Im Haustür-Wahlkampf für Zohran Mamdani: "Wir bekommen zu spüren, wie mächtig die Milliardärsklasse ist"
Während seiner Ausbildung will Daniel die Erhöhung der Studiengebühren an seinem Hunter College nicht einfach hinnehmen. Im Kampf gegen die Politik der Uni lernt er Zohran Mamdani 2021 kennen. Die beiden organisieren sich in der Jugendorganisation einer linken Partei namens “Democratic Socialists of America” (DSA). Derzeit tritt Mamdani als Kandidat der DSA und der größeren Demokrat:innen bei der Wahl zum Bürgermeister von New York City an. Und Daniel koordiniert einen Teil des Haustürwahlkampfs für seine Kampagne. Die steht vor einem Erfolg, der noch vor wenigen Monaten als fast unmöglich gegolten hat.
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MOMENT.at: Das sind viele Freiwillige, die man organisieren muss. Wie koordiniert ihr die Unterstützer:innen?
Daniel: Unsere Teams sind eine Mischung aus erfahrenen Aktivist:innen und neuen Freiwilligen. Wir planen genau, in welchen Vierteln wir aktiv sind, wer welche Haushalte besucht und wie wir kommunizieren. Das funktioniert von Social Media über Flyer bis hin zu persönlichen Gesprächen. Im Vorwahlkampf haben wir uns besonders auf aktive Wähler:innen der Demokratischen Partei konzentriert, auf Mieter:innen, die von einer Mietpreisbremse profitieren würden, und junge Menschen und Familien, die sich für öffentliche Kinderbetreuung interessieren.
MOMENT.at: Du gehst regelmäßig von Tür zu Tür und weißt selten, wer dir auf der anderen Seite gegenübersteht. Wie reagieren Menschen auf die direkte Konfrontation mit linken Ideen?
Daniel: Von 70 Türen öffnen mir meist nur eine Handvoll Menschen, mit denen ein wirkliches Gespräch entsteht. Viele sind frustriert über Trumps autoritären Kurs und die Korruption, die Eric Adams vorgeworfen wird [Anm. d. Red: das ist der bisherige Bürgermeister von New York, der wegen Korruptionsvorwürfen und einer Anbiederung an US-Präsident Donald Trump keine Chance auf eine Wiederwahl in New York hat]. Sie wollen gern etwas verändern, wissen aber nicht, wie das in ihrem Alltag möglich ist. Fast alle klagen über steigende Mieten, teure Lebensmittel und die wachsende Ungleichheit. Bei den Gesprächen möchte ich nicht nur Zohrans politische Agenda vorstellen, sondern sie aus dem Gefühl der Machtlosigkeit holen und zeigen: Wir sind viele, die etwas ändern wollen.
MOMENT.at: Allein in Brooklyn wohnen über 2,5 Millionen Menschen. An jede Haustür zu klopfen, nimmt viel Freizeit in Anspruch. Warum unterstützt du Zohran Mamdani?
Daniel: Zohran hatte von Anfang an eine klare Botschaft: Der zentrale Konflikt in den USA besteht nicht zwischen „Einheimischen“ und Migrant:innen oder zwischen Schwarzen und Weißen Menschen. Sondern zwischen den Arbeiter:innen und den Milliardär:innen. Diese klare Rhetorik hat mich, wie viele andere, mobilisiert. Mittlerweile umfasst unsere Kampagne über 100.000 Menschen. 100.000 Menschen, die an Türen klopfen, um einen Kandidaten zu unterstützen, der ursprünglich nur hoffen konnte, überhaupt 100.000 Stimmen zu bekommen.
MOMENT.at: Seit dem 25. Oktober läuft die Bürgermeisterwahl. Stehen in der heißen Phase andere Stadtteile im Fokus?
Daniel: In den vergangenen Tagen haben wir uns besonders in Vierteln bewegt, in denen viele afroamerikanische, hispanische und indigenen Menschen leben. Unser Ziel war dabei immer, Menschen nicht nur zum Wählen zu bringen, sondern sie langfristig für eine progressive Politik zu gewinnen. Viele, die durch uns damit zum ersten Mal in Berührung gekommen sind, engagieren sich mittlerweile selbst in der DSA und in Gewerkschaften.
MOMENT.at: Hat sich die politische Stimmung in der Stadt dadurch verändert?
Daniel: Als wir Andrew Cuomo [Anm. d. Redaktion: Der frühere Gouverneur des Bundesstaats, der von vielen einflussreichen Demokrat:innen und Geldgeber:innen unterstützt wurde] bei den Vorwahlen hinter uns ließen, war die Freude darüber elektrisierend. Das hat viele Menschen aus ihrer politischen Trägheit geholt. Gleichzeitig spüren wir, wie mächtig die Milliardärsklasse in diesem Wahlkampf ist - und die schiere Menge an Geld, die gegen uns eingesetzt wird, um die Bürgermeisterwahl zu gewinnen. Eigentlich ist das ein gutes Zeichen. Wenn die Mächtigen Angst vor uns haben, dann machen wir etwas richtig.
MOMENT.at: Nicht nur die Überreichen wollen Zohran Mamdani verhindern. Wie wirkt sich die Bedrohung durch Trump und die extreme Rechte auf eure Arbeit aus?
Daniel: Trump und die aufkommenden faschistischen Bewegungen sind sehr ernst zu nehmen. Wir erleben Angriffe auf unsere Meinungsfreiheit, die politische Strafverfolgung von Studierenden und Kolleg:innen. Ich sehe täglich, wie Menschen von den ICE-Agenten verschleppt werden. Die dabei angewandte Gewalt ist erschreckend.
Wenn wir an der Haustür mit ihnen sprechen, fragen mich die Leute oft, wo das alles hinführen wird. Viele sehen Parallelen zu historischen Ereignissen der 1930er-Jahre in NS-Deutschland, in denen Menschen aus ihren Häusern vertrieben wurden. Eine der wichtigsten Aufgaben unserer Kampagne ist es, diese Menschen spüren zu lassen, dass sie nicht allein sind. Denn während sich die Mehrheit der Demokrat:innen größtenteils „tot stellt“, wollen wir als Demokratische Sozialist:innen zeigen, dass eine bessere Welt möglich ist. Wenn man den Mut hat, Politik anders zu machen.
MOMENT.at: Diese Politik wird mit der extremen sozialen Ungleichheit in New York City konfrontiert. Welche Herausforderungen siehst du für linke Ideen in der Stadt?
Daniel: NYC ist eine der reichsten Städte der Welt, mit der Wall Street, einem riesigen Polizeiapparat und einer extrem mächtigen Wirtschaftselite. Gleichzeitig drohen unter Trumps autoritären Kurs aktuell Millionen Haushalte ihre Essens- und Gesundheitsleistungen zu verlieren. Zohran allein wird das nicht von einem auf den anderen Tag ändern. Wir wissen, dass das Kapital versuchen wird, ihn scheitern zu lassen. Wir müssen also sicherstellen, dass die Kampagne auch nach der Wahl ihren sozialistischen Kern nicht verliert.
MOMENT.at: Neben dem Haustürwahlkampf bist du in einer Gewerkschaft für Lehrer:innen aktiv. Wie wichtig ist gewerkschaftlicher Zusammenschluss unter Trumps autoritärer Politik?
Daniel: Die Gewerkschaft ist ein wichtiger Ort für Basisorganisation. Ich bin ein Fan von der sogenannten Basis-Strategie, bei der Veränderung von unten kommt. Wenn die Arbeiterbewegung demokratisiert und kämpferisch ist, könnte sie kritische Wirtschaftszweige blockieren. Diese Dynamiken sehen wir aktuell bei den Stadtangestellten von New York City oder bei Pflegekräften öffentlicher Spitäler. Während die Beschäftigten im öffentlichen Dienst vermehrt Demonstrationen und Protestaktionen nutzen, um mehr Mitsprache und faire Löhne zu fordern, greifen Pflegekräfte in öffentlichen Spitälern zu härteren Mitteln wie Streikdrohungen oder kurzzeitigen Arbeitsniederlegungen, um auf Personalmangel und Überlastung aufmerksam zu machen. Das zeigt einen der großen Vorteile einer offenen klassenkämpferischen Kampagne wie unserem Haustürwahlkampf: Menschen werden inspiriert, auch in ihrem Arbeitsumfeld aktiv zu werden und sich gegen Ausbeutung zu wehren.
MOMENT.at: Was könnten progressive Bewegungen in Europa aus eurer Arbeit lernen?
Daniel: Ein zentraler Punkt ist, dass wir bewusst daran arbeiten, die Arbeiter:innenbewegung zu stärken. In New York City haben wir in den letzten Jahren gezielt versucht, strategische Sektoren anzusprechen und Beschäftigte an der Basis zu befähigen, selbst aktiv zu werden. Ein starkes Arbeitskräfte-Netzwerk kann ein Bollwerk gegen den Aufstieg der extremen Rechten sein. Das ist ein international relevanter Gedanke.
MOMENT.at: Welche Erfahrungen geben dir Hoffnung in deinem Aktivismus?
Daniel: Durch Zohrans Kampagne habe ich so viele beeindruckende Menschen aus allen Teilen der Stadt getroffen, die durch ein gemeinsames Ziel vereint waren: eine stärkere Bewegung aufzubauen, um für ein besseres New York und eine bessere Welt zu kämpfen. Ich sehe dadurch definitiv Anzeichen für einen progressiven Wandel in der Stadt. Wir sind jetzt in der Offensive gegenüber dem Establishment-nahen Flügel der Demokratischen Partei. Damit Zohran Erfolg haben kann, müssen die Menschen, die ihn gewählt haben, weiter aktiv bleiben und für eine Agenda kämpfen, die nicht nur seine, sondern die der arbeitenden Bevölkerung New Yorks ist.
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