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Demokratie

Faktencheck: Krone fantasiert von "Völkerwanderung" nach Wien

Faktencheck: Krone fantasiert von
Verheddert im Zahlenwirrwarr des Integrationsfonds: Die „Krone“ veranalysiert sich zu einer „innerösterreichischen Völkerwanderung“. Aber um die Wahrheit geht es vielleicht auch nicht. Lukas Gahleitner-Gertz klärt auf.

Es gibt Artikel, da reibt man sich nach dem Lesen die Augen: Was zum Teufel hat man da eben gerade gelesen? Verzweifelt versucht man, die Kritik am Artikel zu formulieren, aber man scheitert: Nicht weil das Argument so gut ist, sondern weil die präsentierten „Fakten“ so wirr, offensichtlich falsch und nebensächlich sind. Aber: Wer das nicht schon weiß, für den wird die Geschichte scheinbar glaubwürdig erzählt - und nur darum geht es in Wahrheit auch.

Besonders Diskussionen zum Thema Asyl und Integration ähneln einer Partie Taubenschach: Auch wenn man ernsthaft ein Spiel mit einer Taube versuchen will, es gelingt nicht: Der Vogel stolziert über das Spielfeld, schmeißt die Figuren um und zieht triumphierend von dannen, nicht ohne noch ihr Geschäft auf dem Spielfeld verrichtet zu haben.

Mit dem Artikel „Asylbescheide lösen kleine ‚Völkerwanderung‘ aus“ ist die „Krone“ die Taube. Sie erzählt uns: „Erstmals“ gebe es nun Zahlen, die „ein Bild“ zeichnen würden, „das viele erahnten, aber niemand belegen konnte.“ Bis die „Krone“ zur Tat schritt und anhand einer Spezialauswertung durch den Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) „bemerkenswerte Muster“ erkannte. Es gebe zwischen den Bundesländern „auffällige Verschiebungen“, „noch spektakulärer“ sei nur „die Frage nach dem Ziel“.

Grundsätzlich ist es ratsam, der Taube nicht zu viel Aufmerksamkeit zu schenken. Wenn aber die Taube das meistgelesene Medium des Landes ist, braucht es einen Faktencheck.

Völkerwanderung? Moosbrunn zieht nach Wien

Moosbrunn ist eine von 33 Gemeinden im Bezirk Bruck/Leitha. Mit 1.808 Einwohner:innen zählt sie zu den überschaubar großen der 573 Gemeinden in Niederösterreich. Würden alle Moosbrunner:innen innerhalb eines Jahres nach Wien ziehen, so würde das zweifellos zurecht einiges an Aufmerksamkeit erregen. Aber von einer „Völkerwanderung“ würde bei einem Wohnsitzwechsel von 0,02% der Bevölkerung Österreichs in die Bundeshauptstadt würde wohl niemand sprechen.

Die Krone aber schreit bei genau so einer Situation: „Innerösterreichische Völkerwanderung“ und bebildert die Ausführungen reißerisch:

Zusammengefasst: Von den 3.930 Personen, die laut „Krone“ in den Bundesländern außerhalb Wiens im Jahr 2024 mit Abschluss des Asylverfahrens einen Schutztitel erhalten haben sollen, seien 46% in ein anderes Bundesland gezogen.

Heruntergebrochen ergibt das eine Gruppe von 1.808 schutzberechtigten Personen. Die kommen aber nicht etwa aus einer einzigen Gemeinde wie Moosbrunn, sondern aus dem gesamten Bundesgebiet. Und großteils sind sie nach Wien gezogen.

Im selben Zeitraum haben übrigens laut Statistik Austria über 10.000 österreichische Staatsbürger:innen aus Niederösterreich ihren Wohnsitz nach Wien verlagert, 1.230 Steirer:innen nach Kärnten und fast 2.000 Wiener:innen ins Burgenland. Wenn man so will muss es wohl heißen: Wohin man auch blickt, überall Völkerwanderungen.

Eine "gute" Geschichte, aber die Zahlen sind nicht belastbar

Die Datengrundlage der „Krone“, die nun „erstmals“ über Zahlen verfügte, stammt vom Österreichischen Integrationsfonds. Betrachtet man die in Faksimile abgedruckten Daten genauer, wird man stutzig: So ist die Gesamtzahl der Personen, die seit 2022 subsidiären Schutz erhalten haben, nicht wie in der Tabelle angegeben 14.757, sondern laut Innenministerium 23.454.

Auch die Angabe, dass lediglich 3.930 Personen in allen Bundesländern außerhalb Wiens Schutz bekommen haben sollen, kann nicht den Tatsachen entsprechen: 2024 haben etwa 25.000 Menschen Schutz in Österreich erhalten. Da in Wien aber nur 20% aller Asylwerber:innen in Grundversorgung sind, ist es vollkommen unrealistisch, dass nur 15% in allen anderen Bundesländern gelebt haben sollen. Einen Hinweis, dass das „erstmals“ vorliegende Datenmaterial mit Vorsicht zu genießen ist, gibt ein Erklärsatz über der Grafik:

Der ÖIF hat also lediglich Daten zu Personen, die bei ihm „vorstellig“ waren. Es handelt sich daher lediglich um einen selektiven Einblick des Österreichischen Integrationsfonds. Weitere Hinweise zur Datenerhebung oder Methodik finden sich weder auf der Website des ÖIF noch im Artikel in der Kronen Zeitung.

Zahlen hin oder her - eigentlich geht’s um die Sozialhilfe

Erst gegen Ende des vermeintlichen Völkerwanderungsartikels kommen wir zum Kern: Die Ausländer in der Sozialhilfe. Anekdotische Erzählungen und nicht zuordenbare Zitate bringen das Motiv der vermeintlichen Völkerwanderung hervor, denn: „sie klingen eindeutig.“

Es seien einzig die Sozialleistungen – Wien stockt subsidiär Schutzberechtigte auf die Mindestsicherung auf – seien der Grund. (Wien wird diese Praxis wie auch Tirol aber mit Ende 2025 beenden.)

Was man in der Krone nicht liest

Im Artikel findet sich kein Wort dazu, dass etwa Niederösterreich subsidiär Schutzberechtigte vier Monate nach Abschluss des Verfahrens aus den organisierten Quartieren wirft. Der niederösterreichische Markt für Wohnungen, die um 165 Euro Mietgeld zu haben sind, ist aber überschaubar. Die niederösterreichische Landesregierung setzt praktisch darauf, dass die Menschen nach Wien gehen.

In einem Seitenhieb wird auf die fehlende Veröffentlichung des Jahresberichts 2024 zur Wiener Mindestsicherung hingewiesen - ohne zu erwähnen, dass die Daten bereits im Bericht des Sozialministeriums einsehbar sind. Man muss kein Freund des Stadtrat Hackers sein, um zuzugestehen, dass die Wiener MA40 die mit Abstand transparenteste Sozialleistungsbehörde aller Bundesländer ist: Hier werden monatsaktuell die Daten zur Mindestsicherung und den Bezieher:innen, nach einzelnen Merkmalen filterbar, veröffentlicht.

Dass es eine Konzentration der subsidiär Schutzberechtigten in Wien gibt ist nicht erst seit der „erstmals“ vorliegenden, etwas sonderbaren Datenauswertung des ÖIF, sondern seit Jahren allgemein bekannt und öffentlich einsehbar. Zusammengefasst falle laut Krone die „Bewegung bei den subsidiär Schutzberechtigten“ zur Wiener Mindestsicherung „besonders stark“ aus.

Bei Betrachtung der öffentlich einsehbaren aktuellen Monatsstatistiken der MA40 muss man aber feststellen, dass die Anzahl der subsidiär Schutzberechtigten in der Wiener Mindestsicherung im letzten Jahr nicht zugenommen, sondern abgenommen hat: von 12.120 auf 9.476.

Die Anzahl der subsidiär Schutzberechtigten, die in Wien Mindestsicherung erhalten, ist in nur einem Jahr um etwa 2.600 Personen geschrumpft. Und das trotz der vermeintlichen „innerösterreichischer Völkerwanderung“ nach Wien.

Manchmal haut einem die Realität die besten Geschichten kaputt. Die Krone schreibt sie verlässlich trotzdem. Die nächste Runde Taubenschach kommt bestimmt.

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