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Was steht in einem guten Nationalen Aktionsplan gegen Gewalt an Frauen*?

Wie kann Gewalt gegen Frauen* verhindert werden? Vor dieser Frage steht die österreichische Regierung bei der Ausarbeitung des neuen Nationalen Aktionsplans gegen Gewalt an Frauen. Wir haben mit denen gesprochen, die wissen, was es braucht: Hilfseinrichtungen und Gewaltschutzexpertin Birgitt Haller.

Der neue Nationale Aktionsplan (NAP) gegen Gewalt an Frauen soll von 2025 bis 2029 gelten. Was von der österreichischen Regierung als “Meilenstein für wirksamen Gewaltschutz” bezeichnet wird, ist auch in einer EU-Richtlinie festgeschrieben. Bis 14. Juni 2027 muss sie in nationales Recht umgesetzt werden. 

Was wird im Nationalen Aktionsplan gegen Gewalt an Frauen stehen?

Was in diesem Aktionsplan enthalten sein wird, wird erst ausgearbeitet. Frauenministerin Eva-Maria Holzleitner (SPÖ) hat bereits den sogenannten “Dick-Pic-Paragrafen” angekündigt, um jegliche Formen der sexuellen Belästigung auch online strafbar zu machen. Ebenso im Raum stehen Fußfesseln für Hochrisiko-Gewalttäter

Das Frauenministerium sieht den “NAP” von 2014-2016 als wegweisend. Der wurde unter ihrer SPÖ-Parteikollegin und damaligen Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek eingeführt. Eine der wichtigen Errungenschaften sei die Einführung der Straftatbestände gegen Zwangsheirat und Cybermobbing gewesen. 

Viele der Maßnahmen von 2014 halten die Expert:innen für sinnvoll. Auch, weil sie die Verantwortung für Gewalt gegen Frauen bei den männlichen Tätern verorten. Doch weder die Gewalt noch Femizide haben seither aufgehört. Ein wichtiger Teil des Themas wurde zudem nicht aufgegriffen: die Verantwortung und Sensibilisierung des Staates und seiner Institutionen wie Polizei und Justiz. 

Ebenso habe es bei der digitalen Gewalt andere Rahmenbedingungen gegeben als heute. So sollte alles, was im realen Leben nicht erlaubt ist, auch im digitalen Bereich nicht länger ungestraft bleiben. “Mädchen und Frauen sollen sicher in Österreich leben können, bei Gewalt gegen Frauen gibt es null Toleranz”, heißt es.

Von Safer Taxis bis zu kostenlosen Taschenalarmen

Das Regierungsprogramm hat noch mehr geplante Maßnahmen zu bieten. Ob sie alle im NAP stehen werden, wird sich noch zeigen. Die Gewaltschutzexpertin Birgitt Haller würde das jedenfalls begrüßen: “Wenn das umgesetzt wird, was im Regierungsprogramm in Bezug auf Gewaltschutz steht, dann ist es ein guter NAP”, erkennt sie an. Sie ist als ehemalige Leiterin und immer noch Mitarbeitende des Instituts für Konfliktforschung eine der wichtigsten Expert:innen auf dem Gebiet in Österreich. 

Geht es nach dem Regierungsprogramm, soll zum Beispiel in puncto Prävention bei der Bewusstseinsarbeit nicht nur physische und sexualisierte Gewalt mitgedacht werden, sondern auch psychische und emotionale Gewalt – und das nicht nur analog, sondern auch digital. 

Ebenso soll die Definition von “Femizid”, also die Ermordung einer Frau, weil sie eine Frau ist, überprüft werden, um bessere Statistiken erheben zu können. Weiter auf dem Plan stehen unter anderem der Aufbau von Gewaltambulanzen in allen Bundesländern, Maßnahmen gegen Zwangsehen, Verbot von Ehen unter 18, Anti-Gewalt-Trainings, “Sichere Taxis” mit speziell geschultem Personal, Selbstverteidigungskurse für Mädchen* und Frauen* oder auch der Schutz von Frauen* im öffentlichen Raum, zum Beispiel durch kostenlose Taschenalarme. 

Eine weitere Neuheit: Es soll überprüft werden, ob das Betretungs- und Annäherungsverbot für Täter:innen rechtlich voneinander entkoppelt werden kann. Bisher konnte nur beides gemeinsam verhängt werden. Außerdem sollen die Verbote auch auf Stalking und den digitalen Raum ausgeweitet werden. Ein großer Schritt für Betroffene von Stalking. 

Männer- und Täterarbeit

Gewalt an Frauen* ist überwiegend männlich. Was nicht heißen soll, dass Männer* nicht auch von Gewalt betroffen sein können – ebenso überwiegend von Männern* ausgehend. Sowohl das Frauenministerium als auch die Männerberatung Wien, der Verein “NEUSTART” und die Gewaltschutzexpertin Birgitt Haller sehen Täterarbeit als elementar bei der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen* und Mädchen*. 

So fordert beispielsweise Psychotherapeut und Obmann der Männerberatung Wien Žiga Jereb, dass geschlechterreflektierte Arbeit mit Buben* und Männern* im neuen Nationalen Aktionsplan verankert wird. Ebenso soll es ausreichende psychosoziale Angebote geben. 

“Unabhängig davon, in welcher Form Buben* und Männer* begleitet werden, ist es entscheidend, geschützte Räume zu schaffen. Sie ermöglichen es, gewaltfördernde Dynamiken frühzeitig zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken”, fügt Jereb an. Es brauche positive Vorbilder für Männer, damit diese nicht auf schädliche Denk- und Verhaltensmuster – etwa aus der sogenannten „Manosphere“ – zurückgreifen würden. 

Schulungen für Entscheidungsträger:innen?

Das Ziel ist, Gewalt zu verhindern. Wird Gewalt ausgeübt, müssen die Institutionen angemessen darauf reagieren. Deswegen soll auch die Bewusstseinsbildung bei der Polizei, Gesundheits- und Pflegepersonal, Verkehrsangestellte, Justiz sowie für die Gastro ist im Regierungsprogramm verankert und damit hoffentlich auch Teil des neuen “NAP”. 

Im letzten NAP von 2014 gab es weder Sensibilisierungs-Workshops für Polizist:innen, um Gefahrensituationen besser einschätzen zu können, noch für Richter:innen und Jurist:innen. Zu oft kommen Täter mit Gewalt ungeschoren davon oder müssen nur geringe Konsequenzen tragen. Ein Fall in Belgien mit einem besonders milden Urteil für einen schuldig gesprochenen Vergewaltiger zeigte kürzlich, wie die Interessen der Täter über die der Opfer gestellt werden. 

Die Gewaltschutzexpertin kritisiert das fehlende Bewusstsein von Justiz und Polizei: “Wenn ich als Richterin nicht weiß, wie eine Gewaltbeziehung funktioniert, dann kann ich nicht korrekt einschätzen, was es heißt, dass die Frau sich schon dreimal getrennt hat und wieder zurückgeht. Es ist eine Gewaltbeziehung und die hat eigene Strukturen. Und wenn ich das nicht weiß, werde ich dem Fall nicht gerecht.” 

Nur mit Schulungen sei es allerdings auch nicht getan, fügt Haller hinzu: “Die Schulung ist das Eine – das Klima in der Polizeiinspektion ist das Andere. Wenn ich in der Polizeiinspektion einen Chef habe, der frauenfeindlich ist, dann werde ich als Polizist:in keine andere Haltung leben.”

Verschiedene Meinungen zum “Dick-Pic-Paragrafen”

Der “Dick-Pic-Paragraf” ging bereits in Begutachtung. Das heißt, dass Fachleute sich dazu einbringen konnten, bevor es zu einem richtigen Gesetz wird. Ziel ist, unerwünscht zugesandte Penisbilder zu verbieten.

Gewaltschutzexpertin Haller sieht Verschärfungen im Sexualstrafrecht grundsätzlich kritisch: “Ich halte nichts davon. Jede Evidenz spricht dagegen, dass das präventiv funktioniert.” Sie gebe aber auch zu, kein klares Bild von “Dick-Pic-Tätern” zu haben. Ihr sei es wichtig, dass Jugendliche nicht wegen des Versendens eines “Dick-Picks” kriminalisiert werden. Viel eher brauche es das Thematisieren von solchen Übergriffen und von Frauenfeindlichkeit beispielsweise in der Schule. Anders sei das bei dem Strafbestand “Beharrlicher Verfolgung” mit “Dick-Picks“.

Žiga Jereb von der Männerberatung Wien hingegen positioniert sich für das Vorhaben: “Wir unterstützen das Vorhaben eines ‘Dick-Pic-Paragrafen’ ausdrücklich und weisen darauf hin, dass auch männliche Jugendliche davon betroffen sind.”

Fußfessel für Hochriskotäter:innen?

Auch die Fußfessel (“elektronisches Tracking”) für Hochrisikotäter:innen wurde im Regierungsprogramm verankert. Die Maßnahme wird praktisch von allen Parteien unterstützt – an der Sinnhaftigkeit gibt es aber durchaus Zweifel. An der Umsetzung, besonders mit Blick auf internationale Erfahrungen, werde noch gearbeitet, so das Frauenministerium. 

“Besonders im Bereich der Arbeit mit Täter:innen und Gefährder:innen betont auch die Istanbul-Konvention die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit mit Opferschutzeinrichtungen”, erklärt Dina Nachbaur. Sie leitet bei “NEUSTART” die Gewaltpräventions-Beratung. Diese müsse immer Opferschutz-orientiert passieren.Das gilt gerade bei der Einführung einer Fußfessel für Hochrisikotäter:innen. Auch wenn es in erster Linie darum gehe, gewaltbetroffene Personen zu schützen, müsse darauf geachtet werden, dass auch Gefährder:innen nicht unverhältnismäßig eingeschränkt werden. Die Entscheidung über die Fußfessel müsse mit rechtsstaatlichen Prinzipien in Einklang stehen und internationale Erfahrungen damit berücksichtigen. 

“‘NEUSTART’ ist überzeugt, dass Maßnahmen wie Bewährungshilfe, Anti-Gewalt-Trainings und diversionelle Maßnahmen eher zu einem gewaltfreien Leben und einer erfolgreichen Resozialisierung beitragen als unbedingte Haftstrafen“, sagt Nachbaur. 

Der Weg hin zu einer gewaltfreien Gesellschaft ist noch ein weiter. Ob der NAP so ausgestaltet wird, dass er uns auf diesem Weg voranbringt, wird sich erst noch zeigen. 

* Das Sternchen soll verdeutlichen, dass es mehr als nur die zwei Geschlechter männlich und weiblich gibt, die ebenfalls von Gewalt betroffen sein können.


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