreten. 

​Auffällig ist: Auf den Wahlkampf-Listen waren Frauen noch stärker vertreten. Bei der Nationalratswahl 2024 war die Hälfte der Kandidat:innen von SPÖ und NEOS weiblich, die ÖVP lag mit 48 Prozent nur knapp dahinter. Auch Jüngere waren auf den Listen stärker vertreten.

Ohne Staatsbürgerschaft keine                                   politische Teilhabe

​Österreichs Bevölkerung ist divers – jede:r Fünfte ist im Ausland geboren. Davon besitzt nur jede:r Zehnte die österreichische Staatsbürgerschaft. Der überwiegende Teil ist dadurch nicht wahlberechtigt und somit von demokratischen Prozessen ausgeschlossen. Im Nationalrat sitzen fünf Abgeordnete, die nicht in Österreich geboren sind. Die Staatsbürgerschaft ist für sie die Grundvoraussetzung. Mit 2,7 Prozent im Nationalrat entspricht ihr Anteil ungefähr jenem der im Ausland geborenen österreichischen Staatsbürger:innen. Alle anderen werden nicht repräsentiert.

Trauriges Fazit: Der Nationalrat steht nicht repräsentativ für die österreichische Bevölkerung. Warum ist das ein Problem? ​Politiker:innen werden durch ihre Lebenserfahrungen, den Beruf, ihr Geschlecht, ihre Herkunft sowie ihr Umfeld geprägt. Die Forschung zeigt: Die Lebensrealität von Politiker:innen spielt eine elementare Rolle dabei, was politisch entschieden wird. Sie gestalten eine Welt für alle, ohne die Lebensrealität aller Menschen zu kennen und zu vertreten. Und: Nur wer eine Stimme bekommt, kann seine Meinung auch vertreten. 


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