“Darf ich mich überhaupt melden? Ich schlage meine Frau nicht”: Männer in der Krise – wie die Männerberatung hilft
Die Gesellschaft ändert sich. Männer ändern sich. Und die Vorstellungen davon, wie ein Mann sein soll, ändern sich mit. Aber eines bleibt gleich: Männer holen sich oft erst Hilfe, wenn der Leidensdruck kaum noch auszuhalten ist. Die Menschen, die in der Männerberatung arbeiten, stehen den Männern in solchen Not-Situationen dann zur Seite. Aber sie würden es auch schon viel früher tun.
„Manche rufen an und fragen: ‘Darf ich mich überhaupt melden? Ich schlage meine Frau ja nicht'“, erzählt Eva Hofbauer. Sie arbeitet bei der Männerberatung in der Steiermark. „Es gibt das Missverständnis, dass wir nur mit Gewaltarbeit zu tun haben – wir behandeln aber alle möglichen Themen.“
Wer kommt zur Männerberatung?
1996 wurde das steirische Angebot geschaffen. Sätze wie „Ich hätte nie gedacht, dass ich sowas einmal brauche”, hören die Beratenden oft. Viele Anrufer haben auch die Angst, dass ihre Probleme “nicht wichtig genug” seien – als würden sie damit anderen den Platz wegnehmen. Vor allem Männer, die in sehr traditionellem Umfeld und mit einem ganz klassischen Bild von Männlichkeit aufgewachsen sind, “meinen oft, sie brauchen keine Hilfe und müssen ein ‚ganz wilder Fall‘ sein, um Beratung in Anspruch zu nehmen“, erklärt Manfred Kummer.
Er ist Koordinator der Männerberatung Steiermark und in den 1960ern geboren. “In meiner Generation ist das noch immer ein Tabu“, sagt er. Immerhin bemerkt er, dass jüngere Männer sich etwas leichter tun, um Hilfe zu bitten – vor allem, wenn sie aus einem städtischen Umfeld kommen.
Manchmal finden Männer den Weg in die psychosoziale Beratung über eine Rechtsberatung. „Sie kommen mit einer juristischen Fragestellung und dann wird klar: Der braucht viel mehr als nur rechtlichen Beistand.“
Trennung als existentielle Bedrohung
In Zeiten von Beziehungskrisen oder Scheidungen sind Männer eher bereit, sich Hilfe zu suchen. Obwohl das Familienrecht bereits vor 50 Jahren geändert wurde und der Mann nicht mehr das offizielle Oberhaupt der Familie ist, geht es oft noch um dieselben Themen wie damals, sagt Robert Mandl. Auch er arbeitet bei der Männerberatung.
Ein Beziehungsende kommt für die Anrufenden dabei oft aus dem Nichts. „Die Frau sagt dann, ‚Ich habe es eh hundert Mal gesagt, irgendwann kann ich nicht mehr‘. Für den Mann ist es ein kompletter Schock. Viele haben das Gefühl, alles richtig gemacht zu haben: den Rasen gemäht, die Kinder abgeholt – und dann verlässt sie die Partnerin doch. Die Arbeit an Emotionen und Beziehung sehen viele Männer gar nicht als ihre Aufgabe – weil sie mit anderen Werten aufgewachsen sind.“
„Es ist nicht nur der emotionale Schmerz, sondern oft auch eine existenzielle Krise. Die Männer stehen dann vor der Frage: Wer bin ich jetzt eigentlich, wenn meine zentrale Rolle plötzlich wegfällt?“
Für diese Männer ist eine Trennung oft nicht nur das Ende einer Beziehung, sondern auch ein Verlust von sozialem Umfeld, gemeinsamen Routinen und der Möglichkeit, die eigenen Kinder regelmäßig zu sehen. „Es ist nicht nur der emotionale Schmerz, sondern oft auch eine existenzielle Krise“, erklärt Hofbauer. “Die Männer stehen dann vor der Frage: Wer bin ich jetzt eigentlich, wenn meine zentrale Rolle plötzlich wegfällt?“
Die Männerberatung versucht dann, mit den Betroffenen diese neuen Perspektiven zu finden. Und den Männern auch dabei zu helfen, mit diesen Krisen besser umgehen zu können. Unter dem Dach des Vereins für Männer- und Geschlechterthemen Steiermark bietet sie vielfältige Unterstützungsangebote an, die von psychosozialer und rechtlicher Beratung über Gewalt- bis hin zur Extremismusprävention reichen.
Ein großer Vorteil: Die ersten sieben Beratungseinheiten sind kostenlos, alles darüber hinaus erfolgt auf Spendenbasis. So wird sichergestellt, dass auch jene, die es sich finanziell nicht leisten können, nicht durch das Netz fallen. „Wir wollen niemanden ausschließen“, betont Hofbauer.
Notfall-Hilfe: 24 Stunden
Die Männerinfo-Krisenhelpline ist eine der jüngeren Entwicklungen der Männerberatung. Während des Lockdowns wurde sie ins Leben gerufen, um akut in Krisensituationen zu unterstützen. „Wir bekommen aktuell immer mehr Anrufe”, sagt Mandl – vermutlich einfach, weil das Angebot bekannter wird.
Manchmal wird der Titel “Männerinfo” auch fehlinterpretiert. “Ca. zweimal im Jahr ruft jemand an und fragt, wann das Fußballspiel losgeht.“
Aber dann gibt es jene Anrufe, die wirklich Leben retten können. „Es gibt Situationen, in denen wir spüren, dass es um suizidale Krisen geht. Da müssen wir uns voll reinknien, Handlungsoptionen aufzeigen, schließen mit den Männern ‚Verträge‘ – zum Beispiel: Rufen Sie in drei Stunden wieder an“, beschreibt Mandl den Ernstfall.
In besonders heiklen Situationen wird eine zweite Person hinzugezogen. Kummer: „Wir bieten Hilfe an, aktivieren Ressourcen, aber wenn wir das Gefühl haben, dass das nicht reicht, müssen wir im Zweifelsfall die Verschwiegenheit brechen.“ Bei akuter Selbst- oder Fremdgefährdung wird dann auf Polizei oder Rettung zugegriffen. Zusätzlich zur Helpline gibt es mittlerweile auch ein Chat-Angebot, das gerade für jüngere Männer eine niedrigschwellige Möglichkeit bietet, Unterstützung zu bekommen.
Viele junge Männer fühlen sich vom Begriff ‚Männerberatung‘ oder ‚Männerinfo‘ nicht angesprochen
Burschenberatung und die Herausforderung Social Media
Auch wenn es bei der Männerberatung Steiermark noch keine eigene Burschenberatung gibt, ist die Unterstützung junger Männer ein Thema. „Viele junge Männer fühlen sich vom Begriff ‚Männerberatung‘ oder ‚Männerinfo‘ nicht angesprochen“, erklärt Robert Mandl. Dennoch versucht das Team, über Social Media präsent zu sein und dort niedrigschwellige Informationen zu Themen wie psychische Gesundheit, Männlichkeitsbilder und Prävention zu vermitteln. Ziel ist es, auch bei der jüngeren Zielgruppe Sichtbarkeit und Vertrauen aufzubauen. Besonders Social Media ist ein schwieriges Feld. „Wir versuchen, mit Videos präsent zu sein. Aber es ist schwer, unsere Zielgruppe zu erreichen“, sagt Hofbauer.
Die eigentliche Expertise in der Burschenarbeit liegt im Fachbereich des Vereins für Männer- und Geschlechterthemen Steiermark. Dort werden Workshops an Schulen zu Themen wie Sexualität, Männlichkeiten, Gewaltprävention und Medienkompetenz angeboten. Ein erfolgreiches Projekt in diesem Bereich ist HEROES. Junge Männer lernen in Workshops, sich mit Männlichkeitsbildern auseinanderzusetzen. Dabei lernen sie von anderen jungen Männern. Das Prinzip nennt man “Peer-to-Peer”.
Burschen sollen für Themen wie sexualisierte Gewalt, Pornografie und radikale Ideologien aufgeklärt werden. „Viele junge Männer bewegen sich in Online-Räumen, die wir als Ältere kaum verstehen. Radikalisierung ist hier ein ernsthaftes Problem“, bestätigt Mandl. Die Beratung versuche hier Alternativen aufzubauen: “Aber es ist eine riesige Herausforderung.“
Was mit mehr finanziellen Mitteln möglich wäre
Kummer sieht großes Potenzial in Peer-to-Peer-Arbeit: „Mit mehr Geld könnten wir gezielt junge Männer als Multiplikatoren ausbilden und sie in Schulen oder Jugendzentren schicken. Denn je früher Männer lernen, dass es okay ist, Hilfe zu holen, desto weniger brauchen sie später Krisenintervention.“
Stichwort Geld. Das ist kompliziert. „Es gibt kein klares Ressort, das sich zuständig fühlt – so sieht auch die Finanzierung aus“, beschreibt Kummer die Lage. Zwar hat Gewaltprävention – auch wegen der vielen Femizide – in den letzten Jahren mehr Aufmerksamkeit bekommen, dennoch bleibt die finanzielle Situation unsicher. Besonders in diesem Jahr sei es schwierig. Die Bundesregierung stehe erst seit Kurzem. Viele Fördermittel sind noch nicht geklärt.
Mit zusätzlichen Mitteln könnten viele Projekte ausgeweitet werden. Hofbauer spricht von einer mobilen Aufklärungstour zu Männergesundheitsthemen mit unter anderem “einer riesigen begehbaren Prostata”. Mandl würde gerne die aktuell schon laufenden internen Schulungen noch weiter intensivieren, um besser auf die wachsenden Herausforderungen vorbereitet zu sein. „Vor allem im Bereich der sexualisierten Gewalt. Wir haben Männer, die Angst haben, Täter zu werden, oder die bereits Taten begangen haben. Dafür brauchen wir spezialisierte Beratung.“
Erfolge sind schwer messbar – aber spürbar
Trotz aller Herausforderungen lieben die Beratenden ihre Arbeit. „Leute kommen mit echtem Leidensdruck und konkreten Fragestellungen – von der ersten Minute an ist das eine hochrelevante Arbeit“, sagt Kummer. „Auch nach 29 Jahren gehe ich nach einer erfolgreichen Beratung voller Energie raus.“
Mandl sieht den Erfolg nicht in messbaren Statistiken, sondern in den direkten Begegnungen: „Wenn man am Ende eines anstrengenden Tages merkt, dass etwas Wunderbares passiert ist – dass man einem Menschen wirklich helfen konnte.“
Hofbauer vergleicht ihre Arbeit mit einer Reise durch eine dunkle Höhle: „Ich gehe mit den Klienten mit einer Taschenlampe durch und wir schauen gemeinsam, was da ist. Diese Höhle gemeinsam auszuleuchten, kann so viel Sicherheit geben. Es ist eine ehrenvolle Aufgabe, dass ich diesen Weg mit ihnen gehen darf.“
Manfred Kummer ist Psychotherapeut und Leiter der Männerberatung Graz sowie der MÄNNERINFO Krisenhelpline.
Robert Mandl ist Sozial- und Berufspädagoge, Berater in der Männerberatung und der MÄNNERINFO Krisenhelpline.
Eva Hofbauer ist Sozialarbeiterin, Beraterin in der Männerberatung und zuständig für Öffentlichkeitsarbeit bei der MÄNNERINFO Krisenhelpline.
Kontakt zur Männerberatung Steiermark & Burgenland
Mo-Fr 10:00-13:00 sowie Di-Do 15:00-18:00.
Tel.: 0316 831414
Email: beratung@maennerberatung.at
MÄNNERINFO Krisenhelpline: 0800 400 777 (rund um die Uhr)
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