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Gratis-Games: Wie mit Psycho-Tricks Milliarden gemacht und Kinder frustriert werden

Gratis-Spiele am Handy und Computer locken Kinder mit vermeintlich kostenlosem Spielspaß an. Aber wer gerade jüngere Kinder spielen lässt, ist gut beraten, dafür Geld in die Hand zu nehmen: Die vermeintlich kostenlose Spielewelt hat ihre Tücken. 

Eigentlich interessiert sich Sandra G.* überhaupt nicht für Videospiele. “Meine zwei Buben aber dafür umso mehr”, sagt sie. Am liebsten wäre es ihr, ihre Kinder würden das ihr etwas unheimliche neue Medium nicht so toll finden – aber ganz davon fernhalten kann und will sie ihre Söhne davon nicht. Die alleinerziehende Wienerin weiß, dass ihre Söhne Florian (5) und Moritz (8) fasziniert sind von der bunten Games-Welt. Kennengelernt haben sie die in der Schule von ihren Freunden und bei Verwandten. Langsam, aber sicher hat es sich auch bei ihr zuhause eingeschlichen: “Ja, meine Buben dürfen hin und wieder am Handy spielen.” Und sie fügt hinzu: “Leider.” 

Um die Wartezeit beim Zahnarzt zu überbrücken, als Belohnung fürs brave Sitzenbleiben oder aber, um im Lockdown hin und wieder eine halbe Stunde Zeit zum Durchschnaufen zu bekommen, drückt Sandra Moritz das Smartphone oder das Tablet in die Hand. Florian schaut gebannt zu. Was gespielt wird, schaut sie sich kurz mit ihm an. Candy Crush, Suchspiele und “eines mit Bauernhof”. Allesamt mit bunter, niedlicher Grafik. Pixelblut darf keines fließen. Eines haben alle Spiele gemeinsam: Sie sind kostenlos. “Nein, für so etwas gebe ich sicher kein Geld aus”, sagt Sandra G. 

Kostet alles nix?

Wer den Spiele-Bereich von Handy-Stores ansieht, bekommt auf den ersten Blick tatsächlich den Eindruck, dass es ohnedies nur kostenlose Spiele gibt. So übermächtig ist die Flut dieser Titel, die man in der Branche “Free-to-Play” (F2P) nennt. 

Das Geschäftsmodell gibt es längst auch auf Konsolen und Computern. Gelegenheitsspieler*innen oder Eltern wie Sandra G. machen sich darüber kaum Gedanken. Dass es “im Internet” etwas gratis gibt, hinterfragen die wenigsten. Tatsächlich ist in der wirtschaftlich rasant wachsenden Videospielbranche aber ausgerechnet das Geschäft mit den Gratisspielen das lukrativste überhaupt. Fast 100 Milliarden US-Dollar wurden 2020 weltweit mit Gratisspielen erwirtschaftet, das sind 78% der gesamten Branchenumsätze

 
In Free-to-Play-Spielen wie Pokemon Go kann man sich Spielfortschritte erkaufen

In Free-to-Play-Spielen – etwa Pokemon Go – kann man sich  oft Spielfortschritte erkaufen, die andernfalls mit viel Zeiteinsatz oder repetetiven Tätigkeiten „erspielt“ werden müssen

Geld verdienen mit Gratisspielen?

Auf den ersten Blick wirkt das widersinnig. Denn installieren und spielen kann man F2P-Spiele kostenlos. Aber zu kaufen gibt es dennoch etwas. In vielen Spielen kann man sich “Continues” oder Extras kaufen, die das eigene Spielerleben erleichtern. Manchmal gibt es Spielwährung wie virtuelle Edelsteine zu erwerben, mit denen man wiederum im Spiel für heiß begehrte neue Figuren oder Extras bezahlt. In manchen Spielen sind die Käufe rein kosmetisch, in anderen wird es durch Einkäufe leichter oder man verkürzt sich Wartezeiten.

Und wieder andere Spiele finanzieren sich durch Werbung, die im schlimmsten Fall alle paar Minuten über die kleinen Bildschirme flimmert; gelegentlich darf man sie deaktivieren – gegen Geld. Die Beträge reichen von wenigen Cent bis zu beachtlichen Summen. Bezahlt wird per Handyrechnung oder Kreditkarte.

Frust mit Absicht

Allen unterschiedlichen Gratis-Modellen ist eines gemeinsam: Die Spieler*innen sollen dazu gebracht werden, doch noch zu bezahlen. Das hat weitreichende Folgen für das Spielerlebnis. “Normale”, gekaufte Spiele werden entworfen und erdacht werden, um Spaß zu machen. Das Publikum soll im besten Fall auch eine Fortsetzung kaufen. 

Bei F2P-Spielen anders. Die sollen ihre Spielerschaft anfangs schnell ins Spiel kippen lassen. Bis sie an die “Pay Wall” prallen. Das ist ein Begriff aus dieser F2P-Welt. Er beschreibt jenen Punkt im Spiel, an dem das, was zuvor noch schnell ging und Spaß machte, plötzlich mühsam, anstrengend und frustrierend wird. Außer man bezahlt.

Zur Langeweile gezwungen

Genau das ist Absicht: Je größer die Frustration, desto eher wird bezahlt, um wieder zum von der Anfangsphase bekannten Spielspaß zurückzukommen. Vor allem Kinder und Jugendliche haben allerdings oft nicht einmal die Option, zu bezahlen: Eine Kreditkarte haben sie nicht, und die Eltern weigern sich oft.

Wenn sie spielen wollen, bleibt den Kindern also nur eins: Die Zähne zusammenbeißen und sich weiter durch ein Spielerlebnis zu quälen, das genau dafür entworfen wurde, Langeweile und Frust hervorzurufen – das exakte Gegenteil des Ziels, das Spiele zum Normalpreismodell haben. 

Das bedeutet: sich stetig wiederholende, langwierige Vorgänge im Spiel häufen sich, es gibt lange Wartezeiten. Kein Wunder, dass Erwachsene, die nur solche Spiele kennen, die Idee absurd finden, für “so etwas” jemals zu bezahlen. Wer nur F2P-Spiele kennt, hat ein verzerrtes Bild von Spielen allgemein – und ist weniger bereit, Geld auszugeben. Dabei würde das dieses Bild von der stupiden Zeitverschwendung durch Videospiele wohl ändern.

Wenn gratis zum Problem wird

Herbert Rosenstingl  leitet die im Bundeskanzleramt angesiedelte “Bundesstelle für die Positivprädikatisierung von Computer- und Konsolenspielen“, kurz BUPP. Seit 2005 bietet seine Servicestelle unabhängige Informationen zu digitalen Spielen. Rosenstingl kennt das Problem. “Viele Free-to-Play-Spiele erinnern mich ein wenig an die ,Quengelzone’ im Supermarkt: Es wird den Spielenden der Mund wässrig gemacht, um sie dann zu verleiten, Geld auszugeben, um ein Stück mehr vom Spiel zu haben.” 

“Solange der Free-to-Play-Einstieg wirklich nur zum Kennenlernen dient und man dann für eine einmalige Zahlung in angemessener Höhe das ganze Spiel erwerben kann, ist es im Grunde eine gute Sache”, meint Rosenstingl. Einige kostenlose Games verzichten so durchaus auf problematische psychologische Mechanismen. 

“Problematisch wird es, wenn Spielende verleitet werden, immer wieder scheinbar nur ‘kleine’ Beträge auszugeben”, sagt der Experte. “Spielelemente, die an Glücksspiel erinnern, machen das Ganze noch schlimmer: Hier werden die Spielenden mit – von den Machern bewusst eingesetzten – Stimuli konfrontiert, die darauf abziehen, den Überblick und die Kontrolle zu verlieren”, sagt der Experte. Anfällig dafür seien alle Altersgruppen, besonders heikel sei es aber bei jüngeren Spielenden: “Die sind ja erst in der Lebensphase, wo es genau darum geht die Fähigkeiten ‘Überblick’ und ‘Selbstkontrolle’ zu erlernen.” 

 
Free-to-play: Lootboxen gibt es auch in kostenpflichtigen Spielen

Lootboxen gibt es nicht nur in Free-to-Play-Games sondern auch in kostenpflichtigen Spielen

Der Staat wird aufmerksam

Ein Beispiel für Glücksspiel-artige Mechanismen ist das das sogenannte Lootbox-Modell. Man kann es sich wie Panini-Pickerl vorstellen, die es zu verschiedenen Fußball-Bewerben immer wieder gibt. Man kauft in Spielen eine “Lootbox”, also ein Paket an neuen, digitalen Inhalten – man weiß aber nicht, was genau drinnen sein wird. Mit viel Glück ist es ein “wertvoller” oder “seltener” Gegenstand. Das Modell hat sich in den letzten Jahren rasant durchgesetzt – und ist inzwischen aus der Welt der Gratisspiele sogar schon in eigentlich zum Vollpreis erhältliche Franchises gewandert. In Spielen wie jenen der FIFA-Reihe können Spielende durch den Kauf von digitalen “Überraschungs-Paketen” mit viel Glück populäre Spieler freischalten. 

International regt sich Widerstand gegen diese Geschäftspraxis der Videospielbranche. In Deutschland wurde erst Anfang März im Bundestag ein diesbezügliches Gesetz verschärft. Vor allem Kinder und Jugendliche sollen vor „Interaktionsrisiken“ geschützt werden, wie sie in Gratisspielen an der Tagesordnung sind. Mikrotransaktionen und glücksspielähnliche Mechaniken wie F2P-Lootboxen werden ausdrücklich genannt. Wenn keine altersgerechte Voreinstellung für Kinder erfolgt, müsse die deutsche Altersfreigabe des Spiels  erhöht werden. 

Herbert Rosenstingl begrüßt die deutsche Gesetzesinitiative. An der Verantwortung der Eltern führt aber trotzdem kein Weg vorbei. “Der pädagogische Umgang mit dieser und anderen Monetarisierungsstrategien sollte nicht vergessen werden. Die Stärkung der Medienkompetenz sowohl der Kinder wie auch der erwachsenen Bezugspersonen muss Priorität bleiben”, meint er. 

Guter Rat für Eltern

Was einfach klingt, ist aber schwer – vor allem für Eltern, die wenig Lust haben, sich mit dem fremden Medium zu beschäftigen. Oder die sich im Gegenteil sogar zumindest hin und wieder davon ein paar kostbare Minuten Kinderablenkung versprechen. Eine simple Faustregel kann aber dabei helfen, die unweigerliche Begegnung des Nachwuchses mit dem interaktiven Medium sinnvoller zu gestalten.

Eigentlich logisch: Wer Sorge hat, dass seine Kinder den genannten Mechanismen von Gratisspielen ausgesetzt sind, sollte zu Spielen greifen, die nicht darauf ausgelegt sind, zum Geldausgeben zu motivieren.

Das kann bei ganz großen Produktionen natürlich auch eine finanzielle Frage werden. Doch nach wie vor gibt es auch für mobile Geräte wie Smartphones und Tablets Spiele, die zu einem meist recht günstigen Preis von teils weit unter zehn Euro einfach gekauft werden. Der Vorteil: danach werden sie nicht mehr mit fragwürdigen Methoden um weiteren Münzeinwurf betteln. Auf der Webseite der BUPP finden sich jede Menge Empfehlungen. Einige hat MOMENT auch weiter unten gesammelt.

Den Spaß lernen

Wenn Kinder – und auch deren Eltern – erleben, wie Spiele ohne psychologische Tricks zur Frust- und Bezahlungsmaximierung aussehen können, sind sie vielleicht auch abseits davon weniger gewillt, ihre Zeit mit absichtlich auf Widerstand programmierten F2P-Tretmühlen zu verbringen.

Am besten und spaßigsten ist es dann übrigens, die Zeit vor dem kleinen oder großen Bildschirm mit dem Nachwuchs gemeinsam zu verbringen. Das steigert nicht nur die Medienkompetenz von Kindern und Eltern, sondern macht sogar Spaß. Denn wer bislang nur F2P-Spiele kennt, wird sich wundern, wie Spiele aussehen können, die ihr Hauptaugenmerk nicht auf Psychotricks, sondern einfach auf Spielspaß legen.  (RS)
 

 
Monument Valley

Spielempfehlung: Monument Valley

 

Eine kleine Auswahl an günstigen Spielen, die ihr Geld wert sind:

Monument Valley 

Das wunderschöne Rätselspiel um etwa 3 Euro ist für große und kleine Spieler*innen ein Erlebnis. Auch Teil 2 ist absolut empfehlenswert.

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Gorogoa

Das clevere Rätselspiel ist ein ästhetischer Genuss, der auch Eltern vom Zauber des Mediums überzeugen kann. Etwa 4 Euro, der größere Tablet-Bildschirm zahlt sich aus.

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Stardew Valley

In diesem Indie-Erfolgsspiel gilt es, einen Bauernhof zu bestellen und sich im idyllischen Landleben einzurichten. Kein Spiel für ein paar Minuten, sondern hübscher Eskapismus für viele Stunden um unter 5 Euro.

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Botanicula

Wie alle Spiele des tschechischen Indiestudios Amanita Design ein umwerfend hübscher Rätselspaß für Groß und Klein.  Fast zu hübsch für den kleinen Smartphone-Bildschirm, perfekt am Tablet und auch auf anderen Plattformen zu haben.

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Hidden Folks

Ein interaktives Wimmelsuchbildspiel im netten Schwarzweiß-Look um etwa 5 Euro, und ebenso wie das ähnliche Under Leaves ein schöner Zeitvertreib vor allem für junge Spieler*innen. Wie immer: am besten gemeinsam.

iOS / Android

The Battle of Polytopia

Dieses hübsche Strategiespiel ist zwar gratis, die Kaufoptionen betreffen aber nur freischaltbare neue Fraktionen – F2P-Mechanismen verwendet es nicht. Allein oder im Online-Multiplayer eine tolle Alternative zu F2P-Spielen wie Clash of Clans.
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