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Achim Truger: "Die Finanzkrise hat naiven Marktglauben erschüttert"

Der deutsche Wirtschaftsweise Achim Truger sieht einen Richtungswechsel in der Wirtschaftspolitik und über Wachstum als ein nicht notwendiges Wirtschaftsziel.

Achim Truger ist eines von nur fünf Mitgliedern im deutschen Wirtschaftsweisenrat. Der soll die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands beobachten und dazu sowohl Politik, Verwaltung als auch Öffentlichkeit beraten. Truger ist zugleich Professor für Sozioökonomie an der Uni Duisburg. MOMENT traf ihn bei einem Besuch in Wien für ein Gespräch.

Moment: Die derzeit immer wieder auseinandergehenden Meinungen im Sachverständigenrat – ist das ein Zeichen dafür, dass Feuer am Dach ist? Für einen strukturellen Wandel? Für eine Abkehr von liberalen Dogmen? Was steckt da dahinter?

Achim Truger: Es ist erst mal so, dass diese Meinungsverschiedenheiten zivilisiert ausgetragen werden. Wir schlagen uns da nicht die Köpfe ein. Sondern es ist sachlicher Dissens, wo man dann nach langem hin und her entscheiden kann, ob man mitzieht oder ausschert. Ich denke aber, dass wir gesellschaftspolitisch insgesamt in einer nachdenklicheren Stimmung sind. Die Finanzkrise vor zehn Jahren hat sicherlich einiges erschüttert, was an naivem Marktglauben da gewesen ist. Mit der Eurokrise und den sozialen Problemen, die sie erzeugt hat, haben sicher viele begonnen, nachzudenken. In einem solchen Klima liegt es nahe, dass man Dinge neu beleuchtet.

Stichwort soziale Themen. Ist das ein Bereich, der in den vergangenen Jahrzehnten vernachlässigt wurde?

Ich glaube international war es so, dass seit Ende der 70er-Jahren eine Kehrtwende vollzogen wurde und sich der Marktradikalismus sehr stark ausgebreitet hat. Da ging es eben um Privatisierung, Deregulierung, den Rückbau des Staates und des Wohlfahrtsstaates – und das wurde lange Jahre als relativ alternativlos hingestellt. Und jetzt kann man nach einigen Jahrzehnten die Wirkungen sehen: Wir sehen, dass die Wachstumsraten nicht gestiegen sind, dass in Krisen die Arbeitslosigkeit stark ansteigt, dass das Produktivitätswachstum gesunken ist, dass die Einkommensverteilung auseinanderdriftet. Und das führt dann mit einer gewissen Verzögerung dazu, dass man sich Gedanken macht über die Nebenwirkungen; und dass man vielleicht auch feststellt, dass das eine oder andere Rezept nicht tauglich ist.

Hat denn der Staat noch die Hebel, wirtschaftspolitisch wirklich effizient einzugreifen? Vor allem auch in Hinblick auf Regelwerke der EU, die ja eine recht starre Budgetpolitik vorgeben.

Vieles ist natürlich international eingeschränkt worden. Die Budgetregel auf europäischer Ebene ist ja nur ein Teil der kleiner gewordenen Spielräume. Aber man sieht ja auch, dass nach einer radikalen Phase in der Eurokrise eine gewisse Entspannung eingesetzt hat und man auf eine flexiblere Interpretation gesetzt hat. Und auch wenn es Restriktionen sind, so sind es ja selbst gewählte Restriktionen – und diese Restriktionen könnte man sich ja auch wieder nehmen. Ich interpretiere das so, dass die Kommission von Juncker maßgebliche Flexibilisierungen zugelassen hat – was ja auch die Basis dafür war, dass sich die Krisenstaaten erholen konnten. Jetzt steht ja eine Evaluierung des Vertragswerkes an. Und vielleicht hat die Politik dann wieder größere Flexibilität und bei Investitionen wieder größere Spielräume.

 Die Fridays4Future-Proteste sehe ich mit viel Sympathie, so ein politisches Engagement der Jugend ist großartig.

Gleichzeitig erleben wir gerade, dass die Kommission auf Basis fragwürdiger wirtschaftlicher Modelle den Mitgliedsstaaten nahelegt, in den beginnenden Abschwung hineinzusparen statt in den Klimaschutz zu investieren. Sind die Ökonomen und ihre Modelle bisweilen das größere Problem als die Politik?

Sie spielen wahrscheinlich auf die Konjunkturbereinigung an. Die ist in der Tat problematisch, weil sie prozyklisch und damit krisenverschärfend wirkt. Tatsächlich kann man große Zweifel an den zugrundeliegenden Modellen haben. Aber viel schlimmer ist eigentlich die unkritische technokratische Anwendung der Methode zur Bestimmung der Spielräume der Finanzpolitik. Und da ist die gute Nachricht, dass die Politik die Möglichkeit hat, den Ökonomen zu sagen, dass sie eine andere Konjunkturbereinigung haben wollen, die solche Effekte vermeidet. Da bleibt noch viel zu tun, aber mein Eindruck ist, dass die EU-Kommission in dieser Frage schon sensibilisiert ist. Die anstehende Überprüfung der Fiskalregeln bietet die Chance, die Methoden entsprechend zu überarbeiten.  

Kritik an prozyklischen, also eine Krise noch verschärfenden, Politikempfehlungen wie von Ihnen im Sachverständigenrat folgt dabei ja einer tendenziell keynesianischen Logik. Die will mit öffentlichen Investitionen die Konjunktur zu stabilisieren. Im Zuge der Fridays4Future-Proteste mehren sich aber auch die Stimmen, die eine grundlegendere Abkehr, beispielsweise von einer vor allem auf Wachstum hin ausgerichteten Wirtschaftsweise fordern. Wie stehen Sie zu solchen Ideen von einer „Postwachstumsökonomie“?

Die Konjunkturstabilisierung und Vermeidung von Arbeitslosigkeit ist tatsächlich sehr wichtig und ein hohes und stabiles Niveau an öffentlichen Investitionen ist dafür sehr hilfreich. Deshalb bin ich ja auch ein Anhänger der Goldenen Regel der öffentlichen Investitionen, wonach diese über Kredite finanziert werden sollen. Damit vermeidet man, dass in Konsolidierungsphasen die Investitionen gekürzt werden. Die Fridays4Future-Proteste sehe ich mit viel Sympathie, so ein politisches Engagement der Jugend ist großartig. Was die „Postwachstumsökonomie“ angeht, habe ich auch da grundsätzlich Sympathien. Wachstum muss kein Ziel sein, sondern Wohlstand, und der kann ja auch durch viel mehr Freizeit steigen. Ob aus ökologischen Gründen – das Überleben der Menschheit – tatsächlich ein Schrumpfen notwendig ist, weiß ich nicht. Falls ja, bin ich mir nicht sicher, wie ein solcher Schrumpfungsprozess geregelt und ohne ökonomische und soziale Krisen gemeistert werden kann. Die ökologische Krise ist jedenfalls eine riesige Aufgabe gesellschaftlicher Gestaltung, die angegangen werden muss.

Konkret, was wären aus Ihrer Sicht die drei wichtigsten ökonomischen Maßnahmen, um der Klimakrise entgegenzutreten, ohne gleichzeitig soziale Verwerfungen auszulösen?

Erstens: eine bewusste staatliche Lenkung über Preise – durch eine schrittweise ökologische Steuerreform, die langfristig massive Anreize zu klimafreundlichem Verhalten und Innovationen führt. Zweitens: massive öffentliche Investitionen in die ökologische Infrastruktur sowie Forschung und Entwicklung. Und drittens: Maßnahmen zur Kompensation von Haushalten und Unternehmen. Es ist möglich ein solches Reformpaket sogar progressiv, ohne soziale Härten und wirtschaftsfreundlich auszugestalten.

Politik und Wirtschaft stehen derzeit in vielen Bereichen vor Wenden – Energiewende, Klimakrise. Ist der Reformbedarf in der Politik angekommen?

Da bin ich mir sicher. Das Bewusstsein ist gestiegen. Wenn jungen Leute jeden Freitag demonstrieren und weite Teile der Autoindustrie auf E-Mobilität umsteigen, lässt sich das nicht übersehen.

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