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Ungleichheit

“Ich möchte diese Frage nicht mehr hören” – ein Interview mit Sonja Pikart

“Ich möchte diese Frage nicht mehr hören” – ein Interview mit Sonja Pikart
@Marlene Feichtenschlager /Moment.at
Sonja Pikart ist Kabarettistin und Schauspielerin. Heuer gewinnt sie als erste Frau seit 2000 den Hauptpreis des Österreichischen Kabarettpreises. Außerdem wurde ihr gemeinsam mit Berni Wagner und Christoph Fritz der Programmpreis verliehen. Ihr aktuelles Programm “Halb Mensch” spielt in einer Erdhöhle - draußen wütet die Herrschaft der Künstlichen Intelligenz. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, wie wir zum “Ganz Mensch” werden können.

MOMENT.at: Du bist erst die zweite Frau, die den Österreichischen Kabarettpreis gewonnen hat. Wieso gewinnen immer noch hauptsächlich Männer den Kabarettpreis? 

Sonja Pikart: Das tun sie ja jetzt nicht mehr. (lacht) Ich glaube, eine Zeit lang gab es einfach viel weniger Frauen im Kabarett. Es war früher ganz oft so, dass ich die Einzige im Line-up war. Ich war immer allein auf weiter Flur. Besonders als Newcomerin hat manchmal niemand mit mir geredet. Das hat sich gewandelt. Manchmal stehen sogar mehr Frauen als Männer auf der Bühne und man kann uns schlechter ignorieren. Frauen sind im Backstage auch viel kommunikativer und herzlicher. Damit will ich den anderen Gewinnern ihre Preise gar nicht absprechen. Sie haben tolle Programme herausgebracht und das verdient. Man fragt sich nur, warum war denn zwischendurch nicht mal eine Frau dran? Dafür hätte es schon genug gegeben. 

MOMENT.at: Ist das eine Frage von Sexismus?  

Sonja: Natürlich. Wenn ich in meiner Anfangszeit ein Reel gepostet habe, waren innerhalb von einer halben Stunde 100 Kommentare darunter. Von wegen: “das L in Frauen steht für lustig” oder “da sieht man wieder, dass Frauen nicht lustig sein können.” Das kann man relativ lange ignorieren, aber das Problem nagt trotzdem an einem.

Das Publikum reagiert oft auch immer noch stärker auf Männer. Vermutlich aus Gewohnheit, weil Komik lange Zeit eine Männerdomäne war. Als Frau muss man oft viel lustiger sein, um die gleiche Reaktion zu erzielen. Das macht was mit einem. Männer haben es da ein bisschen leichter. Frauen müssen immer noch über diese Hürde hinweg spielen. Sie sind auch diejenigen, die über Gleichberechtigung sprechen. Männer brüsten sich höchstens damit, dass sie ja auch Feministen sind. Aber ob sie dann wirklich was dafür tun, ist die andere Frage. Ich wünsche mir einfach, dass genau dieses Thema mal zwischen Männern abgehandelt wird.  

MOMENT.at: Glaubst du, Frauen trauen sich deshalb auch weniger auf der Bühne?

Sonja: Das ist eine interessante Frage. Ich glaube teils, teils. Es ist cool, was Frauen alles auf der Bühne machen. Es geht so weit hinaus, über diesen Altherrenhumor, den wir gewöhnt sind aus den vergangenen Zeiten. Was aber vielleicht in allen Frauen noch ein bisschen drinsteckt, ist das dauernde Gefühl, gut aussehen zu müssen und sich ja nicht komisch zu bewegen. Was habe ich an, wie bin ich geschminkt? All diese Sachen, über die sich Männer, überhaupt keine, oder zumindest weniger Gedanken machen. Ich persönlich habe großen Spaß an Hässlichkeit auf der Bühne.

MOMENT.at: Nervt es dich, wenn dein Preis sofort zu einem Frauenpower-Thema gemacht wird?

Sonja: Ja. In Interviews sage ich mittlerweile manchmal: Ich möchte diese Frage nicht mehr hören. Auch wenn man es kritisch beäugt, drängt es Frauen schnell in eine Opferrolle. Das will ich nicht. Frauen haben unheimlich viel zu dieser Branche beigetragen. Ich finde es schlimm, wenn Shows ohne Männer “Girlpower” oder “Mädelsabend” genannt werden. Manchmal wird auch vorher nicht kommuniziert, welchen Titel der Abend tragen wird. Dann denke ich: “Oh, bei sowas bin ich jetzt wieder dabei.” Ich wünsche mir den Tag herbei, an dem eine Show mit nur Frauen im Line-up stattfindet und niemand etwas darüber sagt.

MOMENT.at: In deinem aktuellen Programm sagst du: “Alles, was scheiße ist, ist ja nicht mehr Scheiße, sondern Tradition.” Was ist heute Scheiße, aber Tradition?

Sonja: Diese ganze Leitkulturdebatte vor einiger Zeit fand ich interessant. Man hat so getan, als ob Dinge wie Brauchtum in Gefahr wären, nur weil sich die Welt ein bisschen ändert. Das ist einfach lächerlich. Brauchtum ist eine schöne Sache und das kann man sich ja auch erhalten. Aber nicht, wenn man sagt, jeder, der nicht Bock hat, einen Maibaum aufzustellen oder in der Blasmusikkapelle zu spielen, verrät das Land. 

Tradition wird häufig so als Ausrede genommen, um Dinge nicht zu verändern, die aber dringend verändert gehören. Das Rauchverbot zum Beispiel. Damals hieß es, das ist ja unsere Tradition, das können wir nicht einfach aufgeben. Genauso mit Österreichs Alkoholismusproblem. Von wegen Brauereikunst und Weinbau. Das sind ja alles schöne Sachen, aber das heißt nicht, dass wir nicht auch mal was dagegen tun müssten und adressieren, dass das eben im Übermaß viel Unglück bringen kann. Nur weil man etwas ändert, heißt es ja nicht, dass jetzt plötzlich die komplette Kultur zusammenbricht, die man sich über Jahrtausende aufgebaut hat. Sondern im Gegenteil.

MOMENT.at: Wieso, glaubst du, halten die Menschen trotzdem daran fest? 

Sonja: Aus Gewohnheit. Wenn man es positiv formulieren will: Manche fühlen sich vielleicht so mit ihren Urahnen verbunden. Sie sagen: das haben meine Oma und meine Uroma schon so gemacht. Viele empfinden dann etwas Nostalgisches, auch wenn es nicht mehr zeitgemäß ist. Nur weil meine Oma ein fantastisches Kaninchenrezept gehabt haben, bin ich jetzt trotzdem Veganerin. Ich fühle mich meiner Oma dadurch nicht weniger verbunden.

MOMENT.at: Dein neues Programm Halb Mensch spielt in der nahen Zukunft, im Jahr 2025. Da hat die KI die Weltherrschaft an sich gerissen und es herrscht Dystopie. Findest du, wir leben schon in einer Dystopie?

Sonja: Nein. Es gibt viele schlimme Dinge auf der Welt, das ist schon wahr. Wir leben auch in Zeiten, wo gerade vieles eskaliert. Das betrübt und verunsichert mich. Aber ich würde es nicht als Dystopie bezeichnen. Wir haben auch so viel Schönes auf der Welt und so viele Ressourcen, um das Ruder herumzureißen. 

MOMENT.at: Hast du deswegen mit Absicht den Zeitpunkt auch so nah gewählt? Bis 2025 sind es jetzt nur noch drei Monate.

Sonja: Ich muss die Zeit im Programm dann mal ändern auf 2026. KI entwickelt sich ja rasant. Da wurden in jüngster Zeit viele Schreckensszenarien entworfen. Ich fand es interessant, mich mit einer Dystopie zu beschäftigen, die in naher Zukunft liegen könnte.

MOMENT.at: Trotz allem verwandelt sich die Dystopie im Laufe des Kabaretts in eine Utopie. Wie kann dieser Wandel passieren? 

Sonja: Wir müssen für uns selbst definieren: Was bedeutet Menschlichkeit für mich? Was ist der Vorteil des Menschseins gegenüber der KI? Wir sind im Gegensatz zu Computerprogrammen eben nicht binär, sondern vielfältig. Wir müssen uns auf Diversität besinnen. In der Politik wurde ja wieder darüber debattiert, wer normal ist. Diese Diskussion ist derartig unangemessen. Es wäre viel wichtiger, zu sehen, wo die ganze Vielfalt steckt. Was uns Menschen so bunt und so interessant und eben nicht berechenbar macht.

Sonja Pikart spielt am 28.11 in der Kulisse und am 18.12 im Kabarett Niedermair. Auch sonst ist sie vielerorts live zu erleben.

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  • bugbear
    12.11.2024
    Amen.
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