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Demokratie

7 Dinge, die wir aus dem Wahlergebnis lernen

Der Wahlabend ist vorbei. Die Wahlanalyse hat begonnen. In sieben kurzen Absätzen fassen wir zusammen, was wir aus dem Ergebnis der österreichischen Nationalratswahl 2019 gelernt haben.

1) Keine Verfassungsmehrheit mehr für ÖVP, FPÖ und NEOS

In wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen sind ÖVP, FPÖ und NEOS weitgehend einig: Senkung von Steuer- und Abgabenquote unter dem Schlagwort der “Entlastung”. Entlastet werden aber nicht die Normalverdiener, sondern in erster Linie die Unternehmen. Die Folge ist absehbar: durch die geringeren Einnahmen wird die Finanzierungslücke des Sozialstaats künstlich vergrößert. Vor der Wahl versuchte diese neoliberale Allianz, die über eine knappe Zweidrittelmehrheit verfügte, noch schnell sicher zu stellen, dass auch künftige Regierungen an dieser Politik festhalten müssen. Dazu sollte die Verankerung einer “Schuldenbremse” in der Verfassung dienen. Was sich gut anhört, ist in Wirklichkeit ein Instrument, um demokratische Mitbestimmung auszuhebeln. Die Schuldenbremse ist nämlich nur dazu da, die Budgetkompetenz des Parlamentes einzuschränken. Vor der Wahl hat das zum Glück nicht mehr funktioniert, nun ist die Zwei-Drittel-Mehrheit der drei Parteien dahin.

2) Die FPÖ scheitert einmal mehr an ihrer eigenen Wählerstruktur

Die Arbeiterpartei im Land ist einmal mehr die FPÖ. Dieser Erfolg ist freilich tückisch. Das Wahlmotiv “Ausländer raus” funktioniert nur so lange, als die selbsternannte “Partei des kleinen Mannes” nicht selbst Politik macht. Als Regierungspartei scheitert die FPÖ nun einmal mehr daran, dass ihre proletarische Wählerschaft sich verraten fühlt: Für die nämlich haben Strache & Co einen Zwölf-Stunden-Tag eingeführt. Wie im Ibiza-Video zu sehen war, hätte man auch ohne zu zögern dem bestzahlenden Investor weitere Goodies auf Kosten der eigenen Wählerschaft zugeschanzt. Währenddessen führte die Führungsclique der FPÖ ein Leben in Saus und Braus. Dafür bekam die Partei jetzt die Rechnung präsentiert.

3) ÖVP-Wählerschaft verzeiht ihrer Partei das Kuscheln mit den Millionären

Die Inszenierung von Sebastian Kurz als Politheiland hat in seinem Milieu funktioniert. Ohne konkrete Ansagen, dafür mit jeder Menge windiger Finanzierungskniffe im Vorfeld hat die ÖVP abgeräumt. Warum? Offensichtlich, weil die Mehrheit ihrer WählerInnen mit Politkorruption kein großes Problem hat, sie gewissermaßen für “part of the game” hält. Überdies ist die ÖVP authentisch geblieben: sie hat nicht versucht, sich als Partei der NormalverdienerInnen zu inszenieren, stattdessen ist sie geblieben was sie immer war: die politische Vertretung der “besseren Leut”. Denjenigen, die harte rechte Kante ebenso schätzen wie mondäne Umgangsformen, hat die ÖVP ein passgenaues Angebot gemacht.

4) Die SPÖ steht vor den Trümmern ihres Wankelmutes

Die SPÖ fährt das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte ein – und der Parteivorsitzenden fällt angesichts dieses Desasters allen Ernstes ein: “die Richtung stimmt”. In Wirklichkeit stimmt gar nichts. Die SPÖ ist organisatorisch in einem desaströsen Zustand. Sie hat kein klares weltanschauliches Profil, weiß nicht wen sie vertritt und trägt einen Bauchladen politischer Forderungen vor sich her, der alle ansprechen will und niemand begeistert. Hinzu kommt ein veritables Personalproblem. Die Frage ist, wie lange die Gewerkschaften es sich leisten können, diesem Trauerspiel weiter tatenlos zuzusehen – und wie viel Zeit den Jungen noch bleibt, das Ruder doch noch herumzureißen. Nächstes Jahr geht es um Wien. Fällt die Bundeshauptstadt, wird die Sozialdemokratie sich davon so schnell nicht mehr erholen.

5) Die Grünen sind wieder da – fragt sich nur wie lange

Auf den ersten Blick ist den Grünen ein glorioses Comeback gelungen. “Jetzt” hat nicht nachhaltig überzeugt, auch die SPÖ war nicht in der Lage, dem grünaffinen Teil ihrer Wählerschaft von 2017 ein überzeugendes Angebot zu machen. Bei näherer Betrachtung haben die Grünen es aber versäumt, aus den Ursachen ihres Wahldebakels 2017 konkrete Lehren zu ziehen: in der Partei gibt es starke Zentrifugalkräfte und programmatisch allenfalls einen kleinsten gemeinsamen Nenner statt eines großen gemeinsamen Ganzen. Überdies hat die Partei ihre organisatorischen Probleme auf die lange Bank geschoben, um internen Zwist zu vermeiden. Ob sie diese Defizite jetzt, wo gefühlt alles wieder in Ordnung ist, in Angriff nehmen wird, darf eher bezweifelt werden.

6) Die Unterschiede zwischen Stadt und Land nehmen weiter zu

Schon bei der letzten Nationalratswahl 2017 waren die Unterschiede zwischen den Ballungsräumen und den Landgemeinden groß: die Hochburgen der Rechten, das waren und sind die Kleingemeinden. Die Linke hat dagegen am ehesten in den Städten etwas zu gewinnen. Diese Faustregel hat sich auch jetzt bewahrheitet. Österreichweit hat Türkisblau 2019 rund 4% verloren, in Wien aber um die Hälfte mehr, nämlich 6%. Wenn man die Verschiebung von Mitte-Rechts (ÖVP, Neos und FPÖ) zu Mitte-Links (SPÖ, Grüne und Jetzt) vergleicht, wird der Unterschied noch deutlicher: wanderten auf Bundesebene 2,7 Prozentpunkte von mitte-rechts nach mitte-links, waren es in Wien 4,1 Prozentpunkte.

7) Die FPÖ ist politisch unbesiegt

Es ist nicht das erste Mal, dass die FPÖ nach einer Regierungsbeteiligung an der Wahlurne abgestraft wurde. Aber das blaue Debakel ist keineswegs ein absolutes. Insgesamt ist die Partei mit zehn Prozent Verlust als Strafe für einen Morast an persönlicher und parteilicher Bereicherung noch überaus glimpflich davon gekommen. Es wird dauern, wieder sicheren Tritt zu fassen. Aber der Bedarf an Hasspredigern ist ungebrochen – und die FPÖ nur allzu bereit ihn zu stillen.

 

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