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Fortschritt
Ungleichheit

Catcalls of Vienna kreiden sexuelle Belästigungen öffentlich an

Catcalls of Vienna malt einen sexistischen Spruch auf die Straße, der an dieser Stelle jemandem nachgerufen wurde
Catcalls of Vienna
Ob blöde Sprüche wie „Geiler Arsch!“ oder ein aufdringliches Nachpfeifen – für viele Frauen gehören verbale sexuelle Belästigungen - auch „Catcalls“ genannt - zum Alltag. Die Initiative „Catcalls of Vienna“ kreidet auf der Straße und auf Instagram Catcalling im wahrsten Sinne des Wortes nun öffentlich an. 

Am Schottentor, im Westbahnhof oder beim Donaukanal: Einmal pro Woche treffen sich Vary Kalupina und ihr Team, um miteinander zu kreiden. Gemeinsam betreiben sie den Instagram-Kanal „Catcalls of Vienna“, auf dem sie Fälle von Catcalling öffentlich machen. Sogenannte Catcalls sind verbale sexuelle Belästigungen. „Die Idee ist einfach: Die Leute schreiben uns auf Instagram und wir gehen an die besagten Orte und schreiben den jeweiligen Spruch mit Kreide dort auf. Da die Kreide nicht für immer bleibt, ist es auch legal und wir können dies im öffentlichen Raum machen – das erregt große Aufmerksamkeit.“

Sexuelle Belästigung ankreiden

Die Reaktionen auf ihre Kunstaktionen sind überwiegend positiv. „Wir kommen während dem Kreiden vor allem mit älteren Menschen ins Gespräch. Mittlerweile erkennen uns Menschen uns auf Straße, meistens gibt es Lob.“ Es gibt aber kritische Stimmen, die vor allem von älteren Männern kommen. „Es gibt manchmal Sprüche wie: ,Das machen keine Wiener, sondern nur Ausländer‘ oder , Das ist übertrieben feministisch, ich unterstütze das nicht‘. Wir versuchen dann das Gespräch zu suchen und es ihnen zu erklären.“

 In den Direktnachrichten, die sie auf Instagram erhalten, melden sich vor allem Mädchen und junge Frauen, aber auch Männer. Oftmals vertrauen diese dem Team von „Catcalls of Vienna“ Ereignisse an, die Jahre zurückliegen.  „Wir lesen oft Nachrichten wie: ‚Als ich 14 Jahre alt war, hat man mir in der Straßenbahn zwischen die Beine gegriffen – ich konnte das jahrelang niemandem erzählen‘.“ Da die Nachrichten anonym veröffentlicht werden, trauen sich Betroffene, nun davon zu berichten.

Catcalling oder Kompliment?

Auf manchen Posts finden sich auch Sprüche wie „So ein hübsches Mädchen“ oder „Du hast aber ein schönes Lächeln und du eine tolle Figur“ Unter diesen Beiträgen stehen dann Kommentare wie „Nimm es doch als Kompliment“. Sicher  lässt sich manchmal schwer die Grenze zwischen Belästigung und Kompliment ziehen. „Wenn es um derartige Situationen geht, kann man nur für sich selbst die Grenze ziehen und entscheiden, ob das jetzt Catcalling oder nicht war.“, erklärt Vary. Im Endeffekt ist es aber auch wieder einfach: „Wenn sich eine Person belästigt fühlt, dann zählen wir dies auch als Belästigung. Als Außenstehende kann man keine Grenzen ziehen.“

Wichtig dabei sei, nicht zu reihen, welches Erlebnis „schlimmer“ als das andere ist. „Die Auswirkungen des Gesagten oder des übergriffigen Verhaltens kann niemand außer der oder die Betroffene spüren. Oftmals bringt Belästigung Selbstzweifel für die betroffene Person mit. Sie gibt sich selbst die Schuld daran und fragt sich, ob Sie etwas Falsches getragen oder sich falsch verhalten hat. Dabei liegt die Schuld einzig und allein bei den Belästiger:innen selbst.“

 
Catcalls of Vienna: Aktivist:innen malen einen sexistischen Spruch auf die Straße, der an dieser Stelle jemandem nachgerufen wurde

Drei Viertel aller Frauen sexuell belästigt

Catcalling war lange Zeit ein Tabuthema. Vary zufolge ist es etwas Alltägliches und Normales geworden: „Mittlerweile hat es sich total normalisiert, dass man auf der Straße etwas Anzügliches zugerufen bekommt.“

Laut einer Studie des Österreichischen Instituts für Familienforschung von 2011 ist die Betroffenheit von Frauen von sexueller Belästigung sehr hoch. So gaben drei Viertel der befragten Frauen an, im Laufe ihres Erwachsenenlebens sexuell belästigt worden zu sein. Bei den männlichen Befragten war es ein Viertel. Dabei wurden einzelne Formen von sexueller Belästigung abgefragt. 44,7 % der Frauen und 7,8 % der Männer berichteten davon, dass sie „auf eine Art und Weise angesprochen worden” sind, die sie als sexuell belästigend empfanden. Davon, dass „ihnen nachgepfiffen wurde oder sie angestarrt worden” sind, wodurch sie sich sexuell belästigt fühlten, erzählten 42,9 % der Frauen und 2,7 % der Männer. 23,3 % der Frauen und 4,3 % der Männer gaben an, „in unpassenden Situationen: z. B. in der Arbeit, in der Ausbildung oder im Studium, belästigende sexuelle Angebote” erhalten zu haben.

Catcalling soll strafbar werden

Manche Nachrichten, die „Catcalls of Vienna“ erhält, gehen jedoch auch über verbale sexuelle Belästigung, hinaus. „Wir bekommen auch Nachrichten, in denen Betroffene von körperlicher sexueller Belästigung bis hin zu Vergewaltigungen erzählen und somit ein Straftatsbestand sind.“  In der österreichischen Strafordnung ist Catcalling, also sexualisierende Zurufe, anzügliche Gesten, Kuss-und Pfeifgeräusche, nicht strafbar.

Dagegen will „Catcalls of Vienna“ gemeinsam mit der Grazer Gruppe „Catcalls of Graz“ vorgehen. Gemeinsam haben sie eine Petition gestartet. „Beleidigungen sind strafbar, körperliche sexuelle Übergriffe sind strafbar – sexuelle Beleidigungen jedoch nicht“, erklärt Vary. In Ländern wie Belgien, Portugal und den Niederlanden ist Catcalling bereits gesetzlich verboten. Auch in Frankreich wird verbale sexuelle Belästigung seit 2018 mit mit einem Bußgeld von bis zu 750 Euro bestraft.

Von New York bis nach Wien

Die Idee hinter dem Projekt stammt eigentlich aus den USA. Dort hat Sophie Sandberg mit „Catcalls of New York“ das Vorgehen zum ersten Mal umgesetzt. In New York City standen (verbale) sexuelle Belästigungen für sie an der Tagesordnung. Da sie diese Problematik öffentlich und sichtbar machen wollte, kam ihr die Idee, mit Kreide an den jeweiligen Orten die Sprüche aufzuschreiben. Nach und nach übernahmen auch andere Städte ihre Idee und eine Art „Catcalls“-Community entstand. Seit 2019 gibt es auch „Catcalls of Vienna“. In Zukunft sollen Betroffene mehr eingebunden werden und selbst Ihre Geschichten auf die Straße kreiden. Auf dem sogenannten „Chalkback“-Event, das im Herbst stattfinden soll, werden Betroffene und Teilnehmende an einem öffentlichen Ort selbst ein Erlebnis von sich oder einer anonymen Person kreiden können.

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