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Gewaltbeziehung überlebt: "Mein Umfeld trägt Mitverantwortung für mein Leid"

Gewalt gegen Frauen ist ein großes Thema, das vor allem politisch gelöst werden muss. Aber auch du kannst Betroffenen in deinem Umfeld helfen. Eine Frau, die sich aus einer Gewaltbeziehung befreit hat, erklärt, was du tun kannst.

Achtung: In dem Artikel geht es um schwere körperliche und sexualisierte Gewalt.

Sabrina, 34, hat sich aus einer Gewaltbeziehung befreit. Familie und FreundInnen waren hilflos oder haben verharmlost. Für unsere Serie „Was ich wirklich denke“ erzählt Sabrina, was sie sich von ihrem Umfeld gewünscht hätte – und was ihr geschadet hat.

Mein Ex-Freund hat mich kontrolliert, geschlagen, vergewaltigt, gedroht, meine Familie zu töten – und wenn ich es nicht geschafft hätte, mich zu befreien, dann hätte er mich wahrscheinlich umgebracht.

Hilfe habe ich in der Gewaltbeziehung von meinem Umfeld kaum bekommen. Heute denke ich – auch wenn es weh tut, das zu schreiben -, dass meine Angehörigen Mitverantwortung für mein Leid tragen. Weil sie weggesehen, die Gewalt verharmlost und sich von mir abgewandt haben. Es war für sie sicher keine einfache Situation: mitzuerleben, wie die beste Freundin ein völlig anderer Mensch wird; wie sie sich nicht mehr meldet, komisch verhält, nichts mehr erzählt; oder sich einzugestehen, dass die eigene Tochter Opfer geworden ist, das mit sich hat machen lassen, vielleicht hätte sterben können.

Heute, zwei Jahre später, möchte ich deswegen aufschreiben, wie FreundInnen, Familie und sogar ArbeitskollegInnen helfen können, wenn sie den Verdacht haben, jemand könnte von Gewalt betroffen sein.

Was FreundInnen tun können

Mein Ex-Freund hat mich von meinem Umfeld isoliert. Manche Freundschaften sind zerbrochen, weil meine FreundInnen mein abweisendes Verhalten persönlich genommen haben. Andere FreundInnen haben mir viel Halt gegeben. Ohne sie wäre ich heute nicht mehr da.

Wenn du beispielsweise merkst, die Freundin meldet sich nicht mehr, sie hat Instagram und ihr Whatsapp-Bild gelöscht oder sagt alle Treffen ab, sind das Warnzeichen. Dann solltest du dich so oft wie möglich bei deiner Freundin melden. Damit zeigst du ihr, dass du für sie da bist. Wichtig ist aber, dass du nicht gleich explizite Fragen stellst. Wenn der Täter solche Nachrichten sieht, kann das fatal enden.

Am besten stellst du die unverfängliche Frage, wie es ihr geht und was sie gerade macht. Wenn sie dir zu verstehen gibt, dass sie alleine ist, dann ist das deine Chance, sie direkt anzusprechen. Frage, wie du helfen kannst, ob sie einen Plan hat und sichere die Nachrichten, falls es später zu einem Gerichtsprozess kommt. Schreibe ihr nur direkte Fragen zu ihrer Situation, während sie selbst online ist, sonst ist die Gefahr zu hoch, dass der Täter sie später sieht.

Wenn es möglich ist, triff sie persönlich. Wenn du Verletzungen siehst, dann schieße Fotos. Sie selbst kann keine Fotos machen, der Täter könnte sie entdecken und ausrasten.

Ich weiß, dass viele in meinem Umfeld die blauen Flecken gesehen haben. Insgeheim habe ich gehofft, dass mir jemand hilft, aber ich habe es nicht geschafft, die Situation selbst anzusprechen. Deshalb ist in so einer Situation auch die Initiative von FreundInnen und Familie gefragt.

Was meine Familie falsch gemacht hat

Ein Teil meiner Familie hat die Gewalt heruntergespielt. Selbst Schuld, haben sie gesagt und sogar eher Partei für den Gewalttäter ergriffen. Egal wie oft ich zusammengeschlagen bei ihnen aufgetaucht bin, sie haben nicht geholfen.

Auch mit meinen Eltern war es anfangs schwierig. Sie waren selbst hilflos und heillos überfordert. Manchmal hatte ich das Gefühl, sie geben mir die Schuld, dass ich das mit mir machen ließ. Das machte es fast unerträglich für mich, als ich nachher einige Zeit bei ihnen wohnen musste. Mittlerweile haben auch meine Eltern den Schmerz überwunden, wir können heute offen über diese schlimme Zeit reden. Das tut gut.

Die Familie sollte ein Anker für Betroffene sein. Der Ort, an dem man sich sicher sein kann, geliebt und unterstützt zu werden. Ich glaube, dass man in der Familie offen darüber sprechen muss, wenn ein Mitglied in einer Gewaltbeziehung gefangen ist. Am besten setzt sich die gesamte Familie zusammen, lädt FreundInnen ein, die zum Beispiel bei der Polizei oder am Gericht arbeiten und berät, wie sie vorgehen kann.

Augen auf bei der Arbeit

Als ich schon tief in der Gewaltbeziehung steckte, habe ich meinen Chef gebeten, mich zu kündigen. Mein Ex-Freund hatte Waffen zu Hause, meine kleine Schwester hat bei mir gelebt. Ich wollte sie nicht mit ihm alleine lassen. Genauso habe ich das gesagt. Mein Vorgesetzter hat einfach zugestimmt und nicht weiter nachgefragt. Im Nachhinein hätte ich mir gewünscht, er hätte das Gespräch aufgenommen, vielleicht unter dem Aufwand, er wolle sich arbeitsrechtlich absichern.

Wenn deine Kollegin immer wieder mit blauen Flecken in die Arbeit kommt, kannst du ein Gedächtnisprotokoll anlegen. Das hilft ihr später vor Gericht. Wenn ihr alleine seid und die Situation passt, frag sie, wie es ihr geht. Mir hätte es geholfen, wenn mir jemand von den eigenen Erfahrungen erzählt hätte. Ich habe mich geschämt dafür, dass ich in dieser Beziehung bin. Ich wusste ja, dass es falsch ist, was er tut.

Bei meinem ersten Job nach meiner Befreiung hat der Täter mehrmals meinen Arbeitsplatz aufgesucht. Meine Chefin hat mich direkt darauf angesprochen. Ich habe ihr alles erzählt. Sie hat geweint. Dann hat sie diskret einen Termin bei der betriebseigenen Psychologin für mich ausgemacht. Dort konnte ich während der Arbeitszeit hingehen. Das war eine große Hilfe.

Nach der Befreiung aus der Gewalt

Das Wichtigste ist, das Opfer in Sicherheit zu bringen. Aber auch danach brauchen Betroffene viel Unterstützung. Beweise sichern, Sozialleistungen beantragen, TherapeutInnen finden, ein eigenes Bankkonto eröffnen – all das sind unheimlich wichtige Dinge, für die Opfer wenig Kraft haben. Du kannst immer anbieten, jemanden zur Polizei, ins Krankenhaus und zu Gericht zu begleiten.

Ich habe bei der Polizei und vor Gericht viele Rückschläge erlebt. Davor kann auch ein unterstützendes Umfeld niemanden bewahren. Mein Täter wurde nie verurteilt. Er ist auf freiem Fuß. Wenn ich im Radio höre, dass ein junger Mann eine Frau umgebracht hat, dann ist mein erster Gedanke: Das war er. Jetzt hat er es wirklich getan. Er hat jemanden getötet.

Ich werde lange mit dem Trauma leben. Heute habe ich einen Partner, der mich bedingungslos liebt und auch da ist, wenn ich gerade wenig zurückgeben kann. Er gibt mir Kraft.

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