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Arbeitswelt
Ungleichheit

Coronavirus: Warum der Schutz der Risikogruppen auf sich warten lässt

Die Gruppen von Menschen mit besonderen Risiken gegenüber dem Coronavirus müssen geschützt werden. Sie sollen Anspruch auf Freistellung von der Arbeit haben. Das hat die Regierung Wochen nach den ersten Anti-Corona-Maßnahmen am 30. März verkündet. Aber noch immer werden Details erarbeitet. Denn die Umsetzung gestaltet sich in der Praxis doch schwierig. Zurück bleibt eine verunsicherte Bevölkerung.
Was tun wir nicht alles zum Schutz der sogenannten Risikogruppen? Wir haben die Geschäfte und Restaurants geschlossen, können unsere Freunde und Familien nicht sehen und werden in eine unvorstellbare Wirtschaftskrise schlittern. Alles nur für jene, die vom Coronavirus besonders bedroht sind.

Das ist der Tenor der medialen Berichterstattung seit Wochen. Doch wie schaut es mit dem Schutz der Risikogruppen wirklich aus? Und wer sind diese Menschen eigentlich, von denen andauernd gesprochen wird?

Diese Fragen sind gar nicht so leicht zu beantworten. Wir versuchen trotzdem eine Zusammenfassung.

 

#1 Wann tritt der Anspruch auf Freistellung für Risikogruppen endlich in Kraft?

Auf politischer Ebene ist er bereits durchgewunken und soll sogar rückwirkend mit 11. März in Kraft treten. Arbeitgeber, die seit Beginn der Maßnahmen ArbeitnehmerInnen vom Dienst freigestellt haben, erhalten dann also auch rückwirkend eine Entschädigung vom Staat. Viele Menschen sind aber freiwillig in Urlaub gegangen, oder wurden in Urlaub geschickt – wenn sie sich mit ihrem Arbeitgeber einigen, so können sie diesen eventuell in eine Dienstfreistellung umwandeln, da es ja nun eine Entschädigung gibt. Für Angehörige und Familienmitglieder von Menschen, die zur Risikogruppe gehören, gilt dieser Anspruch übrigens nicht. Ausgenommen sein könnten Eltern von betroffenen Kindern.

Alles ist auf Schiene und seit Tagen warten alle, dass der Zug endlich abfährt. Warum er aber noch immer im Bahnhof steht, liegt daran, dass es hier noch vieles zu verhandeln gibt und die Sozialpartner, also etwa die Gewerkschaft, einige scharfe Kritikpunkte am aktuellen Entwurf der Regierung haben. 

 

#2 Wer ist diese Risikogruppe überhaupt?

Diese Frage gestaltet sich äußerst schwierig, wie Arbeitsmediziner Karl Hochgatterer erklärt: “Wir stehen erst am Beginn der wissenschaftlichen Untersuchung des Coronavirus. Die Pforten wurden eigentlich erst geöffnet. Und so ist es schwierig, die Risikogruppe genau zu benennen.” Schließlich gibt es auch junge Todesopfer, die keine Vorerkrankung hatten. Warum die Krankheit bei ihnen so kritisch verlaufen ist, weiß noch niemand. 

Da noch viel Unklarheit besteht, desto größer müsste also vorsorglich der Kreis um die potenzielle Risikogruppe gezogen werden. Würden aber beispielsweise alle Menschen mit einer Diabetes mellitus eingeschlossen werden, so handelt es sich alleine dabei um rund 600.000 Menschen. Viele Betriebe könnten nicht mehr produzieren, wenn so viele Menschen freigestellt werden müssen. Und auch hier gilt es, unsere Versorgung aufrechtzuerhalten, von wirtschaftlichen Auswirkungen ganz zu schweigen. Die Freistellung kann übrigens nur dann erfolgen, wenn Homeoffice nicht möglich ist und die Person am Arbeitsplatz nicht ausreichend vor einer Infektion geschützt werden kann. Doch wie genau sieht ein ausreichender Schutz für die vielen verschiedenen Arbeitsplätze aus? Auch darüber wird aktuell noch diskutiert.

Derzeit erarbeitet ein Expertengremium die Kriterien, wer zur Risikogruppe gehört. Die Gesundheitskasse wird dann aufgrund von Medikamentenverschreibung diese Personen ausfindig machen, aktiv anschreiben und auffordern, zu einem Arzt zu gehen und sich ein Attest für den Arbeitgeber zu besorgen. Auch dieses Vorgehen wird von manchen Ärzten kritisiert – denn nicht alle Medikamentenverschreibungen scheinen bei der Gesundheitskasse auf. Etwa, wenn sie im Spital im Zuge einer Behandlung erfolgen, oder es sich um Präparate handelt, die nicht im Leistungskatalog der Krankenkasse stehen.

Es kann aber auch jeder von sich aus zu einem Arzt gehen und ein Attest für den Arbeitgeber erstellen lassen – doch Ärztinnen steht es frei, dafür ein Honorar zu verlangen. Auch hier ist noch unklar, wer das dann zu bezahlen hat, der Arbeitgeber oder Arbeitnehmer?

Vielen Menschen ist nicht einmal bewusst, dass sie zur Risikogruppe gehören. Andere sind überzeugt, dass sie dazu gehören, etwa Asthmatiker. Doch zumindest laut aktuellem Forschungsstand haben Menschen, die auf ihr Asthma gut eingestellt sind, kein erhöhtes Risiko, einen kritischen Verlauf einer Corona-Infektion durchzumachen.

 

#3 Was ist, wenn ich aus Angst vor Jobverlust meine Krankheit bislang verschwiegen habe?

Krankheiten können stigmatisieren. Viele ArbeitnehmerInnen verbergen Krankheiten vor ihren Vorgesetzten und KollegInnen. Viele ArbeitnehmerInnen “outen” sich erst jetzt während der Corona-Krise. Die Befürchtung liegt auf der Hand, dass sie dann Gefahr laufen, bei der ersten Kündigungswelle als erstes “aussortiert” zu werden, da sie eben aufgrund ihres Gesundheitszustandes öfter im Krankenstand sind als andere, oder als weniger leistungsfähig gelten. Die Gewerkschaft fordert daher einen Kündigungsschutz für die Risikogruppe. Ob dieser kommt und über die Corona-Maßnahmen hinaus bestehen bleibt, ist noch unklar.

Die Arbeitsmedizinerin Roswitha Hasemann erlebt jedoch auch oft, dass Ängste von Menschen unbegründet sind: “Arbeitgeber wissen oft viel mehr, als die MitarbeiterInnen glauben. Es bekommt ja jeder mit, ob jemand oft im Krankenstand ist und wie es dieser Person geht. Oft haben Arbeitgeber auch viel Verständnis. Ich habe schon erlebt, dass Alkoholiker nicht gekündigt wurden, aus Rücksicht gegenüber der Familie.”

 

#4 Sind Menschen, die in der sogenannten “kritischen Infrastruktur” arbeiten tatsächlich von diesen Schutzmaßnahmen ausgenommen?

Das ist einer der größten Kritikpunkte am Vorhaben der Regierung. Menschen, die in systemrelevanten Bereichen arbeiten, wie dem Gesundheitsbereich, Lebensmittelhandel, der Altenpflege oder Kinderbetreuung, sollen vom Schutz ausgenommen sein. Die Krankenschwester mit Vorerkrankung, die eindeutig der Risikogruppe angehört, soll also weiter Corona-Patienten betreuen. Es handelt sich hier um wichtige Berufe, bei denen oft naher Kontakt zu anderen Menschen besteht – damit ist das Infektionsrisiko hoch. Zudem fehlen derzeit überall nötige Schutzausrüstungen. 

Genau diese gefährdete Gruppe auszuschließen, findet nicht nur die Gewerkschaft “skandalös”, es ist auch “klar verfassungswidrig”, wie der bekannte Jurist Heinz Mayer überzeugt ist. 

Aufgrund all dieser Einsprüche, Unklarheiten und schwierigen Festlegungen verschleppt sich die Durchsetzung des Schutzes der Risikogruppe. 

 

Klar ist und bleibt: Sie muss ausreichend geschützt werden, auch arbeitsrechtlich – und natürlich müssen die Maßnahmen für alle gelten. Und die Unsicherheit muss schnellstmöglich beendet werden.

 

 

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