Die Wahrheit über den Gender Pay Gap: Warum der Markt ihn nicht beseitigt
Alle Jahre wieder. Kommt der Equal Pay Day, also der Tag, ab dem Frauen statistisch gesehen gratis arbeiten. Denn für jeden Euro, den ein Mann bekommt, kriegt eine Frau nur 84 Cent, eine Frau mit Migrationsgeschichte überhaupt nur 75. Und alle Jahre wieder kommt dann auch: die Kommentarspalte der Empörung. Darin finden sich meistens Männer, die sich auf die Schulter klopfen, weil sie einen “Logikfehler” entdeckt haben, den offenbar noch niemand sonst gesehen hat.
“Wenn Frauen wirklich weniger verdienen würden, dann würden ja alle Unternehmen nur noch Frauen einstellen!” Ein Satz, der so oft wiederholt wird, dass er fast klingt wie Logik. Ist es aber nicht. Dieser Satz ist kein Argument, sondern ein Denkfehler in Reinform.
Moment mal!
Das könnte dir auch interessieren
Und um zu verstehen, warum, müssen wir uns kurz anschauen, wie Arbeit tatsächlich bewertet wird, was Märkte wirklich tun, und warum sie garantiert nicht fair sind, auch wenn sie sich so geben. Das “Argument” basiert auf einer simplen Marktlogik: Wenn zwei Gruppen dieselbe Leistung bringen, aber eine davon weniger kostet, dann müssten sich die Profitmaximierer, also das Unternehmen, natürlich für die günstigere Arbeitskraft entscheiden. Wenn Frauen also bei gleicher Leistung weniger verdienen, dann wäre es doch ökonomisch rational, nur Frauen einzustellen. Das sagt einem doch der Hausverstand!
Das Märchen vom gerechten Markt
Das Problem: Der Arbeitsmarkt funktioniert nicht nach dem wunderschönen Märchen vom “gerechten Markt”, sondern nach gesellschaftlichen Bewertungen. So etwas wie einen neutralen Markt, der rational funktioniert, gibt es vielleicht im Lehrbuch - aber auch nur dort. In der Realität wird Arbeit nicht einfach nur nach Produktivität bezahlt, sondern nach dem, was Menschen glauben, dass sie wert ist. Und dieser “Glaube” ist geprägt von Geschlecht, Tradition, Status und Macht. Männerarbeit gilt als anspruchsvoll, techniknah, wichtig. Frauenarbeit gilt als selbstverständlich, natürlich, emotional, und damit weniger wert. Das eine gilt als Qualifikation. Das andere als Charaktereigenschaft. Darum ist Männerarbeit teuer und Frauenarbeit selbstverständlich.
Das bedeutet: Der Markt “belohnt” nicht die produktivste Arbeit, sondern die gesellschaftlich prestigeträchtigste. Und Prestige klebt an der Männlichkeit, wie die ÖVP an der Regierung.
Branchen werden nach Geschlecht bezahlt
Man kann diesen Mechanismus gut messen. Von den 36 bestbezahlten Branchen in Österreich sind 29 männlich dominiert. In der IT verdient man im Schnitt 41 Euro pro Stunde, in der Pflege 15 Euro, im Kindergarten 12. Nicht, weil die Arbeit mit Kindern oder alten Menschen weniger anstrengend wäre oder weil es ein Überangebot an Pflegekräften oder Elementarpädogig:innen gäbe, sondern weil deren Arbeit weiblich konnotiert ist.
Noch klarer wird es, wenn wir uns den Handel ansehen: 3 von 4 Leuten, die im Verkauf arbeiten, sind Frauen, sie bekommen keine 16 Euro brutto in der Stunde bezahlt. Wenn man aber Autos verkauft - 3 von 4 Autoverkäufern sind Männer - dann bekommt man über 24 Euro die Stunde.
Die Forschung nennt das Abwertungstheorie
Und das Muster bleibt stabil, egal wo man hinschaut: Je weiblicher ein Beruf, desto schlechter bezahlt ist er. Die Forschung nennt das die Abwertungstheorie. Sie ist der Grund, warum sobald mehr Frauen in ein Berufsfeld einsteigen, es gesellschaftlich an Ansehen verliert und die Löhne dann zu sinken beginnen. Nicht, weil sich die Arbeit verändert, sondern nur, weil Frauen sie machen.
Die Folgen davon tragen auch nicht nur Frauen. Eine groß angelegte US-Studie hat Berufsdaten über 5 Jahrzehnte ausgewertet. Das Ergebnis: Wenn der Frauenanteil in einem Beruf um zehn Prozentpunkte steigt, sinken die Männerlöhne dort um neun Prozent - aber die Frauenlöhne sogar um vierzehn. Nicht, weil plötzlich alle fauler oder weniger produktiv geworden wären, sondern weil das gesellschaftliche Prestige der Arbeit schwindet.
Lehrer gut bezahlt, Lehrerin nicht so ganz
Man kann das historisch wunderbar beobachten: Lehrer war früher ein hoch angesehener, gut bezahlter Männerberuf. Dann kamen die Frauen und die Gehälter sanken. Dasselbe bei Apothekern oder Bankangestellten. Umgekehrt wirkt der Mechanismus übrigens auch. Programmieren galt in den 1950er- und 60er-Jahren als Tipp-Arbeit für Sekretärinnen. Bis Männer gemerkt haben, dass das wichtig wird. Sie übernahmen die IT-Branche und mit ihnen kamen die hohen Gehälter.
Wenn also jemand behauptet, “dann würden ja alle Frauen eingestellt”, dann ignoriert er all das: Sobald in einen Beruf mehr Frauen einsteigen, wird der Beruf schlechter bezahlt. Weil dort, wo Frauen arbeiten, die Arbeit gesellschaftlich entwertet wird. Der angebliche “neutrale” Markt funktioniert also nicht wie ein Schnäppchenjäger, der die günstigsten Arbeitskräfte sucht, sondern ist ein Spiegel gesellschaftlicher Machtverhältnisse und Vorurteile. Er reproduziert die bestehenden Machtverhältnisse: Männerarbeit wird auf-, und Frauenarbeit abgewertet.
Abstand von Frauen in Männerberufen am größten
Und selbst wenn Frauen tatsächlich in “männliche” Branchen drängen, also in Technik, IT, Ingenieurwesen, verdienen sie dort trotz gleicher Ausbildung und Leistung deutlich weniger als die Männer um sie herum. Der Gender Pay Gap ist in den sogenannten Männerbranchen mit am größten.
Der Markt ist also nicht geschlechtsneutral. Er ist geschlechtlich kodiert. Er verteilt Anerkennung und Einkommen entlang von Rollenbildern, nicht entlang von Leistung.
Unternehmen sind keine rationalen Maschinen
Die Annahme, Unternehmen würden automatisch die günstigere Arbeitskraft wählen, funktioniert nur, wenn man glaubt, Arbeitgeber seien rational. Aber Menschen sind, auch wenn sie Firmen leiten, keine Rechenmaschinen. Sie sind soziale Wesen, beeinflusst von Vorurteilen, Gruppendruck und Machtinteressen.
Dieses Prinzip wirkt in jedem Land, jedem Unternehmen, jedem Lohnzettel. Es geht nicht um ökonomische Rationalität, sondern um soziale Hierarchien. Und die sind erstaunlich stabil, selbst wenn sie Geld kosten. Wer jetzt sagt: “Aber Unternehmen wollen doch Geld verdienen, die handeln doch wirtschaftlich!”, übersieht, dass Diskriminierung sich wirtschaftlich sehr oft lohnt: für alle, die davon profitieren. Wenn Männer durch informelle Netzwerke, Beförderungslogiken und der Annahme, dass ihre Arbeit einfach mehr wert sei, am lukrativen Posten sitzen bleiben, müssen sie diese Macht nicht teilen. Das sichert Einfluss, Prestige, aber vor allem: höhere Einkommen.
Die Ungleichheit ist wirtschaftlich unvernünftig ...
Kurz: Männer profitieren von der unfairen Ordnung und die Unternehmen funktionieren ja trotzdem. Wenn auch nicht so gut. Denn die Benachteiligung von Frauen ist natürlich ökonomisch unklug. Langfristig kostet sie. Und zwar richtig viel.
Daten aus den Top-500-Unternehmen der USA zeigen: Wenn der Frauenanteil in den Aufsichtsräten um zehn Prozentpunkte steigt, wächst die Rendite im Schnitt um ein bis anderthalb Prozentpunkte.
Unternehmen mit mehr Frauen in Führungspositionen haben messbar bessere Kennzahlen: höhere Innovationsraten, stabilere Gewinne, geringere Personalfluktuation. Diskriminierung ist also auch volkswirtschaftlich unklug. Sie hält Firmen kleiner und Gesellschaften ärmer. Das ist der Preis für die Ungleichheit, den wir alle zahlen, Männer wie Frauen.
... aber Unternehmen sind nicht vernünftig
Das “Argument” „Dann würden ja nur mehr Frauen eingestellt“ verrät also weniger über die Realität, als über das Weltbild jener, die es benutzen. Es zeigt, dass sie glauben, Märkte seien von Natur aus gerecht. Dass auch die Lohnlücke schon irgendeinen logischen Grund haben müsse. Aber die Wirklichkeit ist genau umgekehrt: Die Lohnlücke ist kein Fehler im System, sie ist das System. Sie hält alte Machtverhältnisse am Laufen. Sie sorgt dafür, dass Frauen zwar mitarbeiten dürfen, aber zu deutlich schlechteren Bedingungen.
Der Markt ist kein neutraler Richter, sondern nur ein Spiegel unserer Vorurteile. Und solange wir glauben, er sei gerecht, wird es ungerecht bleiben.
Das könnte dir auch gefallen
- Arbeit – Du arbeitest, andere werden reich
- Digitaler Euro kommt: Was steckt dahinter?
- Was bedeutet Wohlstand? Über eine Zukunft, in die wir mit Hoffnung blicken können
- Sparkurs: Woher der Staat sein Geld nimmt und woher er es nehmen sollte
- Wohnen – Du zahlst, Reiche kassieren
- Privatstiftungen in Österreich erklärt: Warum alle Reichen eine haben
- Als Flüchtling geboren und ein ganzes Leben auf der Flucht
- Hohe Preise bei Essen, Heizen, Wohnen: Wer kann sich das Leben noch leisten?