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Demokratie

Reden wir über, Sie wissen schon… 

Rassismus von Lehrern trifft die Schüler. Der Alltagsrassismus ist bis heute nicht aus den Schulen verschwunden.

Er ist gnadenlos, machtbesessen, verbreitet Angst und Schrecken. Wagt es jedoch jemand seinen Namen auszusprechen, droht demjenigen ein übles Schicksal. So wird nur in kleinen geheimen Kreisen über ihn geflüstert. Harry Potters Narbe an der Stirn schmerzt, wenn er in seiner Nähe ist. Es ist, Sie wissen schon, wen ich meine.

Nein, Lord Voldemort ist in der Mittelschule nicht allgegenwärtig, und auch leide ich nicht an hochgradigem Realitätsverlust. Aber wir haben auch ein Problem dieser Art. Kaum jemand spricht darüber, wenn nur in kleinen, wohlvertrauten Kreisen.  Wir schütteln die Köpfe und bestätigen einander Fassungslosigkeit. Dann stehen wir wieder in den Klassen. Denn von offizieller Seite hat es unser Problem lange nicht gegeben.

Wir haben ein Problem. Sie wissen schon.

Als in den Sommerferien Generation Haram von Melisa Erkurt erscheint, verschlinge ich das Buch innerhalb von 48 Stunden. Ein Buch, das das System Schule gebraucht hat. Denn die Autorin spricht unter anderem jenes Problem an, über das bis dahin immer noch Stillschweigen geherrscht hat.

Sie spricht über Rassismus. Über jenen Rassismus, der von Lehrer*innen ausgeht und die Schüler*innen bis ins Mark trifft. Über Alltagsrassismus, den es immer schon gegeben hat und der bis heute nicht aus den Schulen verschwunden ist.

Ein kurzer Rückblick

Ich unterrichte seit fast dreißig Jahren an der Mittelschule. Schon in der Ausbildung wurde uns von vielen Lehrer*innen vermittelt, dass früher alles besser war. Nämlich als die Schüler*innen noch Hansi, Lisi und Wolfgang hießen. Da war die schulische Welt noch im Lot. Aber wir, also die, die vor 30 Jahren zu unterrichten begonnen haben, würden diese Zeit der Hansis nie mehr erleben, unsere Realität werden Alis und Zehras sein.

„Meine Klassenliste liest sich wie das türkische Telefonbuch,“ hat mir eine meiner Betreuer*innen damals erklärt. Dazu kamen dann jene Kolleg*innen, die mir tatsächlich nahelegten meine Berufswahl zu überdenken. Noch hätte ich die Chance es mir anders zu überlegen. Das Lehrer*innnendasein wäre heutzutage, also vor 30 Jahren, kein Honiglecken mehr.

Ich habe mich zum Glück nicht abschrecken lassen. Ich empfand die Klassengefüge nie als defizitär. Im Gegenteil, ich hatte von Beginn an das Gefühl in wache, interessierte Augen zu gucken. Ich bewunderte von Anfang an den Mut und die Ausdauer dieser Schüler*innen. Was mich schon zu der Zeit abschreckte, war diese geballte Ladung an Rassismus. Würde ich das aushalten?

Die alltäglichen Bemerkungen

Nahezu 30 Jahre sind vorbei. Ich habe nicht nur an einer Schule unterrichtet. In zahlreichen Fortbildungen habe ich Kolleg*innen aus allen schulischen Bereichen kennengelernt. Es waren und sind großartige Kolleg*innen dabei, die mich bewusst oder unbewusst in meiner Berufswahl bestärkt haben oder bestärken.

Aber, mich umgeben in den unterschiedlichsten Settings auch jene, deren rassistische Haltung für mich immer unerträglicher wird. Deren Bemerkungen, die ihnen so im Laufe des Tages auskommen, mich kalt erwischen und verstummen lassen.

„Das wird man doch noch sagen dürfen,“ wurde und wird mir bis heute erklärt. Ich möge nicht so empfindlich sein. Schließlich sagt man das den Schüler*innen nicht ins Gesicht.

Also, das wird man doch noch sagen dürfen

Ja was eigentlich?

Diese Aufzählung zu vervollständigen würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Sie stellt einen minimalen Auszug aus unterschiedlichen Settings aus dreißig Jahren Unterrichtstätigkeit dar.

Es ist an der Zeit

Viel zu lange habe ich weggehört. Habe geschluckt, und wenn es mir tatsächlich zu heftig geworden ist, kopfschüttelnd das Lehrer*innenzimmer verlassen. Zu Beginn fühlte ich mich zu jung, zu unerfahren, um auf Bemerkungen dieser Art zu reagieren. Ich war zu feig und bin es heute zum Teil auch noch. Lange habe ich mich damit begnügt, Menschen mit dieser Gesinnung aus dem Weg zu gehen, sie in Gedanken zu blockieren. Lange glaubte ich, es würde reichen, Menschen mit dieser Haltung zu verachten. Dann habe ich begonnen vorsichtig das Gespräch zu suchen. Ab und zu wurde ich lauter. Bewirkt hat das leider nicht viel. Außer der Tatsache, dass mich, so ich im Lehrer*innenzimmer bin, eisiges Schweigen umgibt. Die Kolleg*innen tauschen sich dann maximal über ihre kleinen Wehwehchen aus.

In Wahrheit helfen solche Tür-und-Angelgespräche gar nichts. Es ist an der Zeit, dass Rassismus an Schulen zur Chefsache und nicht mehr verschwiegen wird. Lehrer*innen, die sich in dieser Art äußern, brauchen Hilfe. Denn die Aussagen, die oft verharmlost werden, spiegeln eine eindeutige Haltung wider.

Und ich?

Ich lerne, dass ich mir Verbündete suchen muss. Gemeinsam steht es sich leichter auf. Und zum Glück gibt es überall, in jeder Schule, in jeder Fortbildung, Menschen, die meine Ansichten teilen.

Die Autorin ist Lehrerin an einer Mittelschule in Wien.

 
Logo: Schulgschichtn, abgebildet sind Kreidestücke auf türkisem Hintergrund

Grafik Schulgschichtn

Über Schulgschichtn: Schulgschichtn ist ein Projekt von drei jungen NMS-LehrerInnen, Verena, Simone und Felix. Sie sagen: „Der gesellschaftliche und politische Diskurs über die Neue Mittelschule (NMS) ist uns zu einseitig, zu negativ, zu destruktiv. Deswegen sammeln wir auf unserem Blog schulgschichtn.com konstruktive Schulgeschichten! Wir bieten einen realistischen Einblick in sogenannte ‚Brennpunktschulen‘ und schaffen eine Plattform, auf der echte ExpertInnen zum Thema Schule zu Wort kommen.‘ Auf dem Blog finden Erfolgs- und Alltagsgeschichten genauso Platz wie das Aufzeigen von Problemen und systemischen Veränderungsvorschlägen. Die besten Geschichten erscheinen monatlich auf MOMENT.

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