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Wann es Mut und Widerstand von Beamten braucht

Die Soziologin Marianne Egger de Campo spricht über den Mut von Beamten und warum er in Zeiten des Ibiza-Skandals besonders wichtig ist. Egger de Campo war als Keynote-Speakerin beim am Donnerstag beginnenden Momentum Kongress in Hallstatt vorgesehen, musste aber krankheitsbedingt absagen. Das Vorab-Gespräch führte sie aber noch mit Moritz Ablinger.

Ihre Keynote hätte den Titel „Beamtentum ersetzen durch Beamtenmut?“ getragen. Was meinen Sie mit Beamtenmut?

Marianne Egger de Campo: Der Begriff „Beamtenmut“ wurde mir eigentlich vor einigen Monaten von meinem Rechtschreibprogramm vorgeschlagen. Da die künstliche Intelligenz den Begriff Beamtentum nicht kannte. Da schlug sie mir für das „falsch geschriebene Wort“ Beamtenmut vor. Beamte werden darauf trainiert und sind gesetzlich verpflichtet, ihren Vorgesetzten Gehorsam zu leisten. Anders könnte ein moderner Staat nicht funktionieren. Dennoch können Situationen auftreten, in denen der/die Vorgesetzte seine/ihre Macht missbraucht. Für diesen Fall braucht es die Courage –und rechtliche Vorkehrungen im Beamtenrecht und die entsprechende Ausbildung – Widerstand zu leisten und den Gehorsam zu verweigern.

Warum ist das so wichtig?

Weil, wie ich behaupte, die Vierte Gewalt, also die Öffentlichkeit in Gestalt der Medien zunehmend korrumpiert wird. „Alternative Facts“ und Fake News sowie der Einfluss von Social Media erodieren den Begriff von wahr und falsch bzw. gelogen. Es ist doch vollkommen unverständlich, dass unmittelbar nach dem Ibiza-Skandal über 40.000 WählerInnen Heinz-Christian Strache, der eben einer eklatanten Bereitschaft zum Machtmissbrauch überführt worden ist, ihre Vorzugsstimme geben. Wenn also die Kontrolle der auf Zeit übertragenen Macht in der Demokratie nicht mehr funktioniert, wer verhindert dann, dass Despoten sich persönlich bereichern, die Rechte der BürgerInnen beschränken, die Justiz oder die freien Medien durch scheinlegale Gesetze behindern?

Wie groß sehen Sie die Widerstandspotenziale, wenn Beamte sich weigern entgegen ihren Wertvorstellungen zu handeln?

Beamte dürfen nicht nach ihren persönlichen Wertvorstellungen handeln, das wäre ein ebenso eklatanter Machtmissbrauch! Sie sind der Verfassung und der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet und dürfen eben keine eigenen Wertvorstellungen verfolgen, sondern müssen Überparteilichkeit praktizieren.

Die Frage ist komplex. Im deutschen Beamtenrecht müssen Beamte die Rechtswidrigkeit einer Weisung, gegenüber Vorgesetzten und dann der nächsthöheren Person anzeigen. Wird die Weisung aufrechterhalten, können Beamte eine schriftliche Anordnung verlangen. Enthält die Weisung aber einen Verstoß gegen die Menschenwürde oder strafrechtlich relevante Taten, können, dürfen und sollen sie die Weisung nicht ausführen. Ähnliche, nicht immer so detaillierte, Bestimmungen gibt es in Österreich und fast allen OECD-Ländern. Beamte sind persönlich verantwortlich für das, was sie tun.

Passiert das oft?

Widerstand ist in allen möglichen politischen Konstellationen bis in die Gegenwart immer wieder aufgetreten. Wie oft, ist aber schwer zu sagen. Der Widerstand gegen Machtmissbrauch gehört zu ihrem Berufsethos. Daher ist immer mit ihm zu rechnen und die Verankerung dieser ethischen Werte muss auch entsprechend in der Ausbildung berücksichtigt werden. Beamte benötigen ein Verständnis von Professionalität und Unabhängigkeit, um in Konflikten mit Vorgesetzten bestehen zu können. Sie riskieren auch sehr viel dabei, aber es gehört zu ihrem Job und ihrer Berufsehre, dem Staat und der Allgemeinheit zu dienen.

Auch Verwaltungsbehörden wurden vom Neoliberalismus nicht verschont. Es muss gespart werden. Beeinflusst das die Handlungsmacht einzelner Beamter?

Ich sehe darin nicht den Effekt eines vermeintlichen Neoliberalismus, sondern klares politisches Kalkül. Dass Behörden unter der Trump-Regierung regelrecht ausgehungert werden, ist in der internationalen verwaltungswissenschaftlichen Literatur bekannt und Steve Bannon hatte ja den Kampf gegen den „Deep State“ ausgerufen. Das schränkt die Handlungsspielräume von Verwaltungen ein – wie soll ein Beamtenapparat rechtswidrige Vorgänge verhindern, wenn ihm das Personal fehlt oder das gut ausgebildete Personal? Ähnliches gilt für die Justiz, die ja in Österreich aus der Sicht des derzeitigen Justizministers Clemens Jabloner ausgehungert wird.

Sie haben in einem Beitrag geschrieben, dass die Widerstandsfunktion der Beamten angesichts zunehmender Beteiligung antidemokratischer politischer Kräfte besonders wichtig sei. Gibt es Anzeichen dafür, dass der „Beamtenmut“ größer wird?

Dazu gibt es einfach noch keine Forschungsergebnisse. Es gibt sehr weniger ForscherInnen, die sich dieses Themas annehmen. In Deutschland sprach in den frühen 1950er Jahren ein Soziologe namens Herbert von Borch von der Verpflichtung der Beamten, Widerstand gegen Machtmissbrauch zu leisten. Danach hat sich in der Soziologie lange eine kritische Haltung gegenüber dem Berufsbeamtentum gehalten.

 
Marianne Egger de Campo (Fotocredit: (C) Breustedt/Berlin)

Marianne Egger de Campo (Fotocredit: (C) Breustedt/Berlin)

Zur Person: Marianne Egger de Campo ist seit 2015 im Direktorium der Berlin Professional School (Institut für Weiterbildung der HWR Berlin) und seit 2009 Professorin an der HWR Berlin. Von 2007 bis 2009 war sie Professorin für Soziologie an der Hochschule Ravensburg-Weingarten (Baden-Württemberg) an der Fakultät für Soziale Arbeit, Gesundheit und Pflege. Ihre Expertise liegt im Bereich der Organisationssoziologie, der Mediensoziologie/Soziologie des Internets, der Politischen Soziologie, der Soziologie des Alter(n)s, den Qualitativen Methoden der empirischen Sozialforschung, der Sonifikation (i.e. Verklanglichung) sozialwissenschaftlicher Daten und der Soziologie der Emotionen.

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