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Arbeitswelt

Keine Abgabe auf Trinkgeld mehr? Lieber das Trinkgeld abschaffen!

Keine Abgabe auf Trinkgeld mehr? Lieber das Trinkgeld abschaffen!
Soll man Trinkgeld von Steuern und Abgaben befreien? Österreich diskutiert das auf Vorstoß der Wirtschaftskammer gerade. Warum es eine schlechte Idee ist und wir eine ganz andere Lösung brauchen, kommentiert Momentum-Chefökonom Oliver Picek.

Das Trinkgeld ist bereits steuerfrei – nun stößt die Wirtschaftskammer auch noch eine Diskussion darüber an, die Sozialversicherungsabgaben dafür zu streichen. Das klingt vielleicht oberflächlich betrachtet gut für die Beschäftigten, bringt aber Nachteile für sie. Jeder Euro, der als Abgabe in die Sozialversicherung geht, sichert sie ab, wenn sie krank sind, einen Unfall haben, den Job verlieren oder später in Pension gehen. Konkret fallen das Arbeitslosengeld, das Krankengeld und die Pension höher aus, je mehr man als Arbeiter:in einbezahlt. Und gerade in der Gastronomie kommen Zeiten der Arbeitslosigkeit häufiger vor.

Warum haben wir überhaupt ein Trinkgeld-System? Warum kommt die Kundschaft für einen Teil des Gehalts, zusätzlich zu dem ohnehin zu bezahlenden Preis für das Produkt oder die Dienstleistung auf? Es ist doch die Verantwortung der Arbeitgeber:innen, angemessene Löhne zu bezahlen, von denen man leben kann. Die Besitzer der Unternehmen überwälzen diese Verantwortung damit teilweise auf die Kundschaft. Will man aber das Problem an der Wurzel bekämpfen, müssen wir über faire Löhne sprechen, nicht darüber, wie Beschäftigen mehr vom Trinkgeld bleibt.

Weniger Gehalt, weil der Gast das Trinkgeld zahlt

Trinkgeld findet sich in Branchen, die vergleichsweise niedrige Löhne bezahlen und eine persönliche Dienstleistung anbieten. So etwas bekommen Kellnerin, Essenszusteller, Taxifahrer, Friseurin, Zeitungsverkäufer, Reiseleiterin, Reinigungskraft. Hoch bezahlte Berufe mit persönlichen Dienstleistungen wie Anwältin, Immobilienmakler, Versicherungsvertreter, Vermögensberaterin bekommen hingegen kein Trinkgeld, reicht doch das Gehalt meist zum Leben aus.

Eine Garantie zum Trinkgeld gibt es auch bei niedrigen Löhnen aber nicht.  Die Supermarkt-Kassiererin oder der Paketzusteller bekommen fast nie Trinkgeld. Zu unpersönlich ist offenbar die Dienstleistung. Wirklich logisch ist das alles nicht. Wenn jemand für mich durch die Stadt fährt, um mir ein Paket zu bringen, gebe ich kein Trinkgeld. Tut er das mit einem Sackerl Essen, dann schon?

Andere Länder, andere Sitten

Wie unterschiedlich die Gebräuche zum Trinkgeld sind, sieht man bei Reisen in andere Länder. In Frankreich gibt es in der Gastronomie kein Trinkgeld, geht man doch davon aus, dass Kellner und Köche laut Kollektivvertrag ausreichend gut bezahlt sein sollten, um von ihrem Gehalt leben zu können. In Italien deckt der „Coperto“, ein Betrag auf der Rechnung für das Gedeck und das angerichtete Brot, das Trinkgeld für das Personal ab. Es ist auch nicht vom guten Willen der Gäste abhängig.

Das Gegenteil zeigt die hyperkapitalistische USA vor. Dort haben Restaurantbesitzer lange Zeit durchgesetzt, dass die Löhne der Gastroangestellten unter dem Mindestlohn liegen dürfen – schließlich „bekämen ihre Angestellten das Trinkgeld der Gäste zum Verdienst dazu“. Pech haben die Arbeiter:innen, wenn es regnet und nicht so viele Gäste kommen. Oder wenn sie generell in einem Restaurant mit wenig Kundschaft arbeiten. Grundsätzlich sollte man das System umstellen: Kein Trinkgeld mehr, dafür höhere Löhne.

Die Regierung braucht das Geld

Dass sich nun ein Landeshauptmann nach dem anderen vor den Karren der lobbyierenden Wirtschaftskammer spannen lässt, ist zudem für das Staatsbudget gefährlich. Schon während Corona haben die Vertreter:innen der Gastronom:innen und Hoteliers mit dem „Umsatzersatz“ die staatlichen Kassen geleert. Das Geld ging nicht nur an Betriebe, die Verluste machten. Höchst gewinnträchtige Lokale verleibten sich viel staatliches Geld ein. Auch das ist ein Grund für die aktuell triste Lage bei den Staatsschulden.

Der Staat braucht Geld für die Budgetsanierung. Zu ihm gehören die Sozialversicherungen. Steuer- und Abgabenprivilegien sollte man daher abschaffen, nicht ausweiten. Denn wenn eine Branche begünstigt wird, müssen alle anderen mehr bezahlen. Oder die Leistungen der Sozialversicherungen – die Gesundheitsversorgung, die Pensionen – werden stärker zusammengestrichen. Das ist unsolidarisch. Die Bundesregierung muss dem ewigen Lobbying für spezielle Interessensgruppen eine klare Absage erteilen.

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    Kommentare 1 Kommentar
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  • frizzdog
    30.05.2025
    am einfachsten, die bisher angestellten arbeitnehmer werden entlassen und machen ihren job als "freie selbständige". dann fassen sie ihre STEUERerklärung - falls überhaupt - so ab, dass sie sozialhife, ausgleichszulagen, wohnbeihilfe etc. beantragen können. sind die firmen wie FOODORA&CO nicht die eigentlichen sozialschmarotzer??
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