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Ungleichheit
Gesundheit

“Es gab so viele Tränen”: Wie die Krise pflegende Angehörige von Demenzkrankten trifft

Die Volkshilfe hat einhundert Interviews mit pflegenden Angehörigen von armutsbetroffenen Demenzkranken in der Corona-Krise geführt: Viele waren bereits vor der Krise überfordert und an der Grenze der Belastbarkeit. Doch während des Lockdowns fühlten sich viele hilflos, alleine gelassen und erlebten die Zeit katastrophal. Warum es dringend mehr Unterstützung für pflegende Angehörige braucht.
Johannes* ist achtzig Jahre alt. Seit sieben Jahren ist er so schwer an Demenz erkrankt, dass ihn seine Ehefrau Elisabeth* pflegen muss. Zweimal in der Woche besuchte Johannes vor der Corona-Krise ein Tageszentrum. Das wurde jedoch wie alle anderen geschlossen, um das Infektionsrisiko für die betagte Risikogruppe zu minimieren. 

Für Elisabeth war das eine Katastrophe: „Vorher konnte ich zumindest zweimal in der Woche ein bisschen Luft holen. Aber im Lockdown war mein Mann 24 Stunden bei mir, ich konnte nicht mal alleine aufs Klo gehen. Wer selbst nicht in dieser Situation ist, der kann nicht verstehen, wie es ist, wenn man immer da sein muss und eingespannt ist.“

Die Tageszentren sind nicht nur wichtig für die Entlastung der pflegenden Angehörigen: Sie sind auch ein wichtiger Fixpunkt im sozialen Leben Demenzkranker. Welche Angebote sonst noch wegen Corona wegfielen:

 

Situation hat sich für viele pflegende Angehörige während Corona-Zeit verschlechtert

Schon vor der Corona-Krise erlebten die pflegenden Angehörigen ihren Alltag als belastend. Und die leisten 41,8 Prozent der Pflege. Der Großteil pflegt einen Elternteil, am zweithäufigsten ein Ehepartner den anderen.

Bei der Umfrage gaben 13 Prozent an, dass ihre Lebensqualität schon vor dem Lockdown niedrig war. Dem Großteil ging es gerade mittelprächtig.

 

Für insgesamt drei von vier pflegenden Angehörigen hatte die Pandemie aber enorme Auswirkungen auf die tägliche Pflegesituation. Viele fühlten sich hilflos, überfordert und alleine gelassen. Etwa gleich viele meldeten psychische Belastungen.

 

Besonders hart betroffen waren jene, die plötzlich auf die 24-Stunden-Personenbetreuung verzichten musste, da die Pflegekräfte aufgrund der Grenzschließungen nicht kommen konnten. Zwei von drei aus dieser Gruppe beschreiben das als eine sehr belastende Situation. Eine Betroffene erzählte im Interview: „Es gab so viele Tränen: Ich weinte unsere Personenbetreuerin Maria an, dass sie hierbleiben soll und ihr Ehemann aus Rumänien hat sie wiederum täglich angerufen und angeweint, dass Sie nach Hause kommen soll, solange die Grenzen noch offen sind. Es war für uns alle eine furchtbare Zeit!“

Tatsächlich mussten aber nur 5 Prozent der Befragten auf die 24-Stunden-Betreuung verzichten. Den Pflegekräften aus den östlichen EU-Ländern, die während der Krise hier blieben und durchgearbeitet haben, wurde übrigens zuerst ein Bonus versprochen, auf den viele bis heute warten. Tatsächlich besteht kein Rechtsanspruch darauf.

 

Krankheitsverlauf hat sich bei vielen Demenzkranken während Corona-Krise verschlechtert

Auch für die Pflegebedürftigen hat sich die Corona-Zeit negativ auf den Krankheitsverlauf ausgewirkt. 40 Prozent der pflegenden Angehörigen nahmen eine Verhaltensänderung der Demenzerkrankten wahr. Etwa eine Tochter, die die Pflege ihrer Mutter übernommen hat:  „Mama war zusätzlich verwirrt, weil sie oftmals Händewaschen gehen musste und war dann so verärgert, dass sie um sich schlug.“ Oft verstehen die Erkrankten einfach nicht, was um sie herum passiert, oder sie vergessen ständig, dass eine Corona-Pandemie herrscht.  

Auch die Isolation setzte vielen zu. Eine Frau berichtete von einem enormen Schub bei der Demenzerkrankung ihrer Mutter, die sonst oft Kontakt mit ihren Freundinnen hatte. 

40 Prozent berichteten von Konflikten und Streitereien, die oft aus dem Unverständnis der pflegenden Person auf den veränderten Alltag resultierte.

 

Großteil der pflegenden Angehörigen sind Frauen

Und auch diese Befragung ergab (wie auch bereits eine Kurzstudie des Momentum Instituts): Frauen waren auch bei den pflegenden Angehörigen vielfach die Leidtragenden. 70 Prozent der Befragten waren weiblich. Und sie waren oft mehrfach belastet.

Eine Mutter musste ihren Familienalltag komplett auf die Eltern abstellen: „Da wir keine Heimhilfe mehr in Anspruch genommen haben, musste ich die Einkäufe tätigen und die Medikamente meiner Eltern organisieren. Mein Mann hat sich in dieser Zeit um unsere Kinder gekümmert, da sie noch sehr klein sind und der Kindergarten geschlossen war.“

16 Prozent der Befragten haben ihre Erwerbstätigkeit geändert, um mehr Zeit für die Betreuung zu haben. Für die Hälfte der Befragten wurde die Pflege zu Hause zu einer finanziellen Belastung.

Was es dringend braucht:

 

 

* Namen von der Redaktion geändert

 

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