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Sind "regionale Produkte" wirklich regional?

Heute gibts mal eine kleine Lehrstunde in Sachen „nicht geschützte Begriffe“. BIO zum Beispiel, das ist in der EU ein geschützter Begriff für Lebensmittel. Wo BIO draufsteht, MUSS Bio drin sein – das heißt, die Inhaltsstoffe müssen der Bio-Richtlinie der EU entsprechen!
Doch es gibt einen anderen Begriff, der vor allem in den vergangenen zwei Jahren viel, viel beliebter als „Bio“ wurde. Und dabei ist er viel problematischer: Es geht um das Wort “regional”.
 

Regionalität ist einer der wichtigsten Kaufanreize bei Lebensmitteln. Eine Umfrage der Universität Linz im Jahr 2020 ergab: fast die Hälfte der Befragten war überzeugt, dass Regionalität bei der Wahl der Lebensmittel SEHR viel wichtiger geworden ist.

Regionale Produkte sind ein konsumfördernder Faktor

Eine Spectra-Umfrage besagt außerdem, dass für 80% der Leute Regionalität beim Einkaufen sowieso schon ein konsumfördernder Faktor war. Jeweils mehr als 70% achten beim Kauf von Obst und Gemüse, Fleisch und Wurst sowie Eiern auf regionale Erzeugung. Mehr als 60% tun dies bei Käse und Milchprodukten, mehr als 50% bei Brot und Backwaren.

Was bedeutet eigentlich „regional“ ?

Aber jetzt kommt der Haken: Der Begriff „Regionalität“ ist bei Lebensmittel – und soweit ich weiß, überall sonst auch – nicht eindeutig definiert. Man würde meinen, er hat etwas mit kurzen Produktionswegen, oder der Distanz zwischen Erzeugung und Kund:innen zu tun. Aber in Wahrheit kann man als Hersteller selbst bestimmen, was „regional“ bedeutet. Sind es 50 Kilometer Umkreis? 100? Österreich? Die EU? Egal, alles darf als regional bezeichnet werden. Ich bin in Wien. Ein Paprika aus Szeged in Ungarn ist für mich näher als die Milch von Tiroler Bauern. Dennoch wird mir nur Zweiteres mit dem Regionalitätsaspekt verkauft. Und wenn nicht „regional“ draufsteht, dann ist wenigstens eine österreichische Flagge auf dem Produkt drauf. Wir lernen also: Es gibt keine Kilometerdefinition für Regionalität.

Die „deutschen Champignons“ aus den Niederlanden 

Habt ihr schon mal deutsche Champignons gekauft? Vielleicht weil ihr denkt, dass Deutschland wenigstens etwas näher ist als Spanien? Und weil man ja aus Spanien so grausliche Geschichten von endlosen Plastiktunnels und Grundwassermangel hört? Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass diese Pilze in Wahrheit aus einem niederländischen Betrieb kommen, dort auf einem Substrat angebaut werden und samt Substrat nach Deutschland gebracht werden, um dort „geerntet“ zu werden. Trotzdem können diese Schwammerln in Deutschland als regional verkauft werden.

Doch dazu gibt’s auch eine nette Geschichte aus Österreich: Foodwatch sah sich vor kurzem die Maiskeimöl-Flaschen von Maizena genauer an. Außen drauf: Rotweißrote Banderole und „hergestellt in Österreich“. Drinnen: Mais aus mehreren Ländern der EU, Österreich ist davon nur eines von vielen. Mais ist die EINZIGE Zutat von Maiskeimöl. Selbst wenns in Österreich abgefüllt wird: Es ist nicht regional, also nicht AUS Österreich. Oder doch? Wir wissen es nicht. Es wird den Konsument:innen verheimlicht. Wir lernen also: Da wird im Hintergrund mächtig geschoben und getrickst, um dann am Ende doch irgendwie das Wort regional oder eine Österreich-Flagge draufpappen zu können.

Greenpeace schaute sich vor kurzem die Tierwohlkriterien bei Schweinefleisch an und verglich sie mit den Kriterien in Deutschland. Das Ergebnis: Der derzeit geltende österreichische gesetzliche Mindeststandard und – jetzt kommts – auch die AMA-Zertifizierung (ja genau, die mit der rotweißroten Fahne im Logo und der unfassbar vielen Werbung) erfüllt bei Schweinen nicht einmal die niedrigste deutsche Haltungsstufe 1 und dürfte in deutschen Supermärkten nicht verkauft werden.

Regionalität + rotweißrote Flagge = ein Qualitätskriterium?

Wir lernen also: Regionalität und eine rotweißrote Flagge ist außerdem obendrein noch NICHT ZWINGEND ein Qualitätskriterium.
Es ist zum aus der Haut fahren, oder? Und was soll man tun? Immerhin kommt demnächst die verpflichtende Herkunftskennzeichnung, das könnte hoffentlich ein bisschen was ändern. Dennoch braucht es weiterhin strengere Standards und vor allem endlich eine Definition des Begriffes „Regionalität“. Was schwierig werden könnte.

In der Zwischenzeit: Ich weiß, besonders in Zeiten heftiger Inflation ist es ein bisschen ein privilegierter Tipp, aber wenn ihr könnt, schaut bitte mehr auf “BIO” als auf “Regional”. Oder sucht euch Wege neben den Supermärkten, an eure Lebensmittel zu kommen. Das ist oft gar nicht teurer als im Supermarkt. Aber ja, ich weiß, die meisten von uns sind auf günstig und den Supermarkt angewiesen.

Und da kann ich euch nur das bitten, was ich seit Jahren immer wieder bitte: Werdet abseits der Konsumhandlung aktiv. Schreibt den Supermärkten, dass sie sowohl bei ihren Eigenmarken als auch bei ihrer Einkaufspolitik auf mehr Transparenz achten sollen. Dass sie aufhören sollen, überall, wo es sich rechtlich halt halbwegs ausgeht und bei kurzem Hinschauen halbwegs glaubwürdig ist, „regional“ draufzuschreiben. Gemeinsam können wir nämlich ein transparenteres Angebot einfordern.

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