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Gesundheit

Der teure Traum von der Psychologie: Kein Job ohne Zusatzausbildung

Psychologe werden auf Umwegen. Wer Psychologie fertig studiert, darf sich Psycholog:in nennen. Als Therapeut:in oder im klinischen Bereich mit Patient:innen arbeiten, darf man damit aber nicht. Die Zusatzausbildungen sind extrem teuer. Dabei brauchen wir in beiden Bereichen dringend mehr leistbare Angebote.
„Ein großer Teil der Studierenden möchte in den klinischen Bereich“, meint Volker Eing von der Studienvertretung Psychologie an der Uni Wien. Klinische Psycholog:innen arbeiten oft in Krankenhäusern, sozialen Einrichtungen oder privaten Praxen. Sie sind vor allem dafür zuständig, Diagnosen zu stellen, können aber auch Patient:innen beraten. Welcher Weg dorthin führt, das hört man in der Studieneingangsphase.

Wie lange er in der Wirklichkeit ist, wäre aber nicht immer allen Studierenden wirklich klar. „Wer fünf Jahre studiert, hat schon einiges an Zeit und Geld investiert“, erzählt er MOMENT.at. „Zu erfahren, dass man damit noch nicht fertig ist, kann schon ein Schockmoment sein.“

Psychologe werden – was brauche ich dazu?

Klinische Psychologie und Gesundheitspsychologie sind gesetzlich geregelte Berufsfelder. Das „Psychologengesetz” bestimmt die Voraussetzungen dafür, in diesem Bereich arbeiten zu dürfen. Und wie die Ausbildung auszusehen hat. Der Master in Psychologie muss abgeschlossen sein. Die folgende Ausbildung selbst besteht wieder aus theoretischem Unterricht. Dazu muss man praktische Arbeitserfahrung sammeln – 2098 Stunden in der Klinischen Psychologie oder 1553 Stunden in der Gesundheitspsychologie, also etwa ein Vollzeit-Arbeitsjahr.

Eine bezahlte Stelle, die es nicht gibt

Für die Praxis muss man seit 2013 angestellt und bezahlt werden. Wie hoch der Lohn sein muss, legt das Gesetz nicht fest. Für private Krankenanstalten gilt der Kollektivvertrag mit 1.700 Euro brutto, ansonsten gibt es vom Ministerium nur eine Orientierungshilfe. Diese empfiehlt zwischen 890 und 2100 Euro für eine Vollzeitanstellung. Viel ist das nicht.

Trotzdem bieten zu wenige Einrichtungen solche Stellen an. Seit dem Gesetz von 2013 ist die Anzahl der Absolvent:innen von 600 auf 200 bis 250 pro Jahr gesunken. Die Kliniken haben nicht genug Geld für die Stellen. Sie sind ein Nadelöhr in der Ausbildung.

Klinische Psycholog:in werden: Die Ausbildungen sind teuer

„Die Zusatzausbildung wirkt abschreckend für Interessierte“, meint eine Quelle aus dem Umfeld der Psychologie-Zusatzausbildungen, die lieber anonym bleiben will. Vor allem, weil es wenige Stellen für die praktische Arbeit gebe. Aber auch wegen der Kosten und Dauer. Die Ausbildung selbst kostet fast 5.000 Euro. Zusätzlich ist es notwendig, Supervision und sogenannte Selbsterfahrung zu machen. Dabei geht es darum, mit Therapeut:in oder Psycholog:in sich selbst und die eigenen Gefühle zu reflektieren. Dafür muss man weitere 2.000 Euro einplanen. Auch wenn man neben der Ausbildung arbeiten kann, sind 7.000 Euro eine hohe Hürde.

Förderungen gibt es, etwa vom WAFF. Diese sind jedoch mit maximal 3.000 Euro gedeckelt und nur für Personen in einem Anstellungsverhältnis. Manche Institute bieten selbst ein Stipendium an, das aber ebenfalls nur einen kleinen Teil bezahlt.

Gibt es genug Zulauf?

Das Gesundheitsministerium erwartet in diesen Bereichen auf Anfrage keinen Mangel an Arbeitskräften. Expert:innen sind gegenüber MOMENT.at aber der Ansicht, dass sich das ändern könnte. „Uns erreichen immer wieder Institute und Zentren, die ihre Stellen nicht besetzen können. Vielleicht nicht in großen Städten, aber an abgelegeneren Orten“, kommt es aus dem Umfeld der Weiterbildungs-Anbieter. Die bevorstehenden Pensionierungen werden diese Situation verschlechtern.

Besonders die Ausbildung für Gesundheitspsychologie erhält wenig Zulauf. Nur etwa 20 Personen schließen das Fach jedes Jahr ab. Das liegt auch daran, dass der Ausbildung ein Alleinstellungsmerkmal fehlt. Gesundheitspsycholog:innen machen ebenfalls Diagnose und Beratung, aber eher im präventiven Bereich.

Wettbewerb mit Sozialberatung

Martin Nechtelberger von der Österreichischen Akademie für Psychologie (AAP) erklärt: Einerseits dürfe man die meisten Tätigkeiten genauso mit der Ausbildung in Klinischer Psychologie durchführen (wofür aber die Ausbildungsplätze fehlen). Andererseits stehe sie im Wettbewerb mit der Sozialberatung. Für diese Ausbildung braucht es keine Vorbildung. Sie dauert mit 3 bis 5 Jahren auch viel kürzer.

Sollte der Ausbildungsweg dann überhaupt so gemacht werden? Aus dem Ministerium bekommen wir dazu eine Nicht-Antwort: Man wolle „klassische praktische Ausbildungsstellen identifizieren” und „Tätigkeitsfelder verstärkt aufzeigen.” Der Psychologenbeirat setze „konkrete Maßnahmen” gegen die Entwicklung.

Es braucht mehr Praxis im Studium

Studierendenvertreter Volker Eing will selbst Klinischer Psychologe werden. Er hat sich mit der Zusatzausbildung „resigniert abgefunden“, wie die meisten seiner Studienkolleg:innen. Grundsätzlich findet er die Ausbildung auch sinnvoll: „Der Beruf braucht viel Sensibilität und die zu entwickeln braucht Zeit.“ Praktische Inhalte kommen im Studium aber zu kurz. Wieso sie nicht ausgebaut werden, beantwortet das Gesundheitsministerium auf Anfrage nicht. Auch Nechtelberger würde mehr Praxis im Studium begrüßen.

Psychotherapeut:innen brauchen noch viel mehr Geld

Auch im Bereich der Psychotherapie wird ein Umbruch kommen. 40% der Therapeut:innen werden in den kommenden 10 Jahren weniger oder gar nicht mehr arbeiten. Eine Pensionierungswelle steht bevor. Einen Mangel an Interesse, sie zu ersetzen, gibt es nicht. Die Zahl der Auszubildenden steigt seit Jahren. 

Und das trotz der immensen Kosten. Das Propädeutikum, der erste Teil der Ausbildung, kostet zwischen 4.000 und 8.000 Euro und dauert 2 bis 3 Jahre. Darauf folgen 3 bis 6 Jahre Fachspezifikum: Je nach Fach muss man zwischen 25.000 und 50.000 Euro auf den Tisch legen. Wieder hinzu kommen Selbsterfahrung und Supervision. Das sind für junge Menschen enorme, oft unerreichbare Summen. Der Großteil der Menschen kann deshalb einfach nicht Therapeut:in werden.

Wir brauchen diversere Therapeut:innen

Diese finanzielle Hürde ist ein Grund, warum es der Berufsgruppe an Vielfalt mangelt. Menschen mit Migrationshintergrund oder mit Familien aus der Arbeiterschicht sind zum Beispiel selten. Das wirkt sich auch darauf aus, für welche Themen es Spezialist:innen gibt. Und das spüren die Leute, die auf Therapeut:innen angewiesen sind.

Für Kinder und Jugendliche mangelt es an Angeboten und auch queere Menschen haben es oft schwer, passende Therapeut:innen zu finden. Henriette Löffler-Stastka von der MedUni Wien sieht besonders im transkulturellen Bereich Aufholbedarf. Wären mehr Menschen mit Migrationsbiografie in der Ausbildung, würden davon auch die anderen angehenden Therapeut:innen profitieren, meint sie. 

Ein neues Gesetz könnte den Zugang erleichtern

Gäbe es die Ausbildung an Unis, wäre sie günstiger und niedrigschwelliger. Löffler-Stastka und ihre Kolleg:innen hoffen darauf, dass das Psychotherapiegesetz bald geändert wird. Das wäre schon lange in Planung. 

Auch die Qualität der Ausbildung würde an den Unis steigen, erklärt Löffler-Stastka MOMENT.at: „Traditionelle Universitäten unterliegen gesetzlichen Regularien und müssen Leistungskriterien erfüllen. Das ist bei privaten Institutionen nicht in dem Ausmaß der Fall.“ Ein weiterer Vorteil wäre, dass Universitäten Forschung, Lehre und Klinik vereinen.

Heute investiertes Geld könnten wir morgen einsparen

Kurzfristig muss dafür Geld in das Bildungssystem investiert werden. Doch dieses Geld macht sich schnell bezahlt. „Je professionalisierter die Ausbildung ist, desto effektiver können Therapeut:innen behandeln. Damit lassen sich langfristig die Folgekosten von psychischen Erkrankungen verringern“, meint Löffler-Stastka. 

Die haben es nämlich in sich. 13,9 Milliarden Euro kosteten psychische Erkrankungen das Gesundheitssystem 2019. Demgegenüber stehen nur 76,4 Millionen Euro, die die Sozialversicherung für psychotherapeutische Leistungen ausgegeben hat. Es gibt also Luft nach oben. 

Von einer besseren und leichter zugänglichen Ausbildung würden nicht nur werdende Psycholog:innen und Therapeut:innen profitieren, sondern auch die Staatskasse und Patient:innen. Und im besten Fall auch jene Menschen, für die es heute einfach kein leistbares Angebot gibt.

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