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Arbeitswelt

Lisa Herzog: „Arbeitenden mehr Macht in Unternehmen geben“

Welche Ideen sind in einer Gesellschaft denkbar und vorherrschend? Foto: Haeferl - CC BY-SA-3.0
Wer oder was führt eine vielfältige Gesellschaft an? Und wie? Die Forscherin Lisa Herzog spricht über „Macht“ in der Philosophie, die Rolle der Wissenschaft und eine demokratische Wirtschaft.

Am Donnerstag beginnt zum 16. Mal der Momentum Kongress. Bis Sonntag wird in Hallstatt zum Thema „Hegemonie“ über politische Lösungen und Vorstellungen gesprochen. Lisa Herzog hält die Keynote zur Eröffnung mit dem Titel „Die Hegemonie des Zählbaren„.

Herzog ist Direktorin des Center for Philosophy, Politics and Economics in Gröningen und Dekanin der dortigen Fakultät für Philosophie. Ihr Arbeit findet an der Schnittstelle von Politischer Philosophie und Ökonomie statt. Vor dem Event hat sie über ihre Arbeit gesprochen. Das Interview erschien zuerst in der Kongress-Zeitung „Der Moment“.

Der Moment: Das Thema des diesjährigen Kongresses ist „Hegemonie“, was so viel heißt wie „Anführen“. Wer oder was führt uns in der heutigen Zeit an?

Lisa Herzog: In pluralistischen Gesellschaften gibt es – zum Glück – nicht die eine Person oder Idee, die alles anführt. Aber es gibt bestimmte Denkmuster und Ideen, die großen Einfluss haben, gerade weil wir sie oft nicht bewusst als führend wahrnehmen. Stattdessen bestimmen sie, was als sagbar gilt, welche Fragen gestellt und welche Antworten als gültig anerkannt werden. Auch hier gilt, dass in verschiedenen sozialen Sphären und verschiedenen Gemeinschaften unterschiedliche Ideen diese Rolle als unhinterfragbare Diskurs-Prämissen spielen. Eine Idee, die sowohl im Wirtschaftsleben als auch teilweise in der Politik eine derartige Rolle spielt, ist zum Beispiel die positive Bewertung von „Effizienz“ – ohne die Frage zu stellen, was in deren Messung eigentlich eingeht und welchen Stellenwert sie im Vergleich zu anderen Werten haben sollte.

Der Moment: Welche Rolle spielten Macht und Hegemonie in deiner Arbeit als Philosophin?

Herzog: Als Philosophin würde ich als erstes sagen: Das sind recht unterschiedliche Begriffe, die man voneinander unterscheiden muss! Was sie aber gemein haben: Es gibt rechtfertigbare und nicht zu rechtfertigende Formen von ihnen. Um den Begriff der Macht aufzugreifen: Es wäre unrealistisch zu glauben, dass menschliches Zusammenleben ohne Machtverhältnisse möglich wäre. Aber die politische Philosophie fragt danach, welche Machtverhältnisse rechtfertigbar sind und wie sie so ausgestaltet werden können, dass sie mit normativen Prinzipien wie Menschenwürde, Demokratie und Gerechtigkeit vereinbar sind.

Der Moment: Du beschäftigst dich viel mit Ideengeschichte. Wie stabil waren hegemoniale Strukturen und Ideen in der Geschichte?

Herzog: Der ghanaisch-amerikanische Philosoph Anthony Kwame Appiah hat darauf eine interessante Antwort gegeben: Derartige Strukturen werden durch soziale Normen stabilisiert und ändern sich, wenn sich die Vorstellung davon ändert, was „ehrbares“ Verhalten ist. Wird es zum Beispiel als normal und anständig betrachtet, dass man durch Sklavenhandel Geld verdient, oder ist das sozial verpönt?

Ich glaube, dass viel Wahrheit in dieser Analyse liegt, denn Menschen sind Tiere, die nach sozialer Anerkennung suchen. Aber die Geschichte ist vielfältig und es gibt auch andere Mechanismen der Stabilität und Veränderung, zum Beispiel durch neue Technologien, die die Machtverhältnisse  zwischen Gruppen beeinflussen.

Lisa Herzog

Foto: (C) Sylvia Germes

 

Der Moment: Ist der akademische Diskurs die richtige Methode, um die Hegemonie herauszufordern?

Herzog: Das ist ein Ansatzpunkt, der mit anderen zusammenwirken muss. Wissenschaftliche Methoden können besonders effektiv darin sein, blinde Flecken und falsche Annahmen in vorherrschenden Ideenkomplexen aufzudecken. Wissenschaftler*innen können und sollen derartige Einsichten und alternative Vorschläge auch in den öffentlichen Diskurs einbringen. Aber letztlich bleibt es in einer Demokratie Aufgabe der Gesellschaft als ganzer, sich über vorherrschende Ideen auszutauschen und diese auch zu verändern. Und dazu tragen auch soziale Bewegungen und viele andere Gruppen bei.

Der Moment: Was kommt danach? Welche neuen Hegemonie- und Machtverhältnisse sind wünschenswert?

Herzog: Aus heutiger Sicht würde ich sagen: mehr Demokratie in der Wirtschaftswelt – auch, um endlich bei der ökologischen Nachhaltigkeit voranzukommen. Ein konkreter Ansatz dabei ist, den Arbeitenden mehr Macht in Unternehmen zu geben, durch die Stärkung von Mitbestimmung, Gewerkschaften, und Genossenschaften. Und um Menschen davon zu überzeugen, müssen wir wiederum die blinden Flecken in vielen ökonomischen Ansätzen offenlegen – zum Beispiel, um von einem einseitigen, monetär verstandenen Effizienzbegriff hin zu einem breiteren Begriff der sozialen Funktionalität wirtschaftlichen Handelns innerhalb der planetaren Grenzen zu kommen.

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