Ungleichheit
Demokratie

Er ist „Zukunftshoffnung“, sie „unerfahren“: Frauen in der Politik haben es schwerer

Politik sollte eigentlich für alle gleich funktionieren. Tut sie aber nicht. Frauen und Männer müssen in der Politik komplett unterschiedliche Erwartungen erfüllen, sie werden komplett unterschiedlich bewertet.

Während bei Männern alles als Hinweis auf Kompetenz und Stärke gedeutet wird, rennen die Frauen häufig gegen eine Wand aus Vorurteilen und Zweifeln. Das sieht man jetzt aktuell zum Beispiel deutlich am Umgang mit neuen Regierungsmitgliedern wie Korinna Schumann und Wolfgang Hattmannsdorfer.


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Herkules oder unerfahren?

Warum gilt bei einer Frau jahrzehntelange politische Erfahrung als Mangel –  und bei einem Mann wird genau dieselbe Erfahrung als Beweis für Kompetenz und Professionalität gewertet?  Korinna Schumann hat 34 Jahre Erfahrung in Politik und Gewerkschaft. Kaum ist sie nominiert, erscheinen Texte wie diese:

Ganz anders bei Hattmannsdorfer. Im ORF Report stellt ihn die Moderatorin so vor: “Wann geht’s endlich aufwärts? Das wollen wir gleich vom neuen Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer wissen, der als ÖVP-Zukunftshoffnung vor einer Herkulesaufgabe steht.“ Ähnlich positiv liest sich das in anderen Medien:

Auch er hat sein gesamtes Leben mit politischer Arbeit verbracht hat, als Partei-Sekretär, Partei-Manager und Wirtschaftskammerfunktionär – nur eben als Mann. Kein einziger hat die Frage gestellt, ob es für einen Wirtschaftsminister nicht ein Nachteil sein könnte, wenn er noch nie in der Privatwirtschaft gearbeitet hat, noch nie ein Unternehmen geleitet hat.

Die Kompetenz von Frauen wird infrage gestellt

Schumann hat mindestens dieselbe Kompetenz wie Hattmannsdorfer – aber ihre wird massiv infrage gestellt: Sie habe „ihr gesamtes Berufsleben im geschützten Bereich verbracht“. Hattmannsdorfer hingegen gilt als “Zukunftshoffnung”, man erwartet automatisch von ihm, dass er seine „Herkulesaufgabe“ schafft. Logisch, er ist ja kompetent, stark und mutig.

Stilkritik gibt es nur bei Frauen

Bei Schumann kommt dann noch dazu, dass Frauen sich immer öffentlich rechtfertigen müssen, wie sie aussehen und was sie anziehen. Wenn etwa die FPÖ-Abgeordnete Marie Christine Giuliani auf Facebook ein unvorteilhaftes Foto von der neuen Ministerin postet, dann macht sie das nicht zufällig. 

Sie weiß natürlich, was sie damit auslöst: eine Welle Digital-Hass. Hunderte Menschen kotzen ins Internet, was sie optisch von der Ministerin halten. Was sie kann? Wofür sie steht? Völlig egal, sie zieht sich nicht gut genug an. Selbst in einer Parlamentsrede hat Giuliani gefordert: “dass man auf einer Regierungsbank mit seinem Auftritt und seinem Outfit schon auch etwas wertschätzender dem Amt, dem Zuseher gegen (sic) sein könnte“.

Von Stilkritik dieser Art bleiben Männer in der Politik meist verschont. Kein einziger Journalist widmet sich der Frage, ob Christian Stocker als Kanzler eine gute Figur macht.

Politik von Männern für Männer

So wie Schumann geht es allen Frauen in der Politik. Die bleibt eine Männerdomäne, auch wenn Frauen zunehmend Spitzenpositionen erreichen. „Manly men, doing manly things, in manly ways“. Kein Wunder, denn jahrhundertelang waren Männer diejenigen, die die politischen Spielregeln gemacht haben. Und sie haben sie so gemacht, dass es für Frauen, die nach diesen Regeln spielen müssen, doppelt so schwierig ist. 

Wie sollen Politiker:innen sein? Rational, stark, durchsetzungsfähig. Und wer ist rational, stark und durchsetzungsfähig? Na die Männer – sagen die Männer. Politik wird also mit Eigenschaften verbunden, die traditionell als männlich gelten. 

Frauen gelten als emotional, vorsichtig und sanft. Also genau als das, was man in der Politik nicht brauchen kann. So landen Frauen in einem sogenannten „Double Bind“, einer Zwickmühle: Verhalten sie sich stark und durchsetzungsfähig, gelten sie schnell als unsympathisch und zu maskulin; sind sie hingegen freundlich und emotional, hält man sie für zu weiblich – und ungeeignet für politische Führungsrollen.

Deshalb landen Frauen, wenn sie es in die Spitzenpolitik geschafft haben, immer noch in anderen Ressorts: Männer werden für harte Politikfelder wie Wirtschaft, Außenpolitik und Sicherheit gesehen, Frauen dagegen in sozialen Bereichen, Bildung und Gesundheit. Gerade in Krisenzeiten werden Männer bevorzugt, da sie als kompetenter und entschlossener gelten – Frauen müssen ihre Fähigkeiten hingegen ständig neu beweisen.

Medien verstärken die Ungerechtigkeit

Und die Medien verstärken all das auch noch. Die Berichterstattung über Politikerinnen konzentriert sich oft auf Aussehen, Privatleben und persönliche Beziehungen, während männliche Kollegen vor allem an politischen Erfolgen gemessen werden. Frauen müssen sich immer wieder Fragen stellen, die Männern erspart bleiben: Wer kümmert sich um die Kinder? Wie sitzt die Frisur?

Ein Beispiel: Als 2018 die deutschen Ministerinnen Julia Klöckner und Franziska Giffey in nahezu identischen Outfits erschienen, wurde daraus ein „Garderoben-Gau“. Solche Kommentare über Männer? Fehlanzeige. Männer in gleichen Anzügen bleiben unkommentiert.

Zudem müssen Frauen in Spitzenpositionen häufig mit dem „First-Woman-Effekt“ umgehen. Sie sind die Ersten ihrer Art, werden deshalb extra streng und genau beobachtet.  Jeder Schritt wird genau analysiert – und Fehler sofort verallgemeinert.

Frauen sind in Österreichs Politik immer noch unterrepräsentiert

In Österreich sind Frauen trotz aller Fortschritte noch stark unterrepräsentiert: 51 Prozent der Bevölkerung sind Frauen, aber im Nationalrat liegt der Frauenanteil bei nur 37 Prozent. Besonders gering ist der Anteil bei der FPÖ; nur die Grünen erreichen knapp mehr Frauen als Männer. Auch in den Landtagen schwankt der Frauenanteil stark – von 44 Prozent in Vorarlberg bis 16,4 Prozent in Kärnten. In den Gemeinden ist es am bittersten: Nur 11 Prozent der Bürgermeister:innen sind weiblich. Diese Zahlen zeigen klar, wie groß der Handlungsbedarf weiterhin ist.

Eine Studie von 2023 zeigt, warum junge Frauen seltener politisch aktiv sind: Es fehlen weibliche Vorbilder, Medien berichten kaum über Politikerinnen, Unterstützung im privaten Umfeld ist begrenzt. Oft fehlt einfach die Zeit aufgrund familiärer Verpflichtungen. 

Wie wir mehr Frauen in die Politik bringen

Junge Frauen empfinden zudem – zu Recht –, dass für Männer und Frauen in der Politik verschiedene Maßstäbe gelten. Damit  es in der Politik mehr Platz für Frauen gibt, braucht es mehr mediale Sichtbarkeit, familienfreundlichere Rahmenbedingungen – also vor allem gescheite Kinderbetreuung – und gezielte Angebote, die Frauen den Einstieg erleichtern.

Und wir müssen endlich über die politische Kleiderordnung reden: Während Männer standardisierte Uniformen wie Anzug und Krawatte haben, gibt es für Politikerinnen keinen vergleichbaren Standard. Politische Inszenierungen, von Kleidungsstil bis zur Körpersprache, folgen männlich geprägten Normen, die Frauen zusätzliche Hindernisse bereiten. Frauen müssen ständig ihre Garderobe rechtfertigen und werden daran gemessen. 

Wir brauchen nicht nur Politikerinnen, die stark genug sind, diese unfairen Fragen und Bewertungen auszuhalten. Wir brauchen Menschen, Medien und eine Gesellschaft, die versteht, dass Kompetenz kein Geschlecht kennt.

Vielleicht fragen wir die nächste Ministerin einfach mal nach ihren Zielen, ihrer Expertise und ihren Plänen – genauso wie bei jedem Mann.


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