Die große Lüge: Warum und wie wenig Superreiche wirklich spenden
Im Juni 2010 berichteten Tageszeitungen weltweit, als Bill Gates und Warren Buffett eine frohe Botschaft verkündeten: Mit ihrem Projekt “The Giving Pledge” wollten sie Milliardär:innen aus aller Welt dazu animieren, bis zum Ende ihres Lebens mindestens die Hälfte ihres Vermögens an wohltätige Zwecke zu spenden. “Das Versprechen zu geben” sammelte fleißig Unterschriften zahlreicher Superreicher, die sich der Stiftung anschließen wollten. Die Weltgemeinschaft reagierte mit Applaus.
Über das Versprechen wurde bis heute allerdings eher nur geredet, als dass es tatsächlich eingehalten wurde. Immerhin handelte es sich bei den Unterschriften auch nicht um einen rechtskräftigen Vertrag, sondern vielmehr um eine öffentliche Geste des Wohlwollens. Laut Einschätzungen der “Chronicle of Philanthropy”, einer Nachrichtenseite, die das Spendenverhalten der Superreichen verfolgt, hat die Aktion bis 2019 keinen sichtlichen Einfluss auf das übliche Spendenverhalten der Reichsten gehabt. Einige Milliardärs-Spitzenreiter wie Amazon-Chef Jeff Bezos oder Google-Gründer Larry Page haben nicht einmal unterschrieben. Eine Grafik aus dem Jahr 2018 zeigt deutlich, dass das Spendenvolumen der Superreichen grundsätzlich eher aus der Portokasse geschöpft wird.
Superreiche spenden – um noch weniger Steuern zu zahlen
Großspender spenden allerdings nicht nur weniger, sondern auch eigensinniger, als viele glauben wollen. Dass ein Bill Gates im Jahr 2,6 Milliarden Euro abdrückt, um schwere Krankheiten wie Polio auszurotten, ist natürlich grundsätzlich zu begrüßen. Das Problem ist, auf welche Weise er das anstellt: Gates schaufelt das Geld nämlich von der linken Tasche der Spendierhose lediglich in die rechte. Denn wie viele Milliardäre besitzt er eine private Stiftung. Mit der “Bill and Melinda Gates Stiftung” bleibt das Geld im Hause und somit im Einflussbereich von Gates. Das Gleiche gilt übrigens für die Spenden von Gates Kumpel Warren Buffett – auch sein Geld fließt hauptsächlich in die “Bill and Melinda Gates”-Stiftung.
Private Stiftungen liegen besonders in den USA im Trend. Während 1989 noch 4% der gesamten Spenden an private Stiftungen gingen, waren es 2019 bereits 12%, innerhalb der vergangenen 6 Jahre hat sich das Volumen verdoppelt. Das hat einen Grund: Bei einer privaten Stiftung wird das Spendengeld in Anlagefonds investiert. Sie sollen das Stiftungsvermögen vermehren – wie bei einem herkömmlichen Investment. Wann, wie viel und wofür Geld ausgegeben wird, kann der oder die Stifter:in selbst entscheiden. Hinzu kommt, dass Spenden an private Stiftungen von der Steuer abgesetzt werden können.
Reiche, die behaupten, die fehlende gerechte Besteuerung von Vermögen durch Spenden auszugleichen, lügen uns also ins Gesicht: Durch Spenden an Privatstiftungen entstehen jährlich Milliarden von Steuerausfällen, die der Staat für soziale Zwecke einsetzen könnte – wenn die Superreichen sie aus der Hand geben würden.
Philanthropie bedeutet undemokratische Macht
Die gelobte Philanthropie dient also nur als ein weiteres Schlupfloch für Überreiche, um ihr Vermögen nicht zu versteuern. Außerdem wird die Spenderei ab einem gewissen Ausmaß auch zu einer ethischen Grundsatzfrage, denn Geld verheißt bekanntlich Macht. Wenn Bill Gates möchte, dass Polio ausgerottet wird, ist das zwar erfreulich, dennoch entscheidet er dabei wie der Imperator mit dem Daumen, in welches Projekt Geld gesteckt wird und in welches nicht. Während eine demokratisch gewählte Regierung das Geld möglichst nach den Interessen ihrer Wähler:innnen verteilt, obliegt es bei Spenden einem einzelnen. Wer genug Spendengeld in die Hand nimmt, kann sich die Welt also so zurechtspenden, wie er oder sie will.
Das gilt insbesondere dann, wenn die Spenden gar nicht erst bei der armuts- oder hungerbetroffenen Bevölkerung landen. In den USA geht nur ein Fünftel der Spenden an Armutsbetroffene. Viel höhere Summen kommen zum Beispiel Kunstförderung oder Bildungseinrichtungen zugute. Letztere sind zufälligerweise meist jene Top-Universitäten, an denen der oder die Spender:in selbst studierte oder der eigene Nachwuchs studiert. Die Förderer bestimmen dort schließlich auch, in welche Richtung geforscht werden soll. Was nach außen wie Nächstenliebe scheint, dient “denen da oben” oft in erster Linie selbst.
Spenden für das Saubermann-Image
Superreiche nutzen Spenden außerdem, um ihr eigenes Image aufzupolieren. Gerade die Reichsten der Reichsten wie Jeff Bezos oder Elon Musk stehen für das Verhalten ihrer Konzerne gern in der Kritik. Auch Bill Gates fegte mit einem Spendenpaket über seinen hauseigenen Shitstorm hinweg: Während Microsoft wegen eines Kartellverfahrens zu Anfang des Jahrtausends in Ungunst geriet, zahlte er rund 20,3 Milliarden Dollar an seine eigene Stiftung. Das sind rund drei Viertel des Geldes, das Gates insgesamt in die Stiftung legte. An die unzähligen Milliarden an verweigerten Steuern, die sein Microsoft über die Jahrzehnten für sich behielt, erinnert sich bei ihm heute kaum noch jemand. Was bleibt, ist Gates, der Philanthrop.
Auch Jeff Bezos gab kürzlich bekannt, den größten Teil seines Vermögens im Dienste des Klimas an NGOs spenden zu wollen. Sein milliardenschwerer Flug ins All mit der eigenen Wasserstoffrakete habe ihn geläutert – von dort oben sähe die Erde “so endlich und zerbrechlich aus”, sagte er in einem Interview. Dass Bezos selbst an der Zerbrechlichkeit der Atmosphäre arbeitet, indem er mit Privatjets rumfliegt und mit Amazon ein Unternehmen gründete, das heute mehr CO2 als Österreich produziert, interessiert ihn heute nicht mehr. Superreiche spenden zur Bekämpfung einer Klimakatastrophe, die sie selbst verursachen.
Studie aus Deutschland zeigt: Superreiche spenden nicht mehr als wir
Natürlich sind die zweifelsfrei hohen Summen, die Reiche und Superreiche an wohltätige Zwecke spenden, grundsätzlich zu begrüßen. In Deutschland nehmen laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) die 10% der einkommensstärksten Haushalte ganze 37% des Spendenvolumens auf sich. Das ist zuvorkommend, einen Haxen reißt sich allerdings dabei kein Superreicher aus.
Denn die Studie zeigt auch, dass die Spenden im Verhältnis zum Jahreseinkommen der Superreichen gar nicht so hoch sind. Während das einkommensstärkste Dezil rund 0,9% des eigenen Jahreseinkommens für Spenden ausgibt, sind es im Bereich des Mittelstands ganze 1,5% und bei den ärmsten der Bevölkerung gar 1,9%. Die Mehrheitsbevölkerung spendet also im Vergleich mehr als so manch Superreicher, der sich stattdessen einen Privatjet oder eine ganze Autosammlung leistet.
Spenden sind großartig – wenn Reiche auch besteuert werden
when billionaires like Jeff Bezos say they are going to "give away all their money to charity", it's a lie. What they mean is they will give the money to their own foundations, evade taxes, and keep control over it so as to retain power. Economist Thomas Piketty explains: pic.twitter.com/X2a8rxmr05
— ☀️👀 (@zei_squirrel) November 14, 2022
Natürlich sollte Bill Gates seinen Reichtum weiterhin dafür einsetzen dürfen, Polio zu bekämpfen, bevor er wie seine Mitstreiter Musk und Bezos lieber zur Besiedlung des Mars übergeht. Dennoch kann der durch Privatstiftungen weltweit entstehende Steuerschaden nicht geleugnet werden. Führende Wirtschaftswissenschaftler wie der Franzose Thomas Piketty fordern daher, dass “Privatstiftungen in Ergänzung, nicht aber anstatt Vermögensbesteuerung” existieren dürfen.
Wenn das Vermögen von Superreichen endlich besteuert werden würde, könnten die Gelder fair und demokratisch an die Gesellschaft verteilt werden – und nicht in den wenigen Händen einzelner Machtmenschen liegen – auch in Österreich.