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Arbeitswelt

Kellnerin im Catering: „Wir werden schikaniert und überwacht”

Kellnerin Dominique berichtet von einem toxischen Umfeld und miesen Arbeitsbedingungen. Foto: Industrial Photograph
Dominique suchte neben dem Studium einen Job: Regulär angestellt, angemeldet bei der Sozialversicherung und respektvollen Vorgesetzten. Gelandet ist Dominique bei einer Agentur, die Personal für Events und Catering verkauft. Sie erzählt von einem toxischen Umfeld und schlechten Arbeitsbedingungen – einige der Vorschriften widersprächen dem Arbeitsrecht. Dominiques Job vereint gleich zwei prekäre Arbeitswelten: Gastronomie und Gig-Economy. Was das heißt, erzählt sie hier.

Eigentlich wollte ich ja einen richtigen Job. Richtig, im Sinne von geregelter Anstellung, angemeldet bei der Sozialversicherung, Beiträge einzahlen. Doch das findet sich nicht so leicht. Mit jeder Woche, in der ich eine Stelle suchte, sanken meine Ansprüche.Schließlich wollte ich nicht mehr suchen. Von einer Freundin wusste ich von der Arbeit im Catering. Die Menschen wären schwierig, aber es gäbe auch Vorteile: flexible Arbeitszeiten und mit 15 Euro brutto ein verhältnismäßig hoher Stundenlohn. In der Gastro bekommt man oft nur 10 Euro und auf Trinkgeld kann man sich nicht verlassen. Weil auch die Gäste die Inflation spüren, geben sie weniger extra.

Die Bewerbung war eher eine Anmeldung. Ich musste nur ein Online-Formular ausfüllen und ein 15-minütiges Video-Gespräch über Whatsapp führen. Um im Service zu arbeiten, musste ich eine zweitägige Schulung absolvieren. Die Stimmung dort war angespannt – die Leiter:innen waren freundlich, aber es fühlte sich nicht ehrlich an. Oft sprachen die Ausbildner:innen, abfällig über die Gäste. Alles mit einem Lächeln im Gesicht. Gastro eben.

Gruselgeschichten über die Arbeitsbedingungen

In der Mittagspause machten die ersten Gruselgeschichten die Runde. Ein:e Kolleg:in erzählte von einer Person, die von der Agentur gekündigt wurde. Sie hatte ein Jahr dort gearbeitet – so lange bleiben nicht viele. Der angebliche Grund: Sie habe zu oft einen falschen BH getragen, mit bunten Trägern statt weiß oder „hautfarben“. Beim Kündigungs-Telefonat hätten sie ihr die „Vergehen” vorgelesen, mit genauen Daten, wann, wo und was sie falsch gemacht hätte. Von da an wusste ich, dass sie genaue Aufzeichnungen über uns führen.

Wenige Tage später hatte ich meinen ersten Dienst und kam zu spät. Oder besser: Ich kam pünktlich zum Dienstbeginn. Aber wir müssen schon 20 Minuten davor am Treffpunkt sein – unbezahlt natürlich. 19 Minuten vor Dienstbeginn bekam ich einen unfreundlichen Anruf, wo ich denn bliebe. „Hoffentlich schreiben sie das nicht auf“, dachte ich nur. Im ersten Monat war ich mit meinen Diensten zufrieden. Vor Ort sind wir den Cateringleiter:innen unterstellt. Sie sind die Kund:innen der Agentur, also von uns. Meistens stehe ich bei Kaffeepausen daneben, halte Veranstaltungsteilnehmer:innen volle Getränketabletts ins Gesicht oder räume Geschirr ab.

Ob mich der Dienst aufregt oder entspannt lässt, hat nichts mit dem Stress in der tatsächlichen Arbeit zu tun, sondern nur mit den Vorgesetzten. Einmal waren wir viel zu viele Servicekräfte und standen die meiste Zeit nur herum. Und obwohl außer uns niemand im Raum war, wurden wir geschimpft: „Handy weg“ – „Nicht anlehnen“ – „Lächeln“. Später mussten wir 20 Minuten in der prallen Sonne volle Getränketabletts halten, obwohl klar war, dass die Veranstaltungsteilnehmer:innen noch nicht aus dem Saal kommen würden. Ich fühlte mich schikaniert und wertlos.

Sie wollen zu 100 Prozent mit uns rechnen können. Umgekehrt gilt das nicht.

Danach ging es mit meinen Nerven bergab. Anfangs war es mir noch wichtig, so viel Geld zu verdienen, wie ich geplant hatte. Doch die Planung ist ein zermürbendes Chaos. Wir bekommen E-Mails mit Joblisten, auf die wir antworten, wann und wo wir gerne arbeiten würden. Wenn wir Glück haben, sind ein paar davon tatsächlich noch frei. Die ersten Wochen war ich wahnsinnig gestresst. Ich hatte Angst, nicht genug arbeiten zu können.

Sind wir einmal für einen Dienst eingetragen, kommen wir nicht mehr raus. Nur, wenn wir krank sind. Aber dann bekommen wir kein Geld. Sie wollen zu 100 Prozent mit uns rechnen können. Umgekehrt gilt das nicht. Fast jede Woche bekomme ich einen Anruf: „Der Kunde hat die Dienste geändert und ich muss dich leider wieder ausbuchen.“ Falls gerade ein anderer Dienst frei ist, können wir den übernehmen, aber das ist Glück. Einmal war ich richtig verzweifelt. In derselben Woche war mir schon ein anderer Dienst gestrichen worden und die Alternative überschnitt sich mit meinem Seminar an der Uni.

Die Projektleiterin gab sich empathisch. Ihre Antwort empfand ich beinahe als dreist: „Mir tut es auch leid, aber wir können da leider nichts machen. Das kommt alles vom Kunden.“ Dabei macht die Agentur doch die Verträge mit den Kund:innen und erlaubt ihnen, so kurzfristig zu stornieren. Falls dafür Gebühren fällig werden, werden sie jedenfalls nicht an uns weitergereicht. Wir haben 100 Prozent Verdienstausfall.

Sechs Augen musterten uns. Es waren entmenschlichende Blicke.

Ich habe das Glück, dass ich nicht akut auf dieses Geld angewiesen bin. Ich habe mich an die Wut gewöhnt. Alle Kolleg:innen wissen, dass der Agentur unsere Zeit, unsere Planung und unsere finanzielle Situation egal sind. Wir stehen ganz unten in der Nahrungskette. Das spüren wir bei fast jeder Interaktion. Was zählt, ist die Zufriedenheit der Kund:innen, nicht die des Personals.

Bei unserer Uniform heißt es auch: Das wünschen die Kund:innen. In voller Montur müssen wir eine weiße Bluse mit Krawatte, Anzughose, eine bodenlange Schürze tragen. Dass die viel zu breite Krawatte bescheuert aussieht, weil die meisten sie nicht binden können, ist nicht mein Problem, sage ich mal. Wir müssen in furchtbar unbequemen Lederschuhen herumlaufen. Ich habe eine Fußfehlstellung. Wenn ich über acht Stunden diese Schuhe trage, kann ich am Tag danach kaum gehen. Vor Ort sehen wir dann, dass die Angestellten des Caterings oder anderer Agenturen bequeme Sneaker tragen – während unsere Füße in den Schuhen schmerzen.

Der Höhepunkt meiner Wut kam bei meinem ersten großen Gala-Dinner. Zu Dienstbeginn waren über 20 Mitarbeiter:innen da. Nachdem wir uns umgezogen hatten, stellten wir uns in einem Halbkreis auf. Diesmal machten drei Leute der Agentur den Check-in. Sechs Augen musterten uns. Es waren entmenschlichende Blicke.

Chef:innen schikanierten die Beschäftigten

Ein Mädchen neben mir trug Schuhe mit Schnürsenkeln, die sie nicht tragen durfte. Der Chef der Gastro-Abteilung der Agentur blickte sie scharf an. Er starrte demonstrativ auf ihre Füße und wieder in ihr Gesicht. Wieder auf die Füße und wieder ins Gesicht. Sie blieb beeindruckend standhaft und nahm ihm die Aufgabe nicht ab, ihr ins Gesicht zu sagen, was sie falsch gemacht habe. Schroff fragte er, wie sie heißt. Er winkte die Kollegin mit der Namensliste zu sich und notierte einen Kommentar. Ein paar Meter weiter standen andere Kellner:innen der Veranstaltung in Sneakern.

Wenn ich die Projektleiter:innen der Agentur vor dem Treffpunkt sehe, gerät mein Körper in Stress. Ja nichts falsch machen, ja nicht auffallen. Sobald sie weg sind und ich zu arbeiten beginne, entspanne ich mich. Mit Kritik halte ich mich unter Kolleg:innen jetzt nicht mehr zurück. In fast allen Gesprächen beschwere ich mich über die Arbeitsbedingungen. Und ich merke: Die meisten anderen tun das auch. Einmal erzählte jemand, dass eine Mitarbeiterin im Dienst Fieber bekommen hätte und nach Hause musste. Am Heimweg wurde sie von der Agentur angerufen, was ihr einfiele, nicht zu arbeiten.

Dass einige der Regeln nicht legal sein können, dachte ich mir von Anfang an. Zum Beispiel, dass wir kein Geld im Krankenstand bekommen. Theoretisch gibt es einen Nachtzuschlag. Aber selbst für 12-Stunden-Dienste bis 5 in der Früh bekommen wir keinen Cent mehr. Ich höre auch, dass die Agentur ab der achten Stunde Dienst von den Kund:innen den doppelten Preis für die Mitarbeiter:innen verlangt. Davon bekommen wir nichts.

Wer auf der Blacklist steht, bekommt keine Jobs

Eine Kollegin erzählte mir, dass die Agentur schon wegen einiger Dinge vor dem Arbeits- und Sozialgericht stünde. Neben dem unbezahlten Krankenstand wäre es auch illegal, schon 20 Minuten vor Dienstbeginn da sein zu müssen. Gekündigt zu werden, weil jemand Kleidervorschriften nicht genau einhält, sei ebenfalls nicht erlaubt. Die Agentur führe darüber sogar eine Blacklist innerhalb einer WhatsApp-Gruppe. Wer zu oft schlecht auffällt, würde zwar nicht gekündigt, aber intern im System gesperrt. Die Person bekommt einfach keine Jobs mehr.

Ich habe schon überlegt, die Agentur zu wechseln. Doch von zweien weiß ich, dass sie die Mitarbeiter:innen noch schlimmer behandeln. Von einer anderen wurde ich jetzt, Monate nach meiner Bewerbung, zum Bewerbungsgespräch eingeladen. Wo ich aktuell arbeite, sollte ich dort vielleicht nichts erzählen. Manche Firmen sprechen sich untereinander ab. Sie vereinbaren, dass sie keine Mitarbeiter:innen beschäftigen, die auch bei meiner Agentur arbeiten.

Ich habe das Gefühl, dass sie uns verachten. Alle treten nach unten.

Die Projektleiter:innen, die unsere Dienste planen, sind unberechenbar launisch. Das kann ich verstehen. Auch ihr Job ist scheiße. Wenn sie Telefondienst haben, müssen sie manchmal ein ganzes Wochenende verfügbar sein. Wenn Leute für Dienste ausfallen, müssen sie sofort Ersatz finden – und das bei über hundert Mitarbeiter:innen im Einsatz. Auch ihre Chef:innen sind unfreundliche Charaktere. Ich habe das Gefühl, dass sie uns verachten. Alle treten nach unten.

Dabei könnte sich viel in der Branche verbessern, wenn sie sich hinter uns stellen würden. Damit nicht nur solche Verträge gemacht werden, die vor allem die Gewinne der Chef:innen erhöhen. Wenn sie uns respektieren würden, würden wir auch unsere Arbeit mehr respektieren. Das Lächeln, das wir täglich aufsetzen, wäre nicht mehr falsch, sondern ehrlicher.

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