Daniela Brodesser und ihre neue Kolumne: Armutprobe. Das Cover zeigt Brodessers skizziertes Porträt.
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Daniela Brodesser
/ 14. Oktober 2020

Seit zehn Tagen bin ich nun in Quarantäne, weil ich wohl im Zug neben einen Mann gesessen bin, der positiv getestet wurde. Ich darf das Haus nicht verlassen. Eigentlich sollte ich mich von meiner Familie isolieren, das ist aber unmöglich. Ich arbeite am Esstisch, wir haben nur eine Küche, nur ein Bad.

Es klingt vielleicht komisch, aber ich fühle mich gerade in dieser Situation sehr privilegiert. Wir leben knapp an der Schwelle zur Armutsgefährdung. Es darf nicht unvorhergesehenes passieren. Aber: Ich kann von zu Hause aus arbeiten, bin in Kontakt mit den KollegInnen. Vom Esstisch aus habe ich an einer Veranstaltung zu Kinderarmut teilgenommen, die wegen der Pandemie online stattfand. Eintritt, teure Zugkarten, all das ist entfallen.

Ein kleiner, großer Schritt und alles ist anders

Natürlich gibt es auch heute viele Dinge, die ich mir nicht leisten kann. Essen bestellen, zum Beispiel. Wenn die ganze Familie in Quarantäne wäre, könnten wir nicht bei einem Supermarkt bestellen, die Lieferung ist zu teuer. Das Haus würde uns kleiner vorkommen, wenn wir alle den ganzen Tag aufeinander hocken.

Vor drei Jahren hätte meine Quarantäne noch ganz anders ausgesehen. Damals waren wir so vereinsamt, ich hatte kaum soziale Kontakte. Ich wäre in der Wohnung ohne Heizung gesessen, hätte auf die Dachschrägen gestarrt und mir verzweifelt eine Ablenkung gesucht, um die Tage zu überstehen.

Daran merke ich: Der gleichzeitig kleine und riesige Schritt aus der Armut zur Armutsgefährdung hat mein Leben völlig verändert. Und dafür bin ich dankbar, gerade jetzt.

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