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Arbeitswelt

Lehrlinge wollen eine Vertretung: “Brauchen eine Stelle, an die wir uns wenden können”

Lehrlinge brauchen eine ordentliche Anlaufstelle und Interessensvertretung, damit die Politik ihre Probleme ernst nimmt. Das sagt Jean-Philip Bernecker. Der 21-jährige IT-Lehrling will Lehrlinge besser vernetzen. Warum Betriebe auch in Zeiten von Corona eine Pflicht haben, Lehrlinge auszubilden und es eine bessere Berufsorientierung in den Schulen bräuchte, erzählt Bernecker MOMENT.at im Interview.
 
IT-Lehrling Jean-Phillip Bernecker

IT-Lehrling Jean-Phillip Bernecker arbeitet an einem digitalen Netzwerk für Lehrlinge

 

Privat

MOMENT: Du bist gerade am Aufbau eines Lehrling-Netzwerkes in Vorarlberg beteiligt. Warst du schockiert, dass es ein solches Netzwerk in Österreich noch gar nicht gibt?

Bernecker: Schockiert bin ich nicht. Die Vernetzung auf einer digitalen Ebene ist relativ neu, da steckt generell noch viel Potenzial drin. Aber es stimmt schon, dass Lehrlinge keine gute Lobby haben. SchülerInnen hingegen haben hier mit den Klassen- und Schulsprechern schon seit Jahrzehnten ein riesiges Netzwerk und werden von der Politik ganz anders beachtet.

Für uns Lehrlinge sind die Wirtschaftskammer und die Arbeiterkammer zuständig. Es gibt dann noch die BIFO – Beratung für Bildung und Beruf und das Wirtschafsförderungsinstitut WIFI. Beide haben recht viel mit uns Lehrlingen zu tun. Aber wir fühlen uns von diesen Institutionen oft nicht ganz verstanden. Es braucht einen Jugend- oder Lehrlingsvertreter, an den wir uns wenden können.

MOMENT: Werden viele Lehrlinge in ihren Betrieben ausgenutzt, oder werden unzureichend ausgebildet? Sieht da die Politik zu wenig hin?

Bernecker: Ich habe mit meiner Ausbildung einen Glücksgriff gemacht. Bei uns rotieren alle Lehrlinge durch die Spezialabteilungen, ich bin sehr stark im Arbeitsprozess eingebunden. Aber ein Kollege von mir hat seine ursprüngliche IT-Lehre geschmissen. Er durfte in seinem früheren Betrieb nur PraktikantInnen-Arbeit machen. Natürlich muss so eine Arbeit getan werden, aber das darf nicht Überhand nehmen. Derjenige ist aber nun bei uns und mit seiner Ausbildung zufrieden. Lehrlinge auszubilden bedeutet auch eine gewisse Verantwortung zu haben. Und in manchen, vor allem kleinen Firmen, sind die Vorgesetzten damit vielleicht etwas überfordert. Umso wichtiger wäre es, eine gute Ansprechperson zu haben, eine Stelle, an die sich Lehrlinge auch anonym wenden können. Und wo sie sicher sein können, dass ihnen geholfen wird.

 

MOMENT: Wie geht es Lehrlingen generell in der Corona-Pandemie? Viele bereits zugesagte Lehrstellen wurden ja gestrichen, viele Lehrstellen fielen weg.

Bernecker: Das ist natürlich eine Katastrophe. Da bin ich übrigens derselben Meinung wie mein Ausbildungsleiter: Die Firmen, die sich beschweren, dass sie keine Fachkräfte finden, sind meist jene, die nicht ausbilden. Unser Betrieb hat trotz Corona sogar die Lehrstellen ausgebaut. In den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren gehen in unserem Betrieb viele in Pension. Würden wir nicht ausbilden, hätten wir natürlich ein Problem, dann noch genug Leute zu finden.

MOMENT: Gerade im Bereich der Technik sucht die Industrie händeringend um Fachkräfte. Es gibt viele Initiativen, um vor allem Frauen für dieses Berufsfeld zu begeistern – mit sehr bescheidenem Erfolg. Sollte es da in der Schule schon eine bessere Berufsorientierung geben?

Bernecker: In meinem Betrieb werden viele Frauen angestellt. Letztes Jahr hat eine im Bereich der IT sogar als eine der wenigen die Lehre mit Auszeichnung abgeschlossen. Eine gleichaltrige Kollegin von mir ist fachlich sogar sicher besser als ich. Ich glaube, dass wir bei der Geschlechterfrage in Vorarlberg zum Glück schon weit sind. 

Was die Berufsorientierung betrifft, so bin ich aber der Meinung, dass im letzten Jahr der Mittelschule der Hauptfokus darauf liegen sollte. Denn der Wechsel von der Schule in die Arbeitswelt ist hart und viele haben hier Probleme und einfach keinen Plan. Außerdem erfordert die heutige Berufswelt viel mehr Flexibilität, als früher. Vor zwei Generationen begannen Menschen eine Lehre in einem Betrieb und blieben dort bis zur Pension. Heute arbeiten viele im Schnitt alle fünf Jahre in einem ganz anderen Bereich. Auch ich habe zuerst eine Ausbildung als Gastronomiefachmann begonnen, doch dann festgestellt, dass das nicht das richtige für mich ist. Solche Tatsachen müssen auch in der Ausbildung und Schule schon viel mehr berücksichtigt werden.

MOMENT: Wie hast du dann entdeckt, dass du etwas mit Computer machen willst?

Bernecker: Nachdem ich die Gastronomie hingeschmissen habe, habe ich mir eine Auszeit genommen. Wie beim Gap-Year, dass in den USA und Großbritannien viele nehmen. Über ein Gap-Programm namens Gapforce/Greeneforce konnte so als Forschungstaucher auf den Bahamas das Verhalten von Fischen in der Nähe von Korallen beobachten. Es waren außer mir noch zwei Deutsche dort, aber wir haben beschlossen, unter Tags hauptsächlich Englisch zu sprechen. Die Erfahrung dort war unglaublich bereichernd. Und laut meinem Englisch-Lehrer wäre ich nach diesen drei Monaten schon reif für die Englisch-Matura gewesen, wofür andere sonst mindestens noch zweieinhalb Jahre Unterricht brauchen. Da sieht man auch, dass dieser Frontalunterricht in der Schule oft wenig bringt.

Es gibt viele gute Austauschprogramme, wie zum Beispiel Erasmus+. Das ist ein SchülerInnen-Programm, wo mit Mitteln der EU ein dreimonatiger Aufenthalt im Ausland fast vollständig finanziert wird. Leider wissen viel zu wenige davon.

 

MOMENT: Wie bist du überhaupt auf die Idee gekommen, ein Netzwerk für Lehrlinge aufzubauen?

Jean-Philip Bernecker: Das war nicht alleine meine Idee. In Vorarlberg sind sämtliche Ausbildungsbetriebe der Elektro-Metall-Industrie bereits gut vernetzt. Zweimal im Jahr gibt es Treffen, bei denen die Lehrlingsausbildung diskutiert wird. Da dürfen auch Lehrlinge teilnehmen. Und bei einem dieser Meetings vor rund eineinhalb Jahren, kam der Wunsch von uns Lehrlingen auf, dass wir uns besser vernetzen wollen. Mit anderen Lehrberufen und auch KollegInnen aus anderen Firmen. Daraufhin habe ich dann die Leitung und das Management übernommen und entwickle nun eine digitale Plattform. Es ist noch ein junges Projekt, aber bereits jetzt bekommen wir Unterstützung von dem Verein “Lehre in Vorarlberg” und wollen nicht nur Auszubildende aus der Elektro-Metall-Industrie vernetzen, sondern alle. 

 

MOMENT: Welche Art von Wissensaustausch soll denn durch euer Netzwerk passieren?

Bernecker: Es geht uns bei dem Netzwerk auch um die soziale Komponente. In manchen Betrieben gibt es nur ein oder zwei Lehrlinge, die in ihrem Alltag oft nur von Erwachsenen umgeben sind. Für sie kann es dann sehr hilfreich sein, wenn sie sich mit Problemen an Gleichaltrige wenden können.

Und gerade im elektronischen Bereich gibt es von Firma zu Firma viele Unterschiede. In meinem Betrieb zum Beispiel, den Illwerken, haben wir es als Energieversorger mit hohen Stromspannungen zu tun. Lehrlinge in einem anderen Unternehmen aber mit niedrigen Spannungen und kleinen Geräten. Schon alleine da kann der Austausch mit anderen Lehrlingen sehr spannend sein.

Und dann geht es noch um kreative, gemeinsame Projekte: Eine Idee war beispielsweise, einen Faschingswagen zu konstruieren. Elektrotechnik-Lehrlinge könnten da die Lichtanlage einbauen, andere die Konstruktion übernehmen, wieder andere das Marketing und die Bespielung auf sozialen Medien. Doch solche Pläne können wir wohl erst nach Corona umsetzen.

MOMENT: Du selbst machst in ein paar Wochen deinen Lehrabschluss. Was erwartest du dir von deiner beruflichen Zukunft?

Bernecker: Ich gehe bereits jetzt nebenbei zur Abendschule und möchte die Matura machen. Eines Tages möchte ich etwas mit Raumfahrt bei der europäischen Weltraumorganisation ESA machen. Doch auch an dieser Institution habe ich etwas zu kritisieren, denn im Gegensatz zur NASA, der US-Raumfahrtbehörde, geht die ESA zu wenig in Schulen. So könnten bestimmt mehr SchülerInnen für Wissenschaft und Technik begeistert werden.

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