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Gesundheit
Kapitalismus

Impf-Patente in der Pandemie: Brauchen wir sie oder nicht?

Angesichts der globalen Corona-Pandemie ist eine Diskussion über den Sinn strenger Patente für Impfstoffe entbrannt. Eigentlich sollen Patente Innovationen in der Arzneimittelherstellung ankurbeln. Gleichzeitig scheinen sie einer effektiven Bekämpfung der Seuche im Weg zu stehen. 

Je länger die Corona-Pandemie andauert, desto drängender wird die Frage, ob Patentrechte während einer Pandemie ausgesetzt werden sollten. Bereits im ersten Jahr der Pandemie beantragten Indien und Südafrika im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) ganz allgemein die Aussetzung von geistigen Eigentumsrechten auf Hilfsmittel gegen die Covid-19-Pandemie. Organisationen wie Ärzte ohne Grenzen unterstützen dieses Anliegen seither, zuletzt auch anlässlich der neuen Omikron-Variante. Eine entsprechende Anpassung der diesbezüglichen WTO-Regeln scheitert allerdings bislang vor allem Veto der EU. Die USA hingegen haben sich inzwischen offen dafür gezeigt.

Die Debatte dreht sich hauptsächlich um die Frage, ob Patente neue Entwicklungen fördern oder behindern. Für die Förderung spricht die Grundidee: Sie schützen zeitlich begrenzt ein Monopol auf die Nutzung einer neuen Technologie und damit darauf basierende Geschäftsmodelle, dafür wird das Wissen mit Zuerkennung des Patents offen zugänglich. 

Eine noble Idee zu haben, heißt noch nicht, dass die Welt sich auch an sie hält. Es spricht auch einiges dafür, dass Patente den technischen Fortschritt aufhalten:

#1 Sie erschweren Innovationen, die auf anderen Patenten aufbauen

Der übermäßige Schutz von geistigem Eigentum (“Immaterialgüter” wie Patente und Urheberrechte) wird vor allem unter dem Begriff der „Anticommons“ diskutiert. Das Problem wurde für den Bereich biomedizinischer Forschung bereits 1998 beschrieben: verschiedene Patentinhaber blockieren sich wechselseitig. Zu starke Patentrechte stehen Innovation damit im Weg. Die für die Nutzung einer Technologie notwendigen Rechte zu erwerben, kann hohe Kosten verursachen – sofern Rechteinhaber überhaupt dazu bereit sind, Lizenzen zu vergeben. Besonders bei komplexen Technologien oder Grundlagentechnologie erschwert das Innovation. 

#2 Patentieren als Strategie

Es gibt Patentportfolios, die gar nicht hauptsächlich dazu gedacht sind, eigene Erfindungen und ihr Vermarktung zu schützen. Sie sollen vielmehr die eigene Marktposition vor Konkurrenten schützen. Vor allem große, marktführende Unternehmen patentieren “strategisch”. Sie erhöhen durch eine große Zahl an Patenten die Hürden, in ihren Markt einzusteigen und wappnen sich mit eigenen Patenten gegen Patentklagen von Mitbewerbern​. Vor allem für neue und kleinere Unternehmen sind Patentportfolios von etablierten Marktführern eine Gefahr: die bloße Klagedrohung eines großen Konzerns ist für kleine, innovative Startups schon existenzbedrohend, weil Investoren das Risiko von Rechtsstreitigkeiten scheuen.

Diese Gefahr ist nicht theoretisch. Sie lässt sich zum Beispiel bei Softwarepatenten beobachten. Die bedrohen Unternehmen, die mit Open-Source-Software arbeiten. Denn freie und Open-Source-Software ist prinzipiell nicht patentierbar. In der Vergangenheit haben etablierte Software-Unternehmen mit der Behauptung, sie hätten Patentrechte an Teilen des Quellcodes von Open-Source-Software wie Linux, neue Wettbewerber bekämpft. Mit dem Open Invention Network wurde deshalb sogar eine eigene Organisation gegründet, die für Open-Source-Unternehmen potenziell gefährliche Patente aufkauft und diese im Falle einer Klage quasi “zur Verteidigung” kostenlos zur Verfügung stellt.

#3 Patent-Trolle

Patent-Trolle sind Firmen, die selbst überhaupt keine Innovationsziele verfolgen. Sie kaufen Patente nur, um diese durch Lizenzforderungen und Klagen wegen vermeintlicher Patentverletzung zu Geld zu machen. Das Fazit einer aktuellen Studie zu solchen Patent-Trollen ist eindeutig: “Betroffene Firmen verringern ihre Bemühungen um Innovation nach einer Einigung bedeutend.”

Patente fördern nicht automatisch Innovation

Patente fördern Innovation also nicht automatisch. Welche Folgen sie für Innovation haben, hängt vom Schutzniveau, der Technologie(komplexität), der Wettbewerbssituation und vielen weiteren Faktoren ab. 

Dementsprechend stark gehen auch in der Forschung zu Patenten die Meinungen auseinander. Einerseits messen viele Studien die Innovativität eines Unternehmens näherungsweise über die Zahl derer Patente. Damit setzen sie Patente quasi mit Innovation gleich. 

Andererseits gibt es neben Problemen mit dem „Patentdickicht“ oder den erwähnten Patent-Trollen auch fundamentale Kritik: Etwa jene der marktradikalen Ökonomen Michele Boldrin und David Levine, die in ihrem Buch „Against Intellectual Monopoly“ überhaupt die Abschaffung von Patenten fordern.

Welche Folgen hat das Aussetzen von Patenten für die Pandemiebekämpfung?

Was lässt sich aus dieser Analyse für die konkrete Frage ableiten, ob Patentrechte während einer Pandemie ausgesetzt werden sollten? 

Zunächst einmal, dass die Frage sich nicht durch allgemeine Verweise auf (vermeintlich) innovationsfördernde Wirkung von Patenten entscheiden lässt. Entscheidend ist vielmehr, welche Folgen die Aussetzung oder Aufrechterhaltung von Patenten und anderen Immaterialgüterrechten mit Bezug zu Covid-19 in der akuten Pandemiesituation voraussichtlich haben. 

Auch hier lassen sich drei in der Debatte dominante Problemkreise identifizieren:

  1. Kritik an der Wirksamkeit der Aussetzung von Patenten
  2. die potenzielle Schwächung innovativer Dynamik
  3. das Ausnutzen von Marktmacht auf Grundlage von Patenten

Gezielt gestreute Mythen

Was die möglicherweise fehlende Wirksamkeit der Aussetzung betrifft, so beruht dieses vor allem auf dem teilweise gezielt befeuerten Mythos, dass es im Globalen Süden nicht genügend Kompetenzen für Impfstofferzeugung geben würde. Schon alleine ein Blick nach Indien, dem drittgrößten Arzneimittelproduzenten der Welt, entlarvt diesen Mythos als falsch – und das dürfte auch für die Herstellung von mRNA-Impfstoffen gelten. 

Ist die Verletzung des Investitionsschutzes eine Gefahr für künftige Innovationen? Diese Risiken wurden den betroffenen Unternehmen weitgehend durch direkte Förderung oder garantierte Abnahmemengen staatlich abgefedert. Ein weitreichendes Aussetzen des Patentschutzes erleichtert den Einstieg in die (Weiter-)Entwicklung von Impfstoffen sogar. Für Innovationsdruck sorgt die Pandemie schon von alleine. 

Pharmafirmen würden auch nach Aussetzen des Patentschutzes gutes Geld mit Impfstoffen verdienen. Die Margen könnten kleiner werden, aber das ist der Situation einer Pandemie durchaus angemessen. Denn mit dem Patentschutz einhergehende Marktmacht sorgt nicht nur für fragwürdige Preissteigerungen. Sie ermöglicht den Herstellerfirmen auch, Abnehmerländern restriktive Vertragsbedingungen zu diktieren. So verbot Pfizer Ländern wie Brasilien, ungenutzte Impfdosen zu spenden oder selbst gespendete Impfdosen anzunehmen. 

Fazit: Wir sollten Patente aussetzen

Die Pandemie erzeugt Zeitdruck und macht Innovationen nötig. Die Frage nach dem Aussetzen von Patenten stellt sich also immer dringlicher. Sowohl für die Produktion vorhandener als auch für die Entwicklung neuer Impfstoffe kann (zu starker) Patentschutz von Nachteil sein. Dass sich Patentinhaber mit aller Macht gegen ein Aussetzen stemmen, ist dabei nicht verwunderlich. Gleichzeitig wären Hauptprofiteure eines Aussetzens ebenfalls Pharma-Unternehmen – und potenziell wir alle. 

Gibt es eine Garantie, dass ein Aussetzen von Patenten zu einer besseren und global ausgeglicheneren Versorgung mit Impfstoff führen wird? Natürlich nicht. Ist es einen Versuch wert? Ich würde sagen ja.

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