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Demokratie

Schuldenbremse: Worum es in Wahrheit geht

Unser Wirtschaftswissenschafter Oliver Picek erklärt, worum es bei aktuellen Wirtschaftsthemen geht. Heute geht es um die Schuldenbremse.

Sprechen wir über eine Bremse. Gemeint ist weder das blutsaugende Insekt noch die Bremsen im Auto, sondern die aus Marketinggründen so benannte „Schuldenbremse„. Drei Parlamentsparteien – ÖVP, FPÖ, und NEOS – wollen heute, Mittwoch, eine bereits existierende gesetzliche Regelung in Verfassungsrang heben, die der Republik Österreich verbietet, mehr als 0,35 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung an Krediten aufzunehmen. 

Dabei gibt es gar nichts zu bremsen: Die Staatsschulden schrumpfen zurzeit gemessen an unserer Rückzahlungsfähigkeit stark. Die Ausgaben des Staates waren aufgrund der guten Konjunktur kaum höher als die Steuereinnahmen. Die Mehrausgaben durch die (größtenteils sehr sinnvollen) Parlamentsbeschlüsse des Sommers sind gut verkraftbar. 

Österreich würde Geld fürs Ausborgen bekommen

Staatliche Verschuldung ist zudem im Moment nicht nur gratis, sondern wird auch noch bezahlt. Nimmt der Staat 100 Euro Kredit auf, muss er nur mehr EUR 99,50 zurückzahlen. Die Europäische Zentralbank hat mit ihrer Entscheidung von vorletzter Woche recht deutlich klargestellt, dass das auf absehbare Zeit so bleiben wird. 

Das heißt nicht, dass sich die Republik „auf Teufel komm raus“ verschulden sollte. Eine alte finanzpolitische Grundsatzregel bietet einen guten Leitfaden: Laufende Ausgaben (Pensionen, Gehälter der Staatsangestellten) genauso wie Ersatzinvestitionen (kaputte Straßen, Bahngleise, marode Gebäude) sollen von laufenden Einnahmen (Steuern und Sozialbeiträge) abgedeckt werden.

Neue Investitionen aber, wie beispielsweise der Ankauf von zusätzlichen Nachtzügen oder der Ausbau der Ökostrom-Infrastruktur, können und sollen über staatliche Kredite finanziert werden. Wieso? Weil unsere Kinder davon am meisten profitieren, sollen sie dafür auch einen finanziellen Beitrag leisten. Zudem ersparen sich beide Generationen durch die Aufnahme der Kredite etwas, da der Staat aktuell dafür bezahlt wird. Deutschland hat diesen Grundsatz missachtet und leidet unter maroder werdender Infrastruktur. 

Dienst an der Finanzindustrie

Dass aber selbst die Vertreter der Schuldenbremse Wege finden, Investitionen durchzuführen, wenn sie es nur wirklich wollen oder unter politischem Druck müssen, zeigt der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier. Er schlug letzte Woche einen etwas unausgegorenen Klimafonds vor, dessen Details es in sich haben. Obwohl Deutschland genauso wie Österreich bezahlt werden könnte, wenn es staatliche Kredite für Klimainvestitionen aufnimmt, will er Finanzanlegern seines Klimafonds 2 Prozent Zinsen bezahlen.

Ein Fonds in Höhe von 10 Milliarden würde also Banken und Finanzanlegern einfach 200 Millionen risikolosen Gewinn hinterherwerfen, die stattdessen dem Staat und damit uns allen zustehen. Was nur wie die Schnappsidee der Woche klingt, sagt zwischen den Zeilen deutlich mehr über die wahren Motive hinter der Einführung einer Schuldenbremse aus als den Schuldenbremsern genehm ist: Der Staat soll zurückgestutzt werden.

Nichts soll gesellschaftlich und ökonomisch mehr ohne die großen Finanziers und Parteispender, bei denen Unternehmensbesitz und Finanzvermögen zusammenlaufen, möglich sein. Schließlich war die Schuldenbremse auch ihre Erfindung. Investitionen gibt es folglich nur mehr als „öffentlich-private Partnerschaften“, die üblicherweise damit enden, dass die Allgemeinheit ein Verlustgeschäft macht, aber trotzdem die vertraglich garantierten Profite des Privatanlegers finanziert. Eine Schuldenbremse ist somit auch eine Investitionsbremse oder eine Klimaschutzbremse.

Die Zerstörung des Sozialstaats

Wirklich gefährlich wird die Schuldenbremse in Kombination mit dem zweiten großen Mantra der libertären Ideologie, das in Form des Slogans „Keine neuen Steuern“ die ÖsterreicherInnen bezirzt. Steuersenkungen finden getreu dem Motto aber dennoch statt. 

Verhindern die „schuldenbremsenden“ Parteien so, dass für laufende Ausgaben des Staates die nötigen Steuereinnahmen vorhanden sind, beginnt die rasante Zerstörung des Sozialstaates.

Zu wenige Mittel für Pensionen heißt, dass deine erwartete Pension sinkt. Für die Armen wird gekürzt, während die Reicheren durch „Privatvorsorge“ am Finanzmarkt sparen können, aber verpflichtend mitspekulieren müssen – mit einem 20-Prozent-Anteil der Finanzindustrie natürlich. Zu wenige Mittel für Schulen bedeutet, dass die Klassengrößen steigen oder Lehrergehälter fallen – mit Ausnahme von Privatschulen. Brauchst du als krebskranker Patient dringend ein MR auf Krankenkassenrechnung? Jetzt bekommst du noch eines, in der Zukunft mit Schuldenbremse musst du wieder neun Monate warten. Für 180 Euro kannst du allerdings eines privat haben.

Warnung

Die Schuldenbremse sollte daher mit einem verpflichtenden Warnhinweis kommen:

Achtung! Hier soll eine wirtschaftspolitische Ideologie als vermeintlich vernünftige, technokratische Regel im Verfassungsrang für die nächsten Jahrzehnte festgezimmert werden, die seit der Finanzkrise in Fachkreisen jegliche Glaubwürdigkeit verloren hat. Ziel ist die schleichende, aber entschiedene Schwächung oder gar Beseitigung des Sozialstaates.

Eine Schuldenbremse ist zuallererst eine Sozialstaatsbremse. Sie bremst wiederholt stark, während sie den Airbag Stück für Stück durchlöchert. Der harte Aufprall in Armut wird nicht mehr verhindert – und auch nicht abgefedert.

 

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