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Klimakrise

Die Klimakrise könnte 1 Milliarde Tote verursachen

(c) Pixabay
Was bringen 2 Grad Erderhitzung? (c) Pixabay
Die Klimakrise ist eine der größten Bedrohungen für die Menschheit. Trotzdem tun wir zu wenig dagegen. Wissenschaftler:innen reden sich den Mund fusselig. Zwei von ihnen probieren einen neuen Weg: sie rechnen uns unsere Toten vor.

CO2-Konzentration hier. Ein paar Grad Celsius da. Das ist zu abstrakt. Für Richard Parncutt, Professor an der Universität Graz, ist es Zeit, die schweren Geschütze aufzufahren. Man müsse die Dringlichkeit der Klimakrise besser aufzeigen. Gemeinsam mit Joshua Pearce von der Western University of Ontario in Kanada veröffentlichte er einen Forschungsartikel zu den Auswirkungen des Klimawandels. Der Text schlägt verständlicherweise Wellen. Er ist im peer-reviewten Journal “Energies” erschienen und fasst für seine These den Stand der Forschung aus 180 anderen Arbeiten zusammen. Das Ergebnis: Sollte die Erderhitzung die 2-Grad-Grenze erreichen oder überstiegen, koste das den Tod von einer Milliarde Menschen. Wie er auf diese Zahl kommt und warum aggressive energiepolitische Maßnahmen dagegen wirken können, erklärt Parncutt im Gespräch mit MOMENT.at. 

 

MOMENT.at: Eine Milliarde Tote durch den Klimawandel. Wie kommt man auf diese Zahl? Bei welchem Szenario stimmt sie?

Richard Parncutt: Es handelt sich um den Gipfel in der Mitte einer breiten Wahrscheinlichkeitsverteilung. Das IPCC hat verschiedene Szenarien untersucht, bei denen die Temperaturkurve in verschiedene Richtungen ausschlägt. Meine Frage ist: wie viele Menschen sterben, wenn ein bestimmtes Szenario eintritt?
 

MOMENT.at: Kann man das denn so einfach sagen?

Parncutt: Die Frage ist natürlich schwer zu beantworte. Erstens, weil sich die Zukunft generell nicht vorhersehen lässt und zweitens, weil der Tod eines Menschen gleichzeitig verschiedene Ursachen haben kann. Meine Hauptthese hat den Charakter einer Größenordnungseinschätzung in der Physik. Sie hängt in diesem Fall von der Wahrscheinlichkeit von verschiedenen Bestcase- und Worstcase-Szenarien ab. Die Hypothese lautet: Sollten wir die 2-Grad-Grenze überschreiten, müssen wir mit einer Milliarde Tote rechnen, die dem Klimawandel zugeschrieben werden können. Diese Todesfälle werden auf der ganzen Welt (hauptsächlich im Globalen Süden) und auf mehrere Jahrzehnte bzw. einem ganzen Jahrhundert verteilt sein. Die 2-Grad-Grenze überschreiten wir, wenn wir insgesamt eine Billion Tonnen fossilen Kohlenstoff verbrennen. Daraus ergibt sich die “1000-Tonnen-Regel”: Pro 1000 Tonnen verbranntem Kohlenstoff stirbt ein Mensch in der Zukunft.
 

MOMENT.at: Ist es realistisch, dass wir das 2-Grad-Ziel noch einhalten?

Parncutt: Ja, ich denke, dass das noch möglich ist. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass wir es nicht erreichen, ist derzeit hoch. Um das Ziel zu erreichen, brauchen wir ein ehrliches Bewusstsein für die Dringlichkeit unserer Situation. Wenn ich zum Beispiel sagen darf, dass wir mit unseren Emissionen Menschen “töten” und diese Ausdrucksweise auch gesellschaftlich akzeptiert wird, wäre das ein wichtiger Schritt. Mit “töten“ meine ich nichts anderes als “den Tod verursachen“, und zwar unabhängig davon, ob der/die Akteur/in passiv oder aktiv, informiert oder uninformiert ist. 
 

MOMENT.at: Warum sind durch den Klimawandel verursachte Todesfälle eine sinnvolle Messgröße für künftige Schäden durch CO2? 

Parncutt: Weil jeder Mensch das versteht. Wenn ich über Millionen Tonnen CO2 in der Luft rede, haben die meisten Leute wenig Ahnung, was das wirklich bedeutet. CO2 ist nämlich nicht sichtbar und man kann es auch nicht riechen. Wenn man aber davon spricht, wie viele Menschen sterben werden oder um wie viele Monate oder Jahre das Leben eines Menschen verkürzt wird, dann versteht man das ganz genau. 

Ein Beispiel: Ich bin Australier. In der Vergangenheit flog ich oft nach Australien. Bei einem solchen Flug wird für jeden Fluggast ca. eine Tonne Kohlenstoff verbrannt, das entspricht ca. vier Tonnen CO2. Nach der 1000-Tonnen-Regel töte ich ein Tausendstel von einem Menschen, wenn ich nach Australien fliege. Das entspricht einer Lebenszeitverkürzung von ca. einem Monat. Das ist ja unglaublich. Und deshalb sind diese Art von Vergleichen politisch, glaube ich, sehr interessant.
 

MOMENT.at: Zeigt diese Messegröße die Dringlichkeit der Krise besser auf als andere?

Parncutt: Ich bin der Meinung, dass man Methoden finden muss, um die Dringlichkeit besser auszudrücken. Man darf keine Angst davor haben, die Leute zu schockieren. Der richtige Ansatz ist es, die Fakten ehrlich zu kommunizieren. Und wenn das heißt, dass Entsetzen bei den Leuten ausgelöst wird, dann ist das so. Emotion motiviert und Motivation ist genau das, was wir brauchen – Motivation zur Veränderung. Der Schock, den wir jetzt haben, ist nichts im Vergleich zu dem, was in 10, 20 oder 30 Jahren kommen wird. Die langfristigen positiven Auswirkungen sind viel größer als die derzeitigen negativen.
 

MOMENT.at: Haben Sie sich auch andere Auswirkungen der Klimakrise auf Menschen angesehen, außer dem Tod?

Parncutt: Ich bin kein Experte im Bereich der gesundheitlichen Auswirkungen. Natürlich hat die Klimakrise schwere gesundheitliche Folgen für viele Menschen, und diese werden allmählich schlimmer. Ich gehe davon aus, dass die Zahl der Menschen durch die Klimakrise gesundheitliche Schäden erleben, proportional ist, zur Zahl der Menschen, die wegen des Klimawandels frühzeitig sterben. Deshalb ist die Zahl der Toten ein gutes Maß für die Ernsthaftigkeit des Gesamtproblems. 
 

MOMENT.at: Welche Maßnahmen empfiehlt die Studie?

Parncutt: Die Erkenntnis, dass CO2-Emissionen für künftige Menschen tödlich sein können, führt zum Schluss, dass jegliche Erzeugung von Energie mit fossilen Brennstoffen sofort gestoppt werden muss. Natürlich ist das in der Realität nicht möglich, denn eine sehr schnelle Änderung dieser Art würde selbst viele Menschenleben kosten. Der richtige Ansatz lautet, fossile Energieträger so schnell wie möglich zu bremsen, ohne weitere Todesfälle zu verursachen.

Aktuell versuchen wir unsere Emissionen bis 2030 zu halbieren, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, obwohl das mittlerweile praktisch unmöglich geworden ist. Sollten wir den Wert eines Menschenlebens wirklich ernst nehmen, müssten wir unsere Emissionen meiner Meinung nach viel schneller senken, etwa um 90% bis 2030. Wir dürfen nicht vergessen, dass künftige Menschen noch immer sterben werden, wenn CO2 emittiert wird, auch wenn globale Emissionen stark reduziert worden sind. Auch dann wird es ein Menschenleben kosten, wenn 1000 Tonnen Kohlenstoff verbrannt wird.

Es geht auch um Schuld. Schuld ist ein wichtiger gesellschaftlicher Mechanismus. Indem sie Gerechtigkeit fördert, kann sie auch Leben retten. Wenn wir das Recht auf Leben von anderen Menschen nicht berücksichtigen, sind wir diesbezüglich schuldig. Wir sind keine Mörder, aber wir sind Leute, die bewusst den Tod von anderen Menschen mitverursacht haben. Wenn wir diese Wahrheit erkennen, haben wir die Chance, die globalen Emissionen signifikant und nachhaltig zu bremsen.

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