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Arbeitswelt
Ungleichheit

Ein Schuldnerberater warnt: “Viele Selbstständige werden in einen Privatkonkurs schlittern”

Foto eines freundlich lächelnden Mannes mit grauen Haaren und Vollbart, im Hintergrund rechts steht ein Bücherregal
Alexander Maly war lange als Sozialarbeiter und Geschäftsführer der Schuldnerberatung Wien tätig. Nun ist er in Pension und arbeitet noch immer als Berater. Er findet das finanzielle Hilfspaket der Regierung für kleine Betriebe und Selbstständige unzureichend und befürchtet, dass viele in der Corona-Krise Pleite gehen werden - und damit droht auch unmittelbar der Privatkonkurs.

MOMENT: Herr Maly, Sie warnen, dass nun viele Selbstständige vor der Pleite und damit auch einem Privatkonkurs stehen. Warum?

Maly: Die Schuldnerberatung gibt es seit 30 Jahren und von Anbeginn waren rund 30 Prozent der Ratsuchenden Selbstständige oder ehemals Selbstständige. Ich glaube, dass dieser Anteil aber aufgrund der Corona-Krise drastisch steigt. Denn im Gegensatz zu einer Aktiengesellschaft oder GmbH haftet ein Selbstständiger oder Kleinunternehmer immer mit seinen Privatvermögen. Das heißt: Funktioniert das Unternehmen nicht, ist auch die Privatperson pleite. 

Aber der Härtefallfonds der Regierung soll ja nun Selbstständigen und Kleinstunternehmern helfen. In einer ersten Phase wird es 1.000 Euro geben, in einer zweiten maximal 6.000 Euro. Ist das unzureichend? 

Mit 1.000 Euro kann ich bei einem Kleinunternehmen die Stromrechnung bezahlen, die Miete aber schon nicht mehr. Und viele müssen ja auch die private Miete bezahlen, obwohl sie absolut keinen Umsatz haben. Das ist ja ein Witz. Diese Hilfen dürfen nicht das Ende der Fahnenstange sein, da muss noch was nachkommen. Ich glaube aber grundsätzlich, dass die Hilfspakete nicht ausreichen werden. Und das aus vielen Gründen. Es wird einfach mehr Pleiten geben, weil Schulden gemacht werden. Weiters wird es einfach keine Hilfspakete geben, die eins zu eins den Verdienstentgang ersetzen können. 

 

Warum nicht?

Ein Grund ist der bisher etwas schlampige Umgang gewisser Unternehmen mit offiziellen Zahlen. Es heißt ja: Wessen Unternehmen viel Gewinn macht, hat entweder einen schlechten Steuerberater oder es stimmt etwas nicht. Hier muss man aufpassen. Viele Unternehmen legen den Finanzämtern Zahlen vor, laut denen könnten diese Firmen nicht mehr existieren. 

 

Das heißt, dass viele Unternehmen Steuern hinterziehen und ihre Bilanzen fälschen?

Hier kommen wir also in eine komische Grauzone hinein, wo sich einiges rächt, was die Finanzpolitik schon längst angehen hätte sollen. Was ein Gastronom umsetzt und was er deklariert, da gibt es meistens einen riesigen Unterschied. Taxifahren wäre auch zum Beispiel deutlich teurer, wenn alles legal und richtig ablaufen würde. Man weiß, dass dort einfach ein Teil, der nicht nur aus dem Trinkgeld besteht, nennen wir es “steuerschonend” gehandhabt wird. Das rächt sich natürlich jetzt, wenn der Staat ausgleichend eingreifen möchte. Da wird auf die offiziellen Zahlen zugegriffen. Diese decken aber in Wahrheit nicht den Aufwand ab.

 

Was müsste der Staat nun tun?

Im Nachhinein kann man nicht viel machen. Die Ausgleichszahlungen müssten aufgrund der genannten Gründe halbwegs großzügig abgewickelt werden. Das würde helfen. Außerdem nützen Kleinstunternehmen und Selbstständigen Stundungen nur bedingt, das heißt, da werden Mieten und Kredite aufgeschoben. Denn das bedeutet ja, dass die Schulden erhalten bleiben. Das Geld müsste also zu einem späteren Zeitpunkt einarbeiten werden. Das wird bei manchen Branchen schwer möglich sein.  

 

Müssten also Mieten und Kreditraten erlassen werden?

Ja. Es gäbe ja Notstandsgesetze, die angewendet werden könnten, damit die Mietschulden oder die Miete ausgesetzt werden kann. Das wurde speziell für Ausnahmesituationen gemacht. Wenn dieses in Kraft wäre, müsste die Miete nicht nachgezahlt, also tatsächlich erlassen werden.

 

Und warum greift das noch nicht? Wir sind ja in einer Krisensituation, in der viele Betriebe einfach gar keinen Umsatz erwirtschaften können?

Da sind wir ja schon fast im Kriegsrecht. Da gibt es ein gewisses Zögern, solche Gesetze zu erlassen. Wir haben eine wirtschaftsfreundliche Regierung und da gibt es natürlich einen Zusammenhang. Die meisten Vermieter von Geschäftslokalen sind ja keine Privatpersonen, sondern institutionelle Vermieter, also Firmen die sich auf Geschäftsimmobilien spezialisiert haben und nicht kleine, private Personen. Und diese Firmen haben eine starke Interessensvertretung und natürlich wird nun auf sie Rücksicht genommen.

 

Reden wir über die Banken: Die Regierung haftet ja zumindest Großteils für Überbrückungskredite und mahnt die Kreditinstitute, zuvorkommend zu sein und Kreditstundungen zu gewähren. Bei uns haben sich aber viele Selbstständige gemeldet, die nicht mal ihren Überziehungsrahmen ausdehnen dürfen. Könnten nicht auch die Banken gesetzlich zu mehr Kooperation gezwungen werden?

Das wäre theoretisch möglich, gilt aber in Österreich als absoluter Tabubruch. Es gibt einen alten Spruch: Eine Bank ist wie ein Regenschirm-Händler, der dir bei Sonnenschein den Regenschirm verkauft und ihn dir wegnimmt, sobald es zu Regnen beginnt. Wenn ich ein langjähriger Kunde bei einer Bank bin und diese bei der ersten Krise nicht bereit ist, mir die Zahlungsziele hinauszustrecken, dann ist das natürlich kein gutes Zeichen. Auch wenn Stundungen gewährt werden, so ist das teuflisch daran ja, dass die Zinsen weiterlaufen. Und diese sind immer deutlich höher als Sparzinsen. Es würde daher schon helfen, wenn die Stundungen aufgrund der Krise zinsfrei gestellt werden.

 

Wie sollte die Regierung also Selbstständigen und Betrieben ihrer Meinung nach helfen?

Im Zusammenhang mit einer gerechten Verteilung finde ich die Idee interessant, dass der Staat bei größeren Unternehmen Anteile bekommt, wenn diese nun finanzielle Hilfe brauchen. Bei Kleinunternehmen wäre das aber uninteressant.

Alle müssen ihren Beitrag leisten. Banken müssen auf Zinsen verzichten. Sinnvoll wäre es auch, dass der Staat laufende Fixkosten übernimmt und nicht nur leiht. Es kann sein, dass die Wirtschaft nach der Krise schnell oder eben langsam anspringt und wenn zweiteres der Fall ist und dann bereits die Forderungen für Kreditrückzahlungen und Stundungen im Haus sind, dazu hoch verzinst, könnte nach der überstandenen Krise erst recht eine Konkurswelle ausgelöst werden. Die Verschuldung der Selbstständigen und Kleinstunternehmer darf nicht in die Höhe getrieben werden. Der Staat soll in Notzeiten Schulden machen, das ist eine alte Weisheit. 

Ich bin außerdem irritiert, dass die Wirtschaftskammer die Hilfsfonds abwickelt, eine Interessensvertretung. Die haben ja nicht die nötigen Kapazitäten, jedes Finanzamt verfügt hingegen bereits über halbwegs gute Unternehmensdaten. Die Wirtschaftskammer wird das Geld also eher im Gießkannenprinzip verteilen, was natürlich unfair sein kann. 

Sie haben vorhin auch erwähnt, dass wohl viele Kleinstunternehmer und Selbstständige in oder nach der Corona-Krise pleite sein werden. Wie läuft für sie dann der Konkurs ab? 

Es gibt hier mehrere Probleme. Ein Problem beim Kleinunternehmer ist, dass für ihn das Handelsgericht zuständig ist und nicht wie bei einem normalen Privatkonkurs das Bezirksgericht. In der Praxis heißt das, dass der Konkurs wie bei einer Riesenfirma abgehandelt wird. Da wird etwa ein Masseverwalter bestimmt, was aber nur bei großen Firmen sinnvoll ist, die einen Fuhrpark oder Liegenschaften haben. Bei solchen Verfahren wird alles kompliziert und teuer. Einer Fußpflegerin etwa, deren Salon nun Pleite geht, würde ich raten, dass sie ihre Tätigkeit irgendwo als Angestellte weiterführt, damit sie dann einen normalen Privatkonkurs beantragen kann. Das ist aber oft nicht einfach, weil ja viele freie Dienstnehmer nicht freiwillig in ihrer Situation sind, sie haben sich oft selbstständig machen müssen, da sie einfach keine Anstellung gefunden haben.

Und wie läuft dann der Privatkonkurs ab?

Ein solcher Konkurs beginnt, wenn Schulden aus welchen Gründen auch immer nicht mehr ordnungsgemäß zurückgezahlt werden können. Bei einem Privatkonkurs muss zunächst alles, was pfändbar ist, hergegeben werden. Ein Haus oder eine Eigentumswohnung sind dann natürlich weg. Auch vom Einkommen darf dann auch nur ein gewisser Teil behalten werden. Der Vorteil am Privatkonkurs ist, dass man nach fünf bis sieben Jahren wieder Schuldenfrei ist und einen Neustart beginnen kann.

Die EU hat übrigens durchgesetzt, dass der Privatkonkurs auf drei Jahre beschränkt wird. Und ich hoffe, dass bei uns im Zuge der Corona-Krise diese Änderung rasch kommt, doch in Österreich werden Umsetzungsfristen oft sehr großzügig ausgelegt. Denn wenn die Selbstständigen und Kleinstfirmen, die aufgrund der Corona-Krise nun Pleite gehen, jahrelang wirtschaftlich weg vom Fenster sind, dann wird die Corona-Krise wirklich zum Turbo für eine ganz schlimme Wirtschaftskrise.

 

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