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Demokratie

Wolf im Schafspelz: Was macht Jordan Peterson so gefährlich?

Wolf im Schafspelz: Was macht Jordan Peterson so gefährlich?
Wenige Wissenschaftler:innen sind so populär wie der Psychologe Jordan Peterson. Mit seinen Büchern, Vorträgen und Videos erreicht er Millionen Menschen. Doch der Selbsthilfeguru ist nur auf den ersten Blick harmlos. Was macht Jordan Peterson so gefährlich?

Es reicht. 

Die Welt ist vom rechten Weg abgekommen. Wir müssen endlich mit diesen ganzen woken Ideen wie Inklusion oder Gleichheit aufhören. Und uns wieder auf die natürliche Ordnung besinnen. 

Steh aufrecht. Räum dein Zimmer auf. Lüge nicht mehr.

Jordan Petersons Botschaften sind oft simpel, auch wenn er sie gern kompliziert verpackt. Er trägt sie mit viel Leidenschaft und Überzeugung vor. Peterson ist intelligent und rhetorisch geschult – was einigen seiner Gegner:innen, die mit ihm über seine Theorien diskutieren wollten, bereits zum Verhängnis wurde. 

Peterson ist ein Fixstern am Influencer-Himmel. Er ist eine dieser Personen, die es schaffen, dass ihre Videos mit der Zuschreibung “Wow, so habe ich das noch nie gesehen” verschickt werden. Welche Ideologie hinter seinen Aussagen steckt, ist vielen zumindest anfangs nicht bewusst.

Peterson gilt seinen Anhänger:innen als intellektuelle Ausnahmeerscheinung. Jemand, der außerhalb der klassischen Kategorien von “links” und “rechts” steht, wie er auch selbst betont. Ein Intellektueller, der das System trocken von außen analysiert. Gleichzeitig gibt er wertvolle Tipps fürs Leben. 

Nicht links, nicht rechts

Auf die Frage, ob Peterson weder links noch rechts sei, muss Veronika Kracher schmunzeln. Die Autorin von “Incels – Geschichte, Sprache und Ideologie eines Online-Kults” musste sich dafür zwangsweise viel mit Figuren wie Jordan Peterson auseinandersetzen.  “Wenn man sagt: ‚Ich bin weder links noch rechts’, unterstützt man damit letztendlich immer die bestehenden Verhältnisse. Es ist das Verteidigen eines auf Ausbeutung und Unterdrückung aufgebauten Status Quo”, sagt Kracher. 

Und diese Verteidigungshaltung ist genau jene, die Jordan Peterson vor sich herträgt.

Nach unserem Artikel über die Gefahren von TikTok für junge Männer haben wir viel Kritik in den Kommentaren erhalten. Eigentlich ging es darum, wie schnell junge Männer von der Plattform in einen radikalen Tunnel geschickt werden. Wir sind dabei vor allem auf den extremen Frauenhasser Andrew Tate gestoßen – doch auch Peterson kam darin vor. Der Vorwurf an uns danach: Jordan Peterson könne man doch nicht mit Andrew Tate vergleichen. Dass er Teil derselben Bewegung ist, sei vollkommen lächerlich. Peterson sei wesentlich intelligenter, nicht sexistisch und sicher nicht rechts. Und er habe schon so vielen Menschen geholfen.

Sagt Jordan Peterson also nur eine unangenehme Wahrheit, die wir nicht ertragen? Oder sollten wir uns vor ihm in Acht nehmen?

Wer ist Jordan Peterson?

Peterson ist 60 Jahre alt und lebt in einer monogamen, heterosexuellen Ehe mit zwei Kindern – ein Modell, das laut Peterson zugrunde gehe, aber nicht aussterben dürfe. Er verbrachte einige Jahre in Harvard, bevor er 1998 nach Kanada an die Universität von Toronto zurückkehrte. Dort lehrte und forschte er, bis er seine Professur vor rund einem Jahr aufgab. Zu „woke“ seien die Universitäten mittlerweile – und online erreiche er ohnehin viel mehr Menschen. Nebenbei betrieb er über all die Jahre eine psychotherapeutische Praxis.

Bereits als Professor wurde Peterson von einigen Studierenden fast kultisch verehrt. Seine Beliebtheit explodierte jedoch nach einem Vorfall, der bezeichnend für Petersons Karriere und Ideologie ist.

2016 plante die kanadische Regierung ein Gesetz, das Menschen besser davor schützen sollte, wegen der eigenen Geschlechteridentität diskriminiert zu werden. Peterson sah darin einen Angriff auf die freie Meinungsäußerung in seiner Arbeit als Universitätsprofessor. Er behauptete, dadurch gezwungen zu werden, Studierende mit den von ihnen gewünschten Pronomen anzusprechen. Ansonsten würde ihm wegen Hassrede sogar ein Gefängnisaufenthalt drohen. Also setzte er sich vehement gegen das Gesetz ein. 

Kämpfer gegen Cancel Culture

Doch Peterson stellte sowohl den Inhalt als auch die Auswirkungen des Gesetzes falsch dar. Das Gesetz schützt Menschen in Wahrheit etwa davor, wegen ihrer Geschlechtsidentität keine Wohnung oder keinen Job zu bekommen. Seine Behauptungen wurden mehrfach widerlegt.

Seine Angstmache war dennoch erfolgreich. Peterson konnte sich damit als Kämpfer für freie Meinungsäußerung und gegen eine „Cancel Culture” aufspielen. Die Reichweite seiner Videos und Buchverkäufe explodierten. “12 Rules for life”, sein Ratgeber, der ein Jahr später erschien, wurde zum Bestseller. Beschlossen wurde das Gesetz übrigens dennoch. Die Welt steht noch.

Seitdem ist Peterson zum Selbsthilfeguru der “verlorenen” Männlichkeit aufgestiegen. Die New York Times bezeichnete ihn als “mystische Vaterfigur” und “einflussreichsten Intellektuellen der westlichen Welt”. Kein Wunder also, dass Kritik an Peterson starke Reaktionen auslöst.

Was macht Jordan Peterson so gefährlich?

Er verdient gut daran. Tickets für seine aktuelle Vortragsreihe kann man ab rund 60 Dollar erstehen – wenn es denn noch welche gibt. Auch der Nachfolger von “12 Rules for Life” wurde ein Bestseller. Auf YouTube hat Peterson über 6 Millionen Follower:innen. Trotz seiner wiederholten Beschwerde, gecancelt und vom “Mainstream” ignoriert zu werden, ist er regelmäßig Gast in populären Sendungen und Podcasts und verbreitet dort seine Botschaften.

Die, die das aufsaugen, seien großteils weiße Männer, die in der Regel höheren Schichten entstammen, so Veronika Kracher. Sie seien mit der Idee einer gesellschaftlichen Vormachtstellung aufgewachsen, die jetzt langsam zu wackeln beginne. “Jordan Peterson-Fans sind oft Männer, die ihre Identität auf der Abgrenzung von vermeintlich Schwächeren aufbauen. Ihnen bleibt häufig nicht mehr als dieser Wunsch nach Vormachtstellung. Es gibt ja einen zentralen Grund, warum sie Peterson anhimmeln: Sie sind verunsichert,” so Kracher. Durch progressive Kämpfe würden sie sich ganz konkret in ihrer Identität bedroht fühlen. Die hätten sie vor allem über die Abwertung marginalisierter Personen aufgebaut.

Kracher sieht Jordan Peterson auch als Paradebeispiel für einen Türöffner für rechtsradikale Ideologien. “Peterson selbst sieht sich ja nicht als Vertreter der Alt-Right. Aber es ist ja kein Wunder, dass er regelmäßig mit ihren Vertretern auftritt und von ihnen gefeiert wird”, so Kracher. Peterson spreche trans Personen die Existenz ab und wende sich mit seinem Antifeminismus an gekränkte junge Männer. “Die Männlichkeitsbilder im Rechtsradikalismus sind die logische Fortführung dieser Ideologie.”

Zurück in die Vergangenheit 

Petersons Ideen sind vor allem eines: rückwärtsgewandt. Es seien die alten Wahrheiten, die laut ihm verloren gegangen sind. Darin liegt für viele ein besonderer Reiz. Denn das Wissen sei bereits da, es liege in uns – wir müssten es nur wiederentdecken. Und Peterson könne uns dorthin führen. Eigentlich ein beruhigender Gedanke.

Dazu ist aber auch etwas anderes notwendig: die Ablehnung von fortschrittlichen Ansichten. Die verabscheut Peterson. Vielfalt, Inklusion und Gleichheit bezeichnet er gleich als “große ideologische Lüge, die sterben muss”. Hierarchische Strukturen sieht er als Naturgesetz. Eingriffe in die Gesellschaft – vor allem mit dem Ziel, für mehr Gleichheit zu sorgen – sind für ihn untragbar. Denn was in unserer Natur liege, dürfe nicht beeinflusst werden. 

Diese natürlichen Zustände setzt Peterson mit einem extrem konservativen Weltbild gleich. Die extreme Schere zwischen Arm und Reich mag schon irgendwie ungerecht sein. Aber sie liege ganz einfach in der Natur des Menschen. Intelligente Menschen verdienen einfach mehr Geld. Wer daran rüttelt, sei dumm und gefährlich.

Jordan Peterson, der Hummermann

Das “beweist” Peterson auch immer wieder. Zum Beispiel mit … Hummern? 

Richtig gelesen: Die Krustentiere seien uns nämlich, laut Peterson, extrem ähnlich. Schließlich würden wir von ihnen abstammen. Sein Argument, kurz zusammengefasst: Das Gehirn von Hummer und Menschen funktioniere im Kern ganz ähnlich. Männliche Hummer kämpfen ständig um Dominanz. Gewinnt ein Hummer, wird er größer. Und er produziert mehr Serotonin – ein Hormon, das auch für den Menschen wichtig ist. Die Machtposition von Hummern wird also durch die Menge an Serotonin in ihrem Hirn bestimmt.

Petersons Schlussfolgerung: Der Mensch sei – wie der Hummer – in seinem tiefsten Inneren darauf gepolt, in genau solchen Hierarchien zu leben. Denn wenn der Hummer das schon so lange mache, dann sei es doch nur natürlich. Schließlich stammten wir auch von ihm ab.

Diese Theorie wurde so populär, dass es eigenes Hummer-Merchandise in Petersons Webshop gibt und Peterson für Interviews mit Plastik-Hummern posiert.
 

Jordan Peterson T-Shirt mit Hummern

Jordan Peterson und die Hummer: Das T-Shirt ist zwar ganz hübsch, die Wissenschaft dahinter aber leider falsch. Credit: Jordan Peterson Fanshop

 
Das Problem dabei ist, dass die Theorie bei genauerer Betrachtung keinen Sinn ergibt – und Wissenschaftler:innen sie klar zurückweisen. Zwar ist der Teil mit den Hummern und dem Serotonin durchaus korrekt. Aber es sei Rosinenpickerei von Peterson, das auf den Menschen zu übertragen. Abgesehen davon, dass der Mensch nicht vom Hummer abstammt, sondern nur gemeinsame Vorfahren hat: Ihr hierarchisches System ist entstanden, weil es für die Tiere Sinn ergeben hat. Das belege aber in keiner Art und Weise, dass diese Hierarchien deswegen für den Menschen “natürlich” sind.

Kurz gesagt: Die Theorie ist einfach dazu da, um zu belegen, was Peterson für richtig hält. Und dieses Prinzip zieht sich durch praktisch alle Argumente, die er seinem Publikum als Wissenschaft verkauft.

Paretoprinzip: Peterson und die Wissenschaft

Peterson liebt auch das „Paretoprinzip“. Das besagt, kurz gesagt, dass 80 Prozent des Aufwandes mit 20 Prozent des Einsatzes erreicht werden. Der Psychologe wird nicht müde, das auf alle Bereich anzuwenden. Ganz besonders gerne auf die Partnersuche. Er sagt: Die meisten Frauen würden sich um sehr wenige Männer “streiten”. Der Rest der Männer müsse schauen, wo er bleibe. Was natürlich zeige, wie schwierig es Männer aktuell haben, so Peterson.

Wie bereits bei den Hummern steckt ein tatsächlicher Kern darin. Das sorgt natürlich für Glaubwürdigkeit. Doch das Paretoprinzip kann nicht einfach auf jeden beliebigen Bereich umgelegt werden – und ist vor allem nur eine Daumenregel, keine wissenschaftliche Theorie. Das auf Bereiche wie Dating umzulegen, ist absurd. Ein Blick auf die Studie, die Peterson und andere als Beweis zitieren, zeigt: Um Wissenschaftlichkeit geht es ihnen nicht. Denn an der “Tinder-Studie” haben gerade mal 27 Frauen mitgemacht – mit selbst eingeschickten Angaben, die also nicht überprüft werden konnten. Nicht unbedingt ein statistisches Meisterwerk.

Um ein anderes Bild zu zeichnen, muss man nicht lange suchen. Eine wesentlich größere Studie der Datingplattform “OkCupid” hat ergeben, dass Männer Frauen zwar attraktiver einschätzen als umgekehrt – aber nur jenen schreiben, die sie sehr attraktiv finden. Frauen schreiben hingegen vor allem Männern, die sie als weniger attraktiv einstufen. Es sind also die Männer, die sich um attraktive Frauen streiten – umgekehrt, so wie das Peterson meint, gilt das nicht.

Gegen die Unterdrückung des Mannes

Dasselbe Spiel könnte man für andere Grundsätze von Jordan Peterson spielen. Die Klimakrise? Lüge! Ein Beweis: Dieser Graph, der Temperaturschwankungen zeigt. Blöd nur, dass der Graph mit 1880 endet. Lange bevor die Klimakrise richtig Fahrt aufgenommen hat.
 

Jordan Peterson auf Twitter: Die Klimakrise gibt es nicht
Sogar von Twitter wurde Petersons Tweets richtiggestellt. An die Klimakrise glaubt er dennoch nicht.

Der Tweet zeigt gleichzeitig noch eine andere Strategie Petersons. Sein Kommentar dazu lautet: “Hat jemand Einwände gegen diese Grafik?”. Er erklärt seinem Publikum viel, lässt aber Schlussfolgerungen sehr häufig offen. Auch wenn offensichtlich ist, worauf er hinaus will, sagt er es nicht immer ausdrücklich.

Das macht ihn schwerer angreifbar als andere rechte Influencer:innen. Peterson weiß das geschickt zu nützen. Wird er für die offensichtliche Schlussfolgerung seiner extremen Aussagen kritisiert, ist es eine seiner Verteidigungslinien: So habe er das doch nie gesagt und natürlich auch nie gemeint. Die Person verstehe eben nicht, was er gesagt hat – weil sie ideologisch zu verblendet ist.

Kompliziert, aber doch ganz einfach

Dabei ist Peterson Ideologie ziemlich klar: Sexistisch, rückwärtsgewandt, gegen jede Gleichstellung, verpackt in Pseudowissenschaftlichkeit –  nur eben nicht auf den ersten Blick. Das ist es, was ihn so gefährlich macht. 

Betrachtet man nur seine Arbeit als Selbsthilfeguru, wäre das vielleicht gar nicht so problematisch. Wenn er Menschen mit Tipps wie “Hab dein Zimmer immer aufgeräumt” helfen kann – wo ist das Problem?

Aber Jordan Peterson will mehr sein. Er sei ein “Preacher, not a Teacher” – also ein Prediger und kein Lehrer, wie es sein ehemaliger Förderer an der Universität Toronto formuliert hat.

Der war anfangs voller Respekt für seine Arbeit. Mittlerweile hat er sich von Peterson abgewandt und ihn als Gefahr bezeichnet. Es wird Zeit, dass die Öffentlichkeit seinem Beispiel folgt.

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