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Ungleichheit

Interview mit Max Schrems: Wie Wirtschaft und Politik unseren Datenschutz verhindern

Unternehmen machen mit unseren Daten viel Geld. Und das oftmals illegal. Das kümmert sie nicht besonders, denn Konsequenzen gibt es kaum. Dafür sorgen Politik und Wirtschaft. Auf der anderen Seite ziehen Max Schrems und der Verein noyb gegen Facebook vor Gericht und legen gegen Google Beschwerden bei Datenschutzbehörden ein. Max Schrems über die Bedeutung von Datenschutz und wer ihn verhindert.

 

MOMENT.at: Kannst du uns Datenschutz etwas näher bringen?

Max Schrems: Auf dem Bildschirm wird uns eine perfekte Welt gezeigt und im Hintergrund auf den Servern passiert dann „the dirty Business“. Das kriegst du nicht mit und das macht es schwieriger zu verstehen, dass das ein Problem ist. Ein Hund, der eine sehr lockere Leine um hat, hat noch immer eine Leine um. Dann gibt es einen Moment, wo der:die Besitzer:in an dem Hund zieht und er kann nicht mehr weiterlaufen. 

MOMENT.at: Zum Beispiel?

Max Schrems: Wenn die Kreditauskunft dir eine negative Bonität gibt und du keinen Handyvertrag bekommst. Dann merken es die Leute. Aber sobald ich weiß, dass meine Daten gespeichert werden, beginne ich auch, mein Verhalten zu ändern. So schränken wir unsere Meinungsfreiheit ein, indem wir gewisse Sachen im Internet einfach nicht mehr sagen, weil es uns später zum Problem werden könnte. Das nennt man Selbstzensur.

MOMENT.at: Gibt es extremere Beispiele?

Max Schrems: Ein Bekannter wird jedes Mal, wenn er wo einreist, vernommen, weil er in irgendeiner Datenbank gelistet ist – wieso darf er nicht wissen. Manche bekommen kein Visum. Das ärgste, woran wir arbeiten, ist die NSA-Überwachung. Da gibt es ganz extreme Beispiele bis hin zu „Targeted Killing“. Die NSA kann die Daten von den großen Konzernen abziehen und so herausfinden, wo jemand steckt. Das betrifft uns in Österreich zwar nicht, aber ich finde es relevant, zu wissen, dass es sogar sowas gibt. Die Bandbreite ist groß. Es beginnt bei Konsumentenschutzfragen, dass manche nicht auf Rechnung zahlen dürfen oder die Preise verschieden hoch sind, weil sie Personal Pricing machen, oder der Kredit für manche teurer ist.

MOMENT.at: Auch wenn wir Sachen kaufen, die wir ansonsten gar nicht kaufen würden.

Max Schrems: Es heißt immer „Werbung ist eh egal“, aber Werbung hat ja auch einen Sinn. Es werden Milliarden an Euro investiert, die zur Manipulation da sind. Es geht am Ende darum, irgendwelche Wünsche zu generieren und die Leute zu einem Kauf zu drängen oder zu bringen, den sie sonst nicht machen würden. Das rechnet sich auf das Leben gerechnet hoch.

MOMENT.at: Wenn Datenschutz so wichtig ist, warum ist er dann so unbeliebt?

Max Schrems: Du hast mit Datenschutz hauptsächlich dann zu tun, wenn das Unternehmen bestimmt, wie die Interaktion aussieht. Das ist klassisch der Cookie-Banner. Es gibt eigene Unternehmen für Consent Optimierung – also Einwilligungsoptimierung – die das so mühsam gestalten, dass es den meisten zu blöd wird und sie einfach akzeptieren. Auf den Banner schreiben sie „Wegen der DSGVO müssen wir…“, aber in der Realität hätten sie sich die Einwilligung davor auch holen müssen. Die Unternehmen drehen das Narrativ um und geben dem Gesetz die Schuld für diese nervige Situation.

MOMENT.at: Aber auch in der Politik wirkt er unbeliebt.

Max Schrems: Politisch wird Datenschutz meistens dann verwendet, wenn jemand etwas nicht veröffentlichen will, obwohl die Frage gar nicht unter die DSGVO fällt. Wenn ein:e Minister:in sagt „Datenschutz“ heißt es zu 90 Prozent „will ich nicht“. Bei den Gesundheitsdaten zum Beispiel will die Ärztekammer einfach nicht, dass die Daten verknüpft werden. Aus Datenschutzsicht ist mir egal, ob Daten bei Ärzt:innen oder irgendwo zentral gespeichert wird, solange die Computer ordentlich geschützt sind. In Wirklichkeit haben sie andere Gründe. Da wird Datenschutz missbraucht, um etwas zu verhindern.

MOMENT.at: Welche Stelle ist in Österreich dafür verantwortlich, unsere Daten zu schützen?

Max Schrems: Bei uns gibt es die Datenschutzbehörde, eine unabhängige Verwaltungsbehörde. Die sind eigentlich zuständig, das zu machen, was wir tun.

MOMENT.at: Was heißt unabhängig?

Max Schrems: Sie sind keinem Ministerium unterstellt. Das hat den Grund, dass die Datenschutzbehörden auch die Datenverarbeitung vom Bund selber überprüfen sollen. Es wäre blöd, wenn die Behörde, die das Innenministerium überprüft, vom Innenministerium Weisungen bekommt, sie nicht zu überprüfen. In der Realverfassung sind die natürlich politisch vernetzt und oft politisch bestellt. Dort sitzen dann keine Karrierebeamt:innen, die in dem Bereich viel wissen und das ist ein Riesenproblem. 

Das andere Problem ist, dass es durch die Weisungsfreiheit kaum Accountability gibt. Im demokratischen System haben theoretisch die Minister:innen Weisungsspitze. Das  Parlament kann sie befragen und sie müssen vor Journalist:innen sagen, warum sie in einem Bereich nichts tun. Hier haben Behörden einen Free-Space, wo nichts passiert, wenn sie nichts tun.

MOMENT.at: Ist es grundsätzlich gut, dass sie unabhängig sind?

Max Schrems: Ich weiß gar nicht, ob es rückblickend intelligent ist. Es steht so in den Verträgen und der Grundrechte-Charta, sie werden also unabhängig bleiben. Es ergibt auch Sinn gegenüber dem Staat. Die Frage ist, ergibt es Sinn gegenüber der Privatwirtschaft? Die Gewerbebehörde ist auch nicht unabhängig.

MOMENT.at: Wie kann man dieses Problem angehen?

Max Schrems: Wir müssen die Verfahrensrechte extrem genau machen. Umso unabhängiger, umso enger musst du die Behörde in einen gesetzlichen Rahmen fassen. Die andere Option ist, vor Gericht gegen die Unternehmen oder die Behörde vorzugehen.

MOMENT.at: Ich könnte also bei der Datenschutzbehörde eine Beschwerde einlegen und die bearbeitet das dann?

Max Schrems: Oder auch nicht. Laut Gesetz müssen sie innerhalb von sechs Monaten entscheiden. Durchschnittlich sind es eineinhalb Jahre. Wenn sie über der gesetzlichen Frist sind, kannst du zum Bundesverwaltungsgericht gehen und dort Beschwerde einlegen. Das geht in Österreich relativ leicht und kostet nur 30 Euro, in anderen EU-Staaten ist das eine reine Katastrophe. In Irland kostet eine Beschwerde über 100.000 Euro.

MOMENT.at: Wie arbeitet die Datenschutzbehörde?

Max Schrems: Die DSB sollte eigentlich selber ermitteln und dann eine Entscheidung treffen. In Realität schickt sie deine Beschwerde einfach an das Unternehmen weiter und das antwortet irgendetwas. Wir sehen zunehmend, dass Unternehmen einfach lügen. Zu 99,9 Prozent geht die DSB aber nicht dorthin und sieht sich an, was wirklich passiert.

MOMENT.at: Aber diese Befugnis hätte die Datenschutzbehörde?

Max Schrems: Ja, sie nutzt sie nur leider ungern. Oft ist es das Know-How, das fehlt. Aber die Leute haben auch keine Durchsetzungskultur. Es gibt Behörden, die seit den 80er Jahren immer nur Beschwerden hin und her geschickt haben. Durch die DSGVO haben sie jetzt riesige Strafbefugnisse, haben aber nie gelernt, was man damit macht. Eigentlich müsste die DSB alles selbstständig ermitteln und nachfragen. Aber da sind wir sehr weit weg von dem, was im Gesetz steht. Es ist an sich im Datenschutz ein Riesenproblem, dass wir alles mögliche in Gesetze reinschreiben können und es wird einfach nicht umgesetzt.

MOMENT.at: Was kann man dagegen machen?

Max Schrems: Es muss realistisch sein, ein Strafgeld zu bekommen, wenn man etwas falsch macht. Aktuell wissen in dem Bereich alle, dass es sich nicht auszahlt, sich an das Gesetz zu halten. Wozu, wenn das nie jemand kontrolliert? Die Behörden könnten auch viele Prozesse automatisieren. Aktuell schreiben sie jeden Text einzeln. Wenn ich als Unternehmen jedes Mal 5.000 Euro Strafe bekomme, werden sich irgendwann alle daran halten. Dann hätte die Behörde auch nicht so viele Beschwerden.

MOMENT.at: Ist das eine Frage des Budgets?

Max Schrems: Die Unterfinanzierung von den Behörden ist aus staatlicher Sicht vollkommen absurd. Wir haben mal ausgerechnet: Wenn die österreichische Behörde Google einmal bestrafen würde, könnten wir uns einen ganzen Brenner Basistunnel davon leisten [fast 10 Milliarden Euro, Anm. d. Red.]. Da geht es um Milliardenstrafen. Mit den Strafsummen der DSGVO kann ich mich als Staat dumm und deppert verdienen.

MOMENT.at: Wieso nutzt die Politik das nicht?

Max Schrems: Die WKO und die ÖVP sind dagegen. Es gibt die Möglichkeit, in Österreich gesetzlich zu erlauben, Verbandsklagen einzubringen. Das heißt, wir bräuchten nicht mehr Betroffene, die wir vertreten, sondern könnten wie der Verein für Konsumenteninformation als Verband klagen. Das steht sogar im Regierungsprogramm. Rot-Grün-NEOS ist dafür, aber die Wirtschaftskammer blockiert. Dabei würde sich für österreichische Unternehmen nichts ändern, weil es sowieso die Sammelklage gibt. Das Interessante ist: Damit könnten wir gegen ausländische Unternehmen vorgehen.

MOMENT.at: Was haben sie dagegen?

Max Schrems: Die Wirtschaftskammer will einfach nicht, dass sich  Verbraucher:innen zusammenschließen. Dass das auch aus wirtschaftlicher Sicht sinnvoll wäre, ist ihnen nicht beizubringen. Alle regen sich auf, dass sich die bösen ausländischen Unternehmen nicht an Gesetze halten. Dann wäre es logisch, eine Möglichkeit zuzulassen, dagegen vorzugehen.

MOMENT.at: Werden hier die Interessen der kleinen Unternehmen für die der großen Konzerne aufgegeben?

Max Schrems: Es gibt in der DSGVO keine Unterscheidung nach Unternehmensgröße. Es wäre logisch gewesen, dass die großen mehr Pflichten haben. Für Mopeds gibt es einen anderen Führerschein als für Sattelschlepper. Unser Vorschlag war es damals, es nach der Zahl der Betroffenen zu regeln. Aber die Industrie hat sich ins Knie geschossen. Die Lobbyist:innen in der EU haben von einem „One-Size-Fits-All-Ansatz“ und „Flexibilität im Gesetz“ gesprochen, weil das für KMUs gut wäre. In Wahrheit ist es andersherum. KMUs sind überfordert und brauchen fünf Anwältinnen für ihre Datenschutzerklärung, während die großen in ihren Rechtsabteilungen jedes Wort umdrehen und überlegen, wie sie das günstig interpretieren könnten.

MOMENT.at: Wer sind in Österreich die großen Übeltäter?

Max Schrems: Die meisten österreichischen Unternehmen ziehen aus den Daten keinen Gewinn, sondern machen nur das, was man zum Beispiel für die Abrechnung braucht. Das ist alles nach der DSGVO erlaubt, damit hat man meistens keinen Konflikt. Der große Teil, mit dem wir uns beschäftigen, sind die großen amerikanischen Konzerne und Apps. Und die sind nicht in Österreich. 

Das ist auch teilweise der Grund, warum unser Verein hier angesiedelt ist. Wir steigen sozusagen niemandem aufs Dach. Bei uns ist eher andersherum: Dass österreichische Unternehmen oft in Konkurrenz mit denen stehen, die sich alles erlauben. Es kann natürlich nicht sein, dass die Unternehmen, die sich an die Gesetze halten, einen Nachteil davon haben.

MOMENT.at: Kann man da von Monopolen sprechen?

Max Schrems: Wenn die Leute zehn verschiedene Optionen hätten, wäre es viel leichter, Service zu wechseln, wenn jemand Datenschutzprobleme hat. Wir machen hingegen die Erfahrung, dass die Unternehmen nicht mal reagieren, wenn sie wegen uns in den Nachrichten sind, weil sie genau wissen, dass wir nirgendwo anders hin können. 

MOMENT.at: Was sind eure Ziele in nächster Zeit?

Max Schrems: Aktuell machen wir noch recht viel mit Cookie Banner, weil das die Leute extrem nervt. Wir wollen sicherstellen, dass es eine ja/nein Option auf der ersten Ebene gibt. Dann bearbeiten wir das Datentransfer-Thema mit den USA und Kreditauskunft. Neu ist das Thema mobile Apps. Bisher liegt der Fokus auf Websites und Tracking im Internet, aber am Handy werden inzwischen genauso Daten gesammelt.

 

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