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Ungleichheit
Demokratie

Von „Hure“ bis „hysterisch“: Wie weibliche Abgeordnete beschimpft werden

Sexismus im Parlament gegen weibliche Nationalratsabgeordnete ist ein ernstes Problem: Unter Frauen im Nationalrat geben mehr als zwei Drittel an, schon frauenfeindlichen Hass erlebt zu haben.  Das zeigt eine Befragung des Momentum Instituts.

„ist ihr Hirn schon in ihrer Muschi steckengeblieben?“
„blade Sau“
„du bist hübsch, such dir einen anderen Job“

Mit solchen Nachrichten sind weibliche Nationalratsabgeordnete in ihrer Arbeit konfrontiert. Dass frauenfeindlicher, sexualisierter Hass für viele Politikerinnen ein Problem darstellt, zeigt eine Umfrage unter österreichischen weiblichen Nationalratsabgeordneten, die das Momentum Institut in Kooperation mit Autorin Ingrid Brodnig im Frühjahr 2021 durchführte.

Wir haben die wichtigsten Ergebnisse in Grafiken für dich zusammengefasst.

Frauenfeindlicher Hass ist weit verbreitet

 
frauenfeindliche Hassnachrichten im Netz_Grafik Politikerinnen Abgeordnete

Haben Sie in Ihrer Tätigkeit als Abgeordnete sexualisierten/frauenfeindlichen Hass erlebt?

Alle 72 weiblichen Nationalratsabgeordneten wurden für die Befragung kontaktiert, 30 Prozent der Abgeordneten haben daran teilgenommen, darunter Vertreterinnen aller Parlamentsparteien. Bei jenen Frauen, die an der Umfrage teilnahmen, zeigt sich eine hohe Betroffenheit – drei von vier geben an, sexualisierten oder frauenfeindlichen Hass selbst erlebt zu haben.

 
Grafik: Fanden diese sexualisierten/frauenfeindlichen Nachrichten über das Internet statt? 73 Prozent sagen ja.

Frauenhass: Fanden diese sexualisierten/frauenfeindlichen Nachrichten über das Internet statt?

Fanden diese sexualisierten/frauenfeindlichen Nachrichten über das Internet statt?

73 Prozent der Teilnehmerinnen geben an, solche Nachrichten über das Internet zu bekommen, zum Beispiel via E-Mail, Twitter, Facebook-Messenger.

 
Bekommen Sie sexualisierte/frauenfeindliche Nachrichten auch in analoger Form? 36 Prozent sagen ja.

Bekommen Sie sexualisierte/frauenfeindliche Nachrichten auch in analoger Form?

36 Prozent sagten, dass sie derartige sexualisierte/frauenfeindliche Nachrichten auch analog bekommen – zum Beispiel als Brief ins Büro oder nach Hause.

Frauenhass im Internet

Das Internet scheint vorrangig der Ort zu sein, über den solche Nachrichten an Politikerinnen versandt werden.

 
Hassnachrichten: Wie oft haben Sie solche Mails, Tweets, Facebook-Nachrichten oder Ähnliches erhalten?

„Mein Eindruck ist auch, dass es manche gezielt über E-Mails verschicken: Weil da sehe solche Nachrichten nur ich, andere kriegen das gar nicht mit und somit ist dieser Hass im Netz für Dritte unsichtbar“, berichtet beispielsweise die ÖVP-Abgeordnete Gabriela Schwarz.

Zum Teil haben die Politikerinnen auch Schritte zur Verteidigung ergriffen.

 
frauenfeindliche Hassnachrichten im Netz_Grafik Politikerinnen Abgeordnete

Haben Sie wegen Drohungen oder Angriffen schon einmal die Parlamentsdirektion, die Polizei oder den Verfassungsschutz eingeschaltet?

Ein Drittel, 36 Prozent, der Politikerinnen sagte, dass sie schon einmal wegen solchen Drohungen oder Angriffen die Parlamentsdirektion, die Polizei oder den Verfassungsschutz eingeschaltet haben.

Die betroffenen Abgeordneten, die an der Umfrage teilnahmen, schildern typisch geschlechtsbezogene Abwertungen, die sie erhalten: Sie werden als „Hure“, als „Schlampe“, als „hysterisch“ bezeichnet. Solche Angaben machen Parlamentarierinnen aus unterschiedlichen politischen Lagern.

Zu „hübsch“, zu „blad“, „hochgeschlafen“

Einige Beispiele, die Abgeordnete einbrachten, sind „degradierende, ausschließlich aufs Sexuelle reduzierende Kommentare“, wie es eine Politikerin nannte. Der Körper der Politikerinnen wird in derartigen Nachrichten thematisiert und sie damit auf unterschiedliche Weise herabgewürdigt. Abgeordnete berichten von Kommentaren wie „blade Sau“, „du bist hübsch, such dir einen anderen Job“ oder auch dem Vorwurf, sie hätten sich „hochgeschlafen“.

Unabhängig, ob eine Frau den gängigen Schönheitsidealen entspricht, ihr Aussehen wird auf die eine oder andere Weise zur Grundlage von Abwertungen.

Die sexualisierte Form der Herabwürdigung reicht so weit, dass Abgeordnete Vergewaltigungsdrohungen schildern oder Nachrichten, in denen genaue sexuelle Handlungen mit ihr beschrieben werden. Eine Abgeordnete gab sogar an, jemand hätte ihr eine Fotocollage mit Szenen aus einem Pornoheft geschickt und kommentiert, dass Derartiges mit ihr gemacht gehöre.

Frauenfeindlichkeit macht stumm

Solche Beleidigungen bleiben nicht ohne Konsequenzen. Eine Untersuchung von Amnesty International zeigte etwa, dass von Beleidigungen oder Belästigungen betroffene Frauen zum Teil ihr Verhalten danach änderten.

Auch in der Umfrage unter österreichischen Nationalratsabgeordneten gaben Parlamentarierinnen teilweise an, ihre Äußerungen angepasst zu haben.

 
frauenfeindliche Hassnachrichten im Netz_Grafik Politikerinnen Abgeordnete

Haben Sie bestimmte Äußerungen schon mal nicht öffentlich getätigt, weil Sie ahnten, dass entsprechende Reaktionen/Drohungen kommen?

Jede vierte Befragte gab an, ihre Äußerungen wegen Drohungen oder anderen Reaktionen angepasst zu haben. Betroffene Themen waren unter anderem Integration & Migration, antimuslimischer Rassismus, Kindererziehung und Privatleben, Gendern und Quotenfragen.

Das heißt, zumindest ein Teil der Politikerinnen räumt für sich selbst ein, einzelne Äußerungen vermieden zu haben, um unangenehmen Reaktionen vorzubeugen.

Rassistische Beschimpfungen

Mehrfachdiskriminierung war zwar nicht der Fokus der Untersuchung; die Ergebnisse zeigen aber, dass Politikerinnen basierend auf ihrem Migrationshintergrund, ihrer sexuellen Orientierung oder konfessionellen Zugehörigkeit (oder vermuteten konfessionellen Zugehörigkeit) erhalten.

So gaben Betroffene rassistische, antimuslimische bzw. antisemitische Kommentare an, bei denen sie zum Beispiel als „die Jüdin XYZ“ bezeichnet werden – wobei hier beispielsweise „Jüdin“ als Schimpfwort genutzt wird. Abgeordnete mit Einwanderungsgeschichte berichten von Herabwürdigungen basierend auf ihrer Herkunft. „Wenn ich in Reden von ‚uns‘ spreche, also zum Beispiel ‚unserer Gesellschaft‘, dann kriege ich als Frau mit Migrationsgeschichte den Hinweis, dass ich nicht Teil der österreichischen Gesellschaft sei“, sagt eine Abgeordnete. Auch antimuslimischer Rassismus kommt zutage, zum Beispiel in Sätzen wie „wir hassen Moslems“.

„Der Grad der Irritation ist größer, wenn dort im Parlament nicht nur eine Frau steht, sondern zum Beispiel eine Lesbe, eine Migrantin oder sogar beides“, meint beispielsweise die grüne Abgeordnete Faika El-Nagashi.

Frauenhass im Parlament

Und im eigenen Arbeitsumfeld? Jede zweite Abgeordnete gibt an, Frauenfeindlichkeit oder Sexismus von Kollegen oder Mitarbeitern erlebt zu haben.

 
Grafik: Haben Sie Frauenfeindlichkeit oder Sexismus innerhalb des Parlaments von Kollegen oder Mitarbeiterin erlebt? Jede zweite Abgeordnete sagt Ja

Haben Sie Frauenfeindlichkeit oder Sexismus innerhalb des Parlaments von Kollegen oder Mitarbeiterin erlebt?

Genannt werden beispielsweise „Zwischenrufe“ und „despektierliche Kommentare“, wenn Frauen am Wort sind. „Männer stehen demonstrativ auf und quatschen, wenn Frauen eine Rede halten“, beschreibt es eine Abgeordnete beispielsweise.

Bei den Antworten jener Abgeordneten, die Sexismus im Parlament orten, fällt auf, dass sie Verhaltensmuster kritisieren, bei denen sie den Eindruck haben, dass die Kompetenz von Frauen infrage gestellt wird. Eine Politikerin schildert zum Beispiel „Berichtigungen und Verbesserungen der abgegebenen Wortmeldungen durch die männlichen Kollegen“.

Was kann der Staat gegen Frauenfeindlichkeit tun?

Frauenfeindliche Hasskriminalität ist in Österreich bisher noch nicht als eigene Kategorie in den Statistiken der Sicherheitsbehörden zu finden. Etwa in der Grafschaft Nottinghamshire in Großbritannien ist das aber der Fall. Die Idee dahinter ist, besser statistisch zu erfassen, inwiefern Frauenhass zu unterschiedlichen Delikten führt (von beispielsweise häuslicher Gewalt bis zu sexistischen Drohungen).

 
Grafik: Sollen Sicherheitsbehörden sämtliche Formen misogyner Gewalt und Frauenhass als eigene Kategorie für Ermittlungen und als Statistik einführen? 77 Prozent sind dafür.

Sollen Sicherheitsbehörden sämtliche Formen misogyner Gewalt und Frauenhass als eigene Kategorie für Ermittlungen und als Statistik einführen?

Sollen Sicherheitsbehörden sämtliche Formen misogyner Gewalt und Frauenhass als eigene Kategorie für Ermittlungen und als Statistik einführen?

In der Befragung sprachen sich 4 von 5 Abgeordneten für diese Regelung aus. Dieser Idee, dass der Staat besser erfassen soll, wie viele misogyne Straftaten passieren, stimmen demnach sehr viele Befragte zu.

Was diese Ergebnisse bedeuten

Die Befragung verdeutlicht: Wer als Frau in die Spitzenpolitik geht, wird im Zuge der Laufbahn wahrscheinlich frauenfeindlichen Hass erleben. Es gibt bereits Vorschläge, um das gesellschaftliche Bewusstsein über die Verbreitung und die verschiedenen Formen von Frauenhass zu verbessern: Indem Sicherheitsbehörden umfassender und auch für die Öffentlichkeit einsehbar Statistik führen, lässt sich das Ausmaß dieser Problematik besser erfassen und darauf aufbauend auch weitere Schritte setzen.

Die Ergebnisse sind aber erst ein erster Einblick in die Problematik. 31 Prozent der weiblichen Abgeordneten nahmen teil. Sie geben ein Stimmungsbild eines Teils des Parlaments wider – und ihre Beispiele veranschaulichen, welche unterschiedliche Formen der Herabwürdigung Frauen in der Öffentlichkeit erleben.

 

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