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Ungleichheit
Demokratie

Gewalt gegen LGBTIQ-Personen: So queerfeindlich ist Österreich

Die Gewalt gegenüber queeren Menschen steigt deutlich an. Je sichtbarer die queere Community online wie offline wird, desto mehr Hass und Vorurteile bekommt sie ab. In Österreich wird diese Form von Gewalt erst seit kurzem erfasst und bleibt trotzdem oft unsichtbar und ungeahndet.

2. September 2022: Das Netz trauert. Der trans Mann Malte wird bei einem queerfeindlichen Angriff auf der Pride-Parade in Münster getötet. Malte wurde von einem Mann angegriffen, weil er sich schützend vor eine Gruppe lesbischer Frauen stellte, als der Täter sie beleidigte. Sechs Tage später erliegt er im Krankenhaus seinen Verletzungen. Drei Tage später wird ein Fall in Bremen öffentlich: Ein Jugendlicher verprügelt eine trans Frau in einer Straßenbahn. Auch sie muss mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus, mittlerweile geht es ihr besser.

Wer glaubt, dass sich Menschen mit Identitäten abseits der heterosexuellen Norm in Mitteleuropa sicher fühlen und sich sicher fühlen dürfen, liegt falsch. Eine EU-Studie aus dem Jahr 2020 belegt, dass 43 % der Befragten LGBTQIA-Personen persönliche Diskriminierung oder Belästigung wegen ihrer sexuellen Orientierung erfahren. Noch bedrückendere Zahlen lieferte der Bericht “Queer in Wien” der Wiener Antidiskriminierungsstelle aus dem Jahr 2015. Darin: 4 von 5 LGBTQIA-Personen wurden bereits im öffentlichen Raum beschimpft. Jede fünfte hat schon einmal einen körperlichen Angriff erfahren.

Queerfeindliche Gewalt: In Österreich nur verschwommen sichtbar

“Was für Heterosexuelle wahrscheinlich die Ausnahme ist, ist für uns Alltag”, sagt Emilia*, eine 29-jährige trans Frau aus Salzburg. Körperliche Gewalt sei dabei nur eine von vielen Gewaltformen, mit denen sie und ihre Community täglich zu kämpfen hat. “Mir wird fast wöchentlich eine Beleidigung nachgerufen, angespuckt werde ich alle paar Monate”. Emilia und viele Menschen aus ihrem Umfeld ignorieren die Angriffe zumeist, viele haben aufgrund der Alltäglichkeit eine dicke Haut entwickelt.

Dennoch hinterlässt jede Form von Aggression Schäden. “Die Gesellschaft bekommt das immer nur dann durch die Medien mit, wenn etwas wirklich Grausames passiert.” Einen körperlichen Übergriff hat Emilia zum Glück noch nicht erlebt. “Trotzdem habe ich auch schon einen Selbstverteidigungskurs gemacht”, sagt sie. Aber was macht der Staat, um seine Bürgerin vor Gewalt zu schützen?

Hassverbrechen gegen Queers werden erst seit kurzem dokumentiert

Bis 2019 wurde Gewalt, die sich klar gegen diskriminierte Minderheiten wendet, nicht einmal als solche behördlich dokumentiert – sie war auf dem Papier faktisch unsichtbar. Damit hinkte Österreich lange Zeit den völker- und europarechtlichen Vorgaben hinterher, die zum Beispiel in Deutschland, Frankreich oder Großbritannien längst umgesetzt wurden. Erst 2020 beschloss das Bundesministerium für Inneres, damals unter Karl Nehammer, ein Pilotprojekt, um Hassverbrechen – oder “vorurteilsbedingte Straftaten” – als Kategorie in die Strafakten einzuführen.

2021 wurde schließlich ein erster Bericht des Projekts über einen Zeitraum von einem halben Jahr (November 2020 – April 2021) veröffentlicht, der zumindest Straftaten mit dem Motiv Homo- oder Bifeindlichkeit erfasst. Eine weitere Kategorie im Bericht lautet „Geschlecht“, das allerdings neben weiblich und männlich nur “inter” oder “andere” als Subkategorien erfasst. Dabei sind trans Menschen laut der EU-Studie im Verhältnis zu anderen Gruppen innerhalb der Community statistisch gesehen besonders häufig von Gewalt betroffen. Wie oft sie in diesem Zeitraum Opfer von Hassverbrechen wurden, verrät der Bericht jedenfalls nicht.

Neben rassistischen Motiven nehmen Anti-LGBTQIA-Delikte einen verhältnismäßig geringen Anteil im Bericht ein – das liegt vor allem daran, dass das Projekt in Zeiten von Lockdowns anlief und queerfeindliche Gewalt, das bestätigt auch der Bericht, vor allem im öffentlichen Raum passiert. Rund die Hälfte der Straftaten aufgrund von Homo- oder Bisexualität fanden in dem Zeitraum trotzdem im öffentlichen oder halböffentlichen Raum statt.

Dunkelziffer von queerfeindlicher Gewalt oft viel höher: “Der Polizei vertrauen viele einfach nicht”

Nach dem Pilot des Projekts folgte 2022 ein Jahresbericht, der Hate Crimes in Österreich über das ganze Jahr 2021 erfasste. Darin wurde schließlich auch wenig überraschend deutlich, dass queerfeindliche Angriffe seit den Lockdowns wieder dramatisch zunehmen. Im Vergleich zu den 96 Straftaten, die im ersten Halbjahr der Erfassung begangen wurden, folgten im ganzen Jahr 2021 ganze 376. Mehr als eine Straftat pro Tag, den die Community und ihre Angehörigen ertragen müssen.

Die wenigen Berichte zu dem Thema sind sich bei einer Behauptung einig: die Dunkelziffer ist noch wesentlich höher. Denn Opfer von Hassverbrechen bringen Straftaten wesentlich seltener zur Anzeige. Die EU-Studie belegt das deutlich: 83% der befragten Betroffenen brachten darin den letzten Fall einer “hassmotivierte physische oder sexuelle Attacke” nicht zur Anzeige. Davon 38 % deshalb, weil sie nicht an eine Lösung oder Aufklärung des Vorfalls glaubten, 29% wegen fehlenden Vertrauens in die Polizei und 31 %, weil sie LGBTIQ-feindliches Verhalten durch die Polizei erwarteten.

Opfer fühlen sich nicht ernst genommen

“Ich werde ja schon schief angeschaut, wenn ich nur ein Präsidium betrete”, sagt Emilia. Ihrer Erfahrung nach werde sie aufgrund ihrer Geschlechtsidentität nicht ernst genommen. “Das ist manchmal fast noch erniedrigender als das Verbrechen selbst“. Auch das BMI gibt im Pilotbericht zu: “Die Wahrscheinlichkeit, dass Opfer Hassdelikte bei der Polizei anzeigten, war deutlich und statistisch signifikant geringer als bei Delikten ohne Vorurteilsmotive (44 gegenüber 62 Prozent).”

Auf Anfrage von MOMENT.at gibt das BMI an, einiges an Arbeit in den Vertrauensaufbau zu stecken. Ein E-Learning Modul “Hate Crime” sei von allen Beamt:innen verpflichtend zu absolvieren, zusätzlich gäbe es Newsletter mit LBTQIA-Schwerpunkten und Fortbildungen und Lehrgänge mit den Namen “Gleichstellung” oder “A world of Difference”. Auch diese seien verpflichtend. Die Ermittlung vorurteilsbedingter Straftaten sei innerhalb des Hate-Crime-Projekts jedenfalls zur “fixen Bestandteil der Arbeitsroutine der österreichischen Polizei. Man gibt sich optimistisch.

Queere Polizist:innen kaum sichtbar

Was auf Papier gut klingt, kommt laut Emilia allerdings kaum im Streifenwagen an: “Ich habe selten das Gefühl, dass Polizist:innen sonderlich sensibilisiert sind”, sagt sie. Das könnte auch daran liegen, dass bei der Polizei Mitarbeiter:innen fehlen, die durch den Arbeitsalltag für Nähe zur Community sorgen. Bis 2021 gab es noch den Verein “Gay Cops Austria”, bestehend aus queeren Polizist:innen, die sich auch interne Aufklärung auf die Agenda setzten. Der Verein wurde allerdings im Oktober vergangenen Jahres aufgelöst. Grund sei, dass sich zu wenig Polizist:innen beim Verein engagieren wollten.

Auch wer das Schlusswort des Pilotberichts des BMI liest, bekommt nicht den Anschein, als würde der Faktor Vertrauen in der Führungsetage von Ministerium und in den Präsidien mit der nötigen Ernsthaftigkeit behandelt. Darin heißt es: “Unterbliebene Anzeigen können, das sollte nicht vergessen werden, auch bedeuten, dass Menschen in der Lage sind, Probleme durchaus kompetent und friedlich ohne das Einschalten staatlicher Instanzen selbst zu lösen. Umgekehrt können „Anstiege“ an offiziell registrierter Kriminalität immer auch bedeuten, dass die Bevölkerung bestimmte Handlungen nicht mehr einfach hinnimmt und durch Anzeigen unter Beweis stellt, dass sie den Sicherheitsbehörden vertraut.”

Mario Lindner zu Gewaltprävention: “Es muss viel mehr unternommen werden”

Was die Dokumentation von Hassdelikten gegenüber queeren Menschen angeht, scheint das BMI dennoch zumindest einen ersten Schritt zu machen. Laut Mario Lindner, SPÖ-Sprecher für Gleichbehandlung, LGBTIQ und Diversität, müssen noch viele weitere folgen.

Die SoHo, Homosexuellenvereinigung der SPÖ, erfasst ebenfalls die Lage der Community betreffend Hate Crimes. Lindner geht davon aus, dass queerfeindliche Gewalt zunimmt: “Wir erleben eine Krise von LGBTIQ-Feindlichkeit, die wir uns vor einigen Jahren noch gar nicht hätten vorstellen können”, sagt er. Es brauche mehr niederschwellige Meldestellen und ausreichend Unterstützungs- und Sensibilisierungsangebote. Davon sei Österreich aber noch weit entfernt. Vielmehr würde die Arbeit in der Prävention und in der Betreuung von Opfern nach wie vor auf den ehrenamtlichen Bereich abgeschoben.

Ein Entschließungsantrag im Juni, eingebracht von Nationalratsmitgliedern der Regierungsparteien (ÖVP und Grünen), SPÖ und Neos hat im Juni zumindest bewirkt, dass Innen- und Justizministerium angekündigt haben, sich demnächst mit NGOs an einen runden Tisch zu setzen. Der soll im Herbst stattfinden und “konkrete Maßnahmen gegenüber LGBTI-Personen ausarbeiten”. Laut Lindner kommt der aber bereits zu spät und ist zu wenig, um der stetig wachsenden Bedrohung durch von queerfeindlicher Gewalt entgegenzuwirken. Neben einem mehrjährigen Aktionsplan gegen Hass brauche es auch mehr Rechtssicherheit in Form von noch umfassenderem Diskriminierungsschutz aufgrund der sexuellen Orientierung im Privatleben.

 

Queerfeindliche Gewalt: Auch Medien müssen dazulernen

Betroffene und Statistik sagen klar: Österreich kann noch eine Lernschwäche bezüglich queerfeindlicher Gewalt diagnostiziert werden. Emilia begrüßt zwar, dass etwas unternommen wird, bleibt aber skeptisch: “Mal sehen, was wir davon im Endeffekt spüren”. Sie wünscht sich auch, dass sich der mediale Umgang mit queerfeindlicher Gewalt bessert. Gerade im Boulevard und den Gratiszeitungen liest sie oft Schlagzeilen, die sie verärgern. “Da stimmen allein schon die Begrifflichkeiten nicht”.

So werde häufig von “Transsexuellen” gesprochen, ein Begriff, den viele trans Personen als abwertend und unpassend empfinden, weil “es ja gar nicht um die Sexualität, sondern um die Geschlechtsidentität geht”, so Emilia. Zudem werde oft massiv in die Privatsphäre der Betroffenen eingegriffen, vor allem dann, wenn es sich bei den Opfer um transidente Sexarbeiter:innen handelt. “Das bekräftigt nur das völlig falsche Vorurteile, dass wir alle in diesem Bereich arbeiten.”

Auch Deadnaming, also das Verwenden des alten Vornamens einer trans oder nichtbinären Person, werde besonders in der Klatschpresse betrieben. Für Emilia ist klar: “Grundsätzlich ist es gut, dass wir als Community immer sichtbarer werden, auch in den Zeitungen“. Leider schüre das aber auch Hass und Vorurteile. “Es darf nicht an uns liegen, dieses Problem aus der Welt zu schaffen”. Auch Malte, der verstorbene trans Mann aus Münster, wollte Angehörige seiner Community verteidigen, weil es sonst niemand tat – und musste dafür mit seinem Leben bezahlen.

*Name von der Redaktion geändert.

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