Giftanschläge auf Mädchenschulen im Iran – Wer steckt dahinter?
In den letzten Wochen häufen sich Berichte über Giftgasangriffe auf Mädchenschulen. Alleine am 1. März gab es Berichte über Vergiftungen an mindestens 32 Mädchenschulen im gesamten Land, mittlerweile sind über tausend Schülerinnen davon betroffen.
“Ich kann nicht mehr atmen”, schreit ein Mädchen und lehnt sich gegen eine Schulmauer. Seit einigen Wochen erfasst eine Welle an Vergiftungserscheinungen Mädchenschulen im Iran. Videos der betroffenen Schülerinnen zeigen sie gequält am Boden liegen, nach Luft ringend. Bereits im November 2019 gab es Berichte über Vergiftungen an Universitäten. Damals wurde das Kantinenessen von Studierenden vor angekündigten landesweiten Protestaktionen vergiftet. Aus Protest warfen die Studierenden ihre Essenstabletts auf die Straße.
Ausgehend von der schiitischen Hochburg Ghom wurden in den letzten beiden Wochen an dutzenden Schulen im gesamten Land Fälle von Vergiftungen gemeldet. Dabei soll es sich um ein Giftgasgemisch handeln, das Spuren von Stickstoff enthält und Symptome wie Atemnot, Muskelschwäche, Übelkeit und Herzklopfen hervorruft. Teilweise fielen die betroffenen Schülerinnen in Ohnmacht, hunderte mussten ins Krankenhaus eingeliefert werden.
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Giftgasangriffe auf Mädchenschulen im Iran: Regierung sieht „frauenfeindliche Fanatiker” in Verantwortung
In Ghom sowie in Teheran finden Proteste statt – von Eltern, die Aufklärung verlangen. Nach monatelangem Schweigen und Abstreiten gehen Politiker:innen nun von systematischen Giftgasanschlägen aus, die laut Vizepräsidentin Massumeh Ebtekar von “frauenfeindlichen Fanatikern“ verübt werden. Dazu soll es ein angebliches Bekennerschreiben geben. Der stellvertretende Gesundheitsminister Younes Panahi sagte laut IRNA, der staatlichen Nachrichtenagentur des Regimes, dass wohl “einige Leute wollten, dass alle Schulen, insbesondere Mädchenschulen, geschlossen werden”. Laut Innenminister Ahmad Vahidi wurden mittlerweile Sicherheitsbehörden eingeschaltet: “Der Geheimdienst wird herausfinden, welche Gruppen das getan haben. Noch wissen wir es nicht.”
Betroffene sehen Sicherheitskräfte des Regimes hinter den Gasangriffen
Die Mutter eines betroffenen Mädchens erzählte, dass ihre Tochter und ihre Mitschülerinnen auf dem Schulhof bewusstlos lagen und schließlich in einem Krankenwagen abtransportiert wurden. Im Spital kamen Regierungsbeamte auf sie zu und gaben ihr fadenscheinige Erklärungen auf ihre Fragen. Vergiftete Schülerinnen berichten laut dem Aktivist:innen-Netzwerk 1500Tasvir, dass sie sogenannte “Lebasshaksi” auf den Schulhöfen sahen, bevor sie das Gas einatmeten. Dabei handelt es sich um Personen, die im Auftrag der iranischen Revolutionsgarde in ziviler Kleidung Protestierende festnehmen, schlagen und auch töten. Einige Eltern und Kritiker:innen sehen das Regime selbst für die Gasvergiftungen verantwortlich, nicht zuletzt, weil versprochene Untersuchungen der Vergiftungsfälle bisher nicht eingehalten wurden.
Schulen und Universitäten sind dem Regime ein Dorn im Auge
Schülerinnen spielen eine bedeutende Rolle in den andauernden Protesten im Iran, Mädchenschulen sowie Universitäten selbst sind immer wieder Schauplätze zahlreicher Protestaktionen, die das Ende der Islamischen Republik fordern. Immer mehr junge Mädchen und Frauen haben das obligatorische Kopftuch im Alltag abgelegt. Daher gibt es Vermutungen, dass die Vergiftungen als Rache des Regimes an den protestierenden Mädchen und jungen Frauen dienen. Für die nächsten Tage wurden Demonstrationen angekündigt, Schülerinnen sollen dem Unterricht fernbleiben. Zudem sollen um das Nouruz-Frühlings-Fest am 20. März herum weitere Protestaktionen stattfinden, darunter auch in Universitäten. Um dies zu verhindern, hat man zudem alle Schlafsäle an Universitäten für die nächsten Monate geschlossen und auf Fernunterricht umgestellt.
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