Wolf ohne Schafspelz: Was ist mit Jordan Peterson passiert?
Elmo muss sterben.
Zumindest, wenn es nach Jordan Peterson geht. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Es geht tatsächlich um die immerwährend dreieinhalbjährige Puppe aus der Sesamstraße, deren zentrale Charaktereigenschaften Gutherzigkeit und Naivität sind. Bei Peterson löst sie Abneigung aus. Seine Reaktion auf das Posting einer rechten Satireseite lässt wenig Interpretationsspielraum: “Ich habe diese weinerliche, infantilisierte Marionette immer gehasst.”
Mittlerweile ist Peterson auch davon überzeugt, dass Elmo die Demokraten wählen würde. Als Kompliment ist das freilich nicht gemeint.
Petersons Hass auf Elmo ist gut dokumentiert, sei es auf Twitter (X) oder in Podcasts. Bald folgten Satire-Postings, die Petersons Elmo-Hass auf die Spitze trieben. Mit der Hamas hat Jordan Peterson Elmo tatsächlich nie verglichen. Das Fake-Posting hat sich sehr schnell verbreitet – vermutlich auch deswegen, weil man es ihm jederzeit zutrauen würde, so etwas zu schreiben.
Die Ausraster sorgen mit ihrer Absurdität für Stirnrunzler und Lacher. Sie werfen aber auch die nachvollziehbare Frage auf: Was zur Hölle ist mit Jordan Peterson passiert?
Die kurze Antwort: Peterson geht den Weg weiter, den er vor langer Zeit eingeschlagen hat.
Er hat sich eine Karriere um kontroverse Aussagen aufgebaut. Die muss er immer weiter hochdrehen und zuspitzen, um weiterhin relevant zu bleiben.
Jordan Peterson schafft es, immer noch eins draufzusetzen. Das führt nicht nur zu Hasstiraden gegen Elmo, sondern auch viele andere Institutionen. Und Papierhandtuch-Spender.
Was ist mit Jordan Peterson passiert?
Peterson ist auf sozialen Medien dauerpräsent. Er hat mit seinen Selbsthilfebüchern vor allem junge Männer erreicht – und manchen davon auch geholfen. Peterson versteht sich selbst als Speerspitze gegen den “Mainstream”.
Der ehemalige Universitätsprofessor liefert für seine Überzeugung vermeintlich wissenschaftliche Grundlagen und packt sie in charismatische vorgetragene Erzählungen. Nur: Von Expert:innen in den jeweiligen Feldern werden die zurückgewiesen. Im besten Fall sind es Statistiken, die Peterson aus dem Zusammenhang gerissen hat. Im schlechtesten Fall sind sie einfach falsch. Über die Person Jordan Peterson und die Hintergründe seiner Ideen haben wir bereits an anderer Stelle ausführlich geschrieben.
Lange Zeit wurde er von vielen Seiten respektiert. Viele Menschen sahen in ihm eine intellektuelle Ausnahmeerscheinung – und tun das teilweise immer noch.
Die New York Times hat ihn etwa als “einflussreichsten Intellektuellen der westlichen Welt” bezeichnet. Doch die Stimmen, die ihn als Gefahr bezeichnen, werden lauter – und bekommen immer häufiger recht.
Peterson tätigt Aussagen, die der Öffentlichkeit schaden
Jordan Peterson sieht sich selbst als Opfer. Das hat auch einen Grund: Seine Aussagen haben immer öfter Konsequenzen. Und das führt zu einer weiteren Radikalisierung bei Peterson.
Die jüngste Episode: Viele seiner Aussagen seien dazu geeignet, der Öffentlichkeit und dem Ansehen seines Berufs zu schaden. Das sagt die Berufsvertretung klinischer Psycholog:innen in seiner Heimat Quebec. Peterson praktiziert zwar nicht mehr als solcher, bezeichnet sich aber immer noch so und hat eine Lizenz. Die Vertretung habe immer wieder Beschwerden erhalten. Etwa als Peterson über den Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und Kindersterblichkeit gesagt habe, dass es sich dabei hauptsächlich um arme Kinder handle – und es ohnehin zu viele Menschen auf der Welt gebe.
Die “Strafe”: Er muss einen Kurs für mehr Professionalität bei öffentlichen Aussagen belegen. Peterson ging dagegen in Berufung und verlor. Denn wer einem Beruf nachgehe, habe sich eben auch nach den Richtlinien zu orientieren, die der Berufsverband vorgebe.
Petersons Reaktion darauf war erwartbar. Die Meinungsfreiheit in Kanada sei gestorben, Gerichte seien von woken Ideologien zersetzt. Man wollte ihn zum Schweigen bringen und ihm über kurz oder lang die Zulassung wegnehmen.
Schuld sind immer die Woken
Petersons Ansichten waren schon vorher, vorsichtig formuliert, konservativ. Mittlerweile wettert er gegen alles, was seiner Meinung nach “woke” ist. Die Spannweite dessen, was darin inkludiert ist, ist nicht wirklich auszumessen.
“Woke” können etwa Maßnahmen sein, die zu weniger Verkehrstoten führen. Ein Artikel der weltweit größten Nachrichtenagentur AP beschreibt die positiven Auswirkungen von eingeschränkten Parkmöglichkeiten an einer Straße. Petersons Reaktion: Der woke Tod werde die AP bald heimsuchen. Auch Hinweise auf Papierhandtuchspendern, doch bitte nicht zu viele Papierhandtücher zu verwenden, fallen unter die Definition. Das, so Peterson, sei nämlich woke Tyrannei.
Seinen Tweets nach zu urteilen – und davon gehen täglich dutzende raus – beschäftigen Peterson mittlerweile fast ausschließlich rechte Kulturkämpfe. Eine Auswahl der letzten Tage(!):
Mehrere Postings über trans Menschen, in denen Peterson von der “Verunstaltung unserer Kinder” schreibt. Verschwörungsmythen zu Corona-Todesfällen. Attacken auf große Medienhäuser. Kritik am Pride-Monat, Kritik an Diversität. Kritik an UNO und WHO, weil sie vor der Klimakrise warnen – und die gibt es laut Peterson nicht. Wer daran glaubt: woke Menschen.
Frauen, die gegen geschlechterspezifische Gewalt auftreten, werden als “weinerliche, Opferstatus beanspruchende, manipulative, ideologisch besessene Frauen” bezeichnet.
Peterson wettert auch gegen Universitäten, weil sie von “linken Propagandist:innen” durchsetzt sind. Glücklicherweise hat er dafür eine Lösung parat: die “Peterson Academy”. Die soll Menschen kostengünstig zu einem Uni-Abschluss verhelfen und sie vor den woken Fängen traditioneller Universitäten retten. Das ganze um nur 4.000 Dollar.
Dass die “Peterson Academy” eine Akkreditierung bekommt und Abschlüsse tatsächlich etwas wert sind, wird jedoch stark angezweifelt. Ob es sie überhaupt je geben wird auch – denn angekündigt ist sie schon lange, der Start wird aber immer weiter nach hinten geschoben.
Peterson vs. Elmo: Der Hass ist leicht erklärt
Beschäftigt man sich etwas mit der Ideologie von Jordan Peterson, versteht man bald, warum er Elmo so sehr hasst. Elmo ist die Antithese zu all dem, wofür Peterson steht. Elmo steht für Inklusion und Empathie, Offenheit und Güte. All das sind Werte, die Peterson als Schwäche empfindet. Oder, um es in seinen Worten zu formulieren: “Schlangen verwenden Empathie als Tarnung”.
Es mag absurd wirken, aber: Bei sehr vielen Menschen findet Peterson immer noch Anklang. Etwa beim mittlerweile doch recht tief gefallenen Twitter-CEO Elon Musk. Der verbreitet selbst immer mehr rechte Verschwörungen und reagiert immer wieder auf die Aussagen des Kanadiers. Viele seiner Fans wissen aber wohl einfach nicht darüber Bescheid, wie weit Peterson mittlerweile in rechte Verschwörungsmythen abgetaucht ist.
Jordan Peterson ist ein Donald Trump mit intellektuellem Anstrich und schönerer Sprache. Die Knöpfe, die beide drücken, sind dieselben: Sie sehen sich beide als Opfer der verdorbenen, neuen westlichen Ideologie. Und gleichzeitig Retter der guten, alten westlichen Werte. Die vor allem daraus bestehen, dass weiße Männer das Sagen haben. Daraus hat Peterson auch früher nicht wirklich ein Geheimnis gemacht. Er hat es bisher nur gut verpackt.
Was beide auch gemeinsam haben: Man kann sie sehr leicht lächerlich finden. Über sie zu lachen macht aber die Gefahr, die von ihnen ausgeht, nicht kleiner. Denn beiden kleben viele Personen auf den Lippen. Peterson hat mittlerweile seine größte Stärke zumindest abgelegt: So zu tun, als meine er alles doch eigentlich ganz anders.
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