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Fortschritt

Bubenarbeit gegen Männergewalt: „Viele kennen nur den Kampf“

2 Buben halten sich an den Händen. Sie gehen einen Gartenweg entlang.
Wie können wir Gewalt von männlichen Jugendlichen und Männern verhindern? Eine Möglichkeit zur Vorbeugung ist Bubenarbeit. Philipp Leeb ist Gründer und Obmann des Vereins poika, der dazu Workshops an Schulen anbietet. Im Interview spricht er über Kinder, die nur den Kampf kennen und wie man ihnen begegnen kann. 

Schockierende Fälle von Gewalt an Frauen haben in den letzten Wochen und Monaten immer wieder die österreichischen Medien dominiert. Der gemeinsame Nenner: Die Täter waren Männer. Seitdem herrscht eine hitzige Diskussion darüber, wie man das verhindern kann.

Bubenarbeit ist ein Ansatz zur Vorbeugung. Die Nachfrage nach Workshops dazu wird immer größer. MOMENT.at hat mit Philipp Leeb über die Ziele des Vereins und die Zusammenhänge zwischen Männlichkeit und Gewalt gesprochen.

MOMENT: Warum braucht es so etwas wie Bubenarbeit?

Philipp Leeb: Unsere Gesellschaft braucht mehr Räume, um über Dinge zu reden, die in Schulen oder anderen Einrichtungen zu oft keinen Platz haben. Um laut nachzudenken über kritische Dinge. Und dann auch gemeinsam ins Gespräch zu kommen und unterschiedliche Meinungen auszuhalten.

Es geht um Rollenbilder, Gewaltverhältnisse und Lebensperspektiven. Wenn du mit jungen Burschen dazu arbeitest, führt das im besten Fall dazu, dass sie Gleichberechtigung als selbstverständlich ansehen – und sie auch leben. Gegenüber Partner:innen, aber auch gegenüber den eigenen Kindern. Das langfristige Ziel ist eine möglichst gewaltfreie Gesellschaft.

MOMENT: Gewalt und Männlichkeit wird gerade in letzter Zeit oft gemeinsam genannt. Ist beides miteinander verknüpft?

Leeb: Wir müssen dazu ja leider nur in die Gewaltstatistik schauen. Da sind Männer an der Spitze.

Natürlich muss man differenzieren. Nicht alle Männer sind gewalttätig, sehr viele erleben auch selbst Gewalt – und geben die dann oft weiter. Sie brauchen Unterstützung, das zu reflektieren, zu verarbeiten und zu verändern. Die Gewalt zwischen den Jugendlichen ist in unserer Arbeit deswegen ein wichtiges Thema.

Viele Männer sehen sich aber nicht als Opfer von toxischer Männlichkeit oder patriarchalen Umständen – sondern von Frauen. 

MOMENT: Was soll das Ziel von positiver Männlichkeit sein?

Leeb: Es gibt viele Männer, die männlich sind, aber nach außen hin als unmännlich gelesen werden. Weil sie Kinderwagen schieben, lieb zu Kindern sind oder auf ihren Körper schauen. Dabei erkennen immer mehr Männer, dass es ihre Männlichkeit im positiven Sinn erweitert, wenn wir in allen gesellschaftlichen Bereichen wirklich teilen und zusammenarbeiten. 

Da geht es nicht um “helfen”. Ich helfe nicht im Haushalt oder bei der Erziehung. Ich tue das, was ich zu tun habe. Dieses Selbstverständnis müssen wir verändern. Hier setzt das Konzept von “Caring Masculinites” an. Wir müssen Buben früh mitgeben, dass Gleichberechtigung zu einer besseren Gesellschaft führt.

MOMENT: Wir haben als Reaktion auf einen Artikel von einem Vater eine Zuschrift bekommen. Der meinte, er würde eine gleichberechtigte Partnerschaft führen. Aber er hat Angst, dass sein Sohn durch die ganzen Diskussionen verunsichert  und dadurch noch eher in die Fänge von Influencern wie Andrew Tate getrieben werden könnte. Was hättest du geantwortet?

Leeb: Wenn ich mit einem Vater aufwachse, der kocht, sorgt und teilt, ist das für mich doch selbstverständlich. Wenn diese Art der Männlichkeit normal ist – wo soll das Problem sein? Dann wundere ich mich doch über die anderen Männer.

Und es sind gleichzeitig auch viele Männer verunsichert, weil sie die “männlichen” Ideale der Influencer nicht erfüllen. Für die bist du nur ein richtiger Mann, wenn du rohe Leber isst, dich regelmäßig prügelst und Frauen als Untertanen siehst. Das kann ja auch zu Gewalt gegen sich selbst führen, etwa durch das Zurichten ihrer Körper beim Fitnesstraining. Mit dem Selbstverständnis, dass  Mann mächtig sein muss. Das ist auch eine Form von toxischer Männlichkeit.

MOMENT: Wie problematisch sind denn soziale Medien und Influencer für das Selbstbild von Männern?

Leeb: Es gibt natürlich unzählige kritische Punkte. Allerdings haben Buben dadurch auch Wahlmöglichkeiten. Sie können etwa homosexuellen Influencern folgen, weil sie es selbst sind. Das kann sie vielleicht empowern, damit nach außen zu gehen – wenn es für sie möglich ist. 

Oft wird betont, dass die Verunsicherung früher nicht so groß gewesen sei. Man hatte weniger Auswahl und dafür fixe Bilder, wie man sein soll. Nur: Auch diese fixen Bilder wurden in der Realität gebrochen. Auch “starke” Männer müssen scheitern und haben Gefühle. Wenn ich von Anfang lerne, dass das dazugehört, kann ich mir das auch zugestehen.

MOMENT: Aber warum sind gerade jene Influencer erfolgreich, die ein problematisches Männerbild vermitteln?

Leeb: Sie setzen, wie auch rechte Politiker, auf die Kraft der Wut. Sie geben dadurch Menschen, die oft sprachlos sind, eine Stimme.

Da müssten wir eigentlich ansetzen. Nur eben nicht hetzerisch und demagogisch. Das ist das Schwierige an der Männer- und Bubenarbeit. Du musst die Sprache und den Umgang erst finden. Ich gehe zum Beispiel auch oft in die Konfrontation. Aber nicht, um jemanden zu vernichten oder seine Meinung zu ändern. Sondern um zu vermitteln: Du kriegst Widerstand – aber nicht, weil ich dich nicht respektiere. Sondern gerade, weil ich dich respektiere.

Soziale Medien haben aber auf jeden Fall viel verändert in unserer Arbeit. Und der unglaublich einfache Zugriff auf Pornografie. Das ist in die Mitte der Gesellschaft gekommen, aber die Gesellschaft redet darüber nicht.

MOMENT: Was für einen Einfluss hat Pornografie auf das Männlichkeitsbild?

Leeb: Pornografie arbeitet sehr stark mit Gewaltbildern. Sie ist hauptsächlich abwertend gegenüber Frauen, es findet kaum wertschätzende Sexualität statt und ein extrem aggressives Männlichkeitsbild.

In meiner Arbeit ist das ständig präsent. Vor kurzem hat ein Bursche lauter unterschiedliche Stellungen aufgezeichnet. Wir gehen dem natürlich nach, woher das kommt. Da geht es nie um sexuelle Fantasien, die in den Burschen entstehen. Das sind Dinge, die sie gesehen haben. Dann geht es darum, ihn nicht zu verurteilen. Sondern ihm zu vermitteln, dass das nicht die Realität abbildet, er sich das auch nicht anschauen muss und mit Menschen darüber reden kann.

MOMENT: Erlebst du das Rollenbild des starken Mannes häufig in deinen Gruppen?

Leeb: Viele kennen tatsächlich nur den Kampf. Sie sind widerständig, laut und provokant. Wenn ich aber mit ihnen mitgehe, entspannen sie sich oft. Sie merken, dass ich sie ernst nehme. Ich bin nicht der Vater, der ihnen sagt, wo’s langgeht. Sie können mir auch sagen, dass ich nicht recht habe. Das ist okay. Sie sehen dann, dass ich hierbleibe. Diese Erkenntnis ist wichtig – und entspannt den Kampf.

Wir arbeiten gesellschaftlich mit viel Gewalt gegenüber Kindern. Kinder brauchen Bezugspunkte und durchaus auch Reibungspunkte – aber auf Augenhöhe. Dann lernen sie bereits früh, dass sie gehört werden und nicht schreien müssen. Das erlebe ich aber immer wieder bei Kindern. Sie schreien die ganze Zeit rein und ich sage ihnen dann: “Hey, ich bin da, ich höre dich.”

MOMENT: Über die eigene Männlichkeit kritisch nachzudenken, kam in meiner Jugend nicht vor. Es gab auch keinen Raum dafür. Ist das schon selbstverständlicher?

Leeb: Dazu fällt mir ein: Ich habe auch an Agrarschulen Kurse gegeben. Da herrscht bei jungen Männern durchaus eine andere Selbstverständlichkeit. Aber sie kriegen mit, dass man gewisse Dinge hinterfragen muss. Und sie machen das auch. Sie sagen ganz klar, dass sie Frauen selbstverständlich nicht schlagen und keine Gewalt ausüben wollen. 

 Ich habe einen Burschen dann darauf hingewiesen, dass er einem anderen gerade eine Gnackwatsche gegeben hat. Seine Antwort war: “Aber das ist ja keine Gewalt!” Und warum nicht? “Naja, weil es normal ist.”

Da kann man sehr gut nachbohren. Ob es denn angenehm ist, eine Gnackwatsche zu kriegen. So kriegt man sie aus der Komfortzone ihrer Männlichkeit. Und sie denken dann schon über die Weitergabe von solchen Dingen nach. 

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