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Arbeitswelt
Kapitalismus

Tellerwäscher bleibt Tellerwäscher: Der soziale Aufstieg wird immer schwieriger

Märchenstunde: Sozialer Aufstieg "vom Tellerwäscher zum Millionär" ist kaum noch möglich Foto: Wendelin Jacober/Pexels
Wer hart arbeitet, kann alles schaffen. Das ist das Versprechen, wie sozialer Aufstieg in einer Leistungsgesellschaft geschieht. In Wahrheit wird es aber immer schwieriger, sich die Lebensumstände zu verbessern. Ein Kommentar von Vincent Perle.

Wohlstand, Bildung, Gesundheit und Prestige: Das könne heute doch jede:r erreichen. Man muss nur hart genug dafür arbeiten. Zumindest hören wir das ständig. Nicht zuletzt in Form des angeblichen Aufstiegs vom Tellerwäscher zum Millionär, dessen Geschichte uns auch der ein oder andere Hollywood-Schinken verkaufen will. Die gesellschaftliche Wirklichkeit ist heute freilich eine andere.  

Aufzug außer Betrieb

Vor einigen Jahren war das noch anders. Während der ersten Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkrieges konnte man in vielen westlichen Industrienationen eine erhöhte soziale Mobilität beobachten. Das Versprechen des Aufstieges wurde Realität. Lebensstandard und Konsummöglichkeiten verbesserten sich stetig. Die Kinder sollten es einmal besser haben – und hatten es besser. 

Der deutsche Soziologe Ulrich Beck sprach in diesem Zusammenhang von einem „Fahrstuhleffekt“. Ein anwachsender materieller Wohlstand, mehr Freizeit und bessere Bildungschancen sorgten dafür, dass es zu einem gemeinsamen sozialen Aufstieg kam. Breite Bevölkerungsschichten kamen dadurch zu einem bescheidenen Wohlstand. Ihr Anteil am gesamten Reichtum blieb mehr oder weniger gleich.

Spätestens ab den 1980er-Jahren blieb dieser Fahrstuhl aber stecken. Hohe Arbeitslosigkeit über viele Jahre, mehr schlecht bezahlte Jobs, und zuletzt noch die Teuerung. Große Teile der Bevölkerung sind mit prekären Lebens- und Arbeitsbedingungen konfrontiert. Statt von Aufstiegsmöglichkeiten zu profitieren, sind sie vom sozialen Abstieg bedroht.

Klebriger Boden, klebrige Decke

Eine OECD-Studie aus dem Jahr 2018 unterstreicht diesen Befund. Sie zeigt nicht nur auf, wie niedrig die „soziale Mobilität“ in den meisten Industrienationen heute ist, sondern auch, dass diese in den vergangenen Jahrzehnten deutlich abgenommen hat. 

Wer sich in der Gesellschaft weiter unten befindet, bleibt oft am Boden „kleben“. Niedriges Einkommen, eine schlechte gesundheitliche Verfassung und ein niedriger Bildungsgrad werden stark vererbt und sorgen dafür, dass Kinder, die in entsprechende soziale Verhältnisse geboren werden, diesen nur sehr schwer entkommen können. Das gilt im Übrigen auch für Österreich, das in puncto soziale Mobilität schlechter abschneidet als viele andere OECD-Länder. Entstammt ein Kind beispielsweise einer Familie, die zu den untersten 10 Prozent der Einkommensverteilung zählt, bräuchte es im Schnitt fünf Generationen, um das Durchschnittseinkommen zu erreichen. 

Klebrig ist aber nicht nur der Boden der Gesellschaft, sondern auch die Decke. Wer in sehr wohlhabende, hochgebildete und gut vernetzte Verhältnisse geboren wird, hat gute Aussichten, sein ganzes Leben dort zu verbringen und muss sich kaum vor gesellschaftlichem Abstieg fürchte. Selbst wenn Jugendliche und junge Erwachsene im Leben auf die schiefe Bahn geraten, werden sie durch den Reichtum der Eltern aufgefangen. Wer als Sohn reicher Eltern Drogen verfällt, bekommt die teuerste Entzugsklinik bezahlt. Und steigt Jahre später trotzdem ins Familienunternehmen ein. Wer arm ist, und das wegen einer schweren Kindheit tut, kommt höchstwahrscheinlich ins Gefängnis. Ein Leben in Armut ist damit schon fast vorgezeichnet. 

Zwischen diesen beiden Polen finden sich die Angehörigen der Mittelschicht wieder, wo heute vor allem jene am unteren Ende verstärkt von einem sozialen Abstieg bedroht sind. 

Einzementierte Ungleichheit statt sozialer Aufstieg

Die Erzählung, sozialer Aufstieg sei eine Frage des Willens und der Bereitschaft zu harter Arbeit, mag für einzelne stimmen. Für die Mehrheit bleibt sie aber eine Lüge. Kaum ein Tellerwäscher schafft es tatsächlich zum Millionär. Eine Tellerwäscherin schon gar nicht. Diese Geschichte wird trotzdem erzählt. Sie rechtfertigt Ungleichheit – „manche hätten sich eben mehr angestrengt“. Tatsächlich aber verschleiert sie die gesellschaftliche Wirklichkeit, versucht den Betroffenen die Schuld an finanziellen Nachteilen in die eigenen Schuhe zu schieben. 

Soziale Ungleichheit ist heute fester einzementiert als noch vor ein paar Jahrzehnten. Wer reich geboren wird, wird oft noch reicher, wer arm geboren wird, bleibt mit hoher Wahrscheinlichkeit arm . Zurückzuführen ist das etwa auf Ungleichheiten im Bildungssystem, die fehlende Besteuerung von Erbschaften oder auf Arbeitslosenzahlungen, die kaum zum Leben reichen. 

Von der Meritokratie – der Leistungsgesellschaft – fällt unsere Gesellschaft zurück in die Plutokratie – die Herrschaft der Reichen. Nicht Leistung, sondern vererbbares Vermögen bestimmt über die Möglichkeiten des Einzelnen im Leben. Auch deshalb braucht es eine Vermögensteuer, um den Rückfall in mittelalterliche Gesellschaftstrukturen zu verhindern.

 

Vincent Perle ist Gastforscher am Momentum Institut.

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