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Gesundheit

Selbstverletzung: "Wenn du nicht weißt, was du sagen sollst, sei einfach still."

Wie soll man mit Selbstverletzung umgehen? Bei uns erzählt eine Betroffene über ihr Selbstverletzendes Verhalten und warum es ihr am liebsten ist, wenn man ihre Narben ignoriert.

 

Dieser Text behandelt Selbstverletzung und Schilderungen davon. Wenn du selbst davon betroffen bist, gibt es Hilfe. Wir haben am Ende des Textes ein paar Hinweise für dich.

Luisa ist 28 Jahre alt und leidet unter einer Borderline-Persönlichkeitsstörung. Seit ihrer Kindheit erlebt sie immer wieder Episoden, während derer sie sich selbst verletzt. Was davon übrig bleibt, sind Narben, die sich über ihren ganzen Körper verteilen. Heute geht sie offen und selbstbewusst mit ihnen um. Trotzdem nerven sie unsensible Kommentare – aber auch “zu sensible”. 
 

Das erste “Werkzeug”, mit dem ich mich verletzte, war eine Bastelschere. Ich war damals 12 Jahre alt und an meiner Wand hingen noch Bravo-Poster. Viele weitere Situationen folgten, über die Jugend hinweg bis ins Erwachsenenalter. Ich bin damit nicht allein: Jede:r zehnte Jugendliche in Österreich (Stand 2017) verletzt sich selbst. Was viele nämlich nicht wissen: Selbstverletzendes Verhalten (SVV) ist für Menschen mit einer Persönlichkeitsstörung nicht nur eine “Emo-Phase” im Teenie-Alter. Für viele erstreckt sich diese Bürde über ihr ganzes Leben. Was für mich die Bastelschere war, kann für andere Haare rupfen, in die Wand boxen, aber auch zu viel trinken sein. 

Warum ich mir selbst etwas antue, können Außenstehende oft nicht nachvollziehen. Ich verstehe das: Wieso sollte ich mir selbst Schmerzen zufügen und dabei Narben hinterlassen, die nicht unserer Norm von Ästhetik entsprechen? Als ich jung war, habe ich es selbst nicht verstanden. Die Scham und die Verwirrung nach der Tat waren für mich oft schlimmer als der Schmerz und der Anblick der Wunden selbst. Ich habe einen Psychotherapie-Marathon hinter mir, um die Motive für mein eigenes Verhalten zu entdecken. 

Selbstverletzendes Verhalten: “Ich bin nicht Google!”

Ob ich mich geschnitten habe, weil ich damit von meinem seelischen Schmerz ablenken wollte, mich das entspannt hat oder damit mein Bedürfnis nach Hilfe ausdrücken wollte: dich geht das nichts an. Wenn ich meine Narben im Sommer mittlerweile unbeschwert auf meinem Körper zeige, heißt es oft: “Was hast’n da gemacht?” oder “Wie alt warst du da?”. Menschen verstehen nicht, dass meine Narben Relikte intimer Geschichten sind, die ich nicht im Alltag auspacken möchte. Es ist nicht meine Aufgabe, dich über Selbstverletzendes Verhalten zu belehren. Ich bin nicht Google. 

Ebenso unangenehm sind Menschen, die denken, sie müssten sich mir gegenüber betroffen zeigen und Hilfe leisten. Das ist nicht nur unpassend, sondern auch übergriffig. Auch wenn du es nett meinst: ich habe nicht nach deinem Rat gefragt. Selbstverletzung passiert in kurzen Episoden emotionaler Hochspannung, die auch wieder vorbeigehen. Ich bin nicht 24 Stunden am Tag im Selbstzerstörungsmodus. Auch für Menschen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung gibt es Phasen, in denen sie funktionieren wie jeder andere Mensch. Wenn ich gute Laune habe, nimmst du sie mir, wenn du ein Kriseninterventionsgespräch führen willst oder meinst, mir eine Diagnose stellen zu müssen. Versuche nicht, mir zu erklären, “wie ich da wieder rauskomme” und schlage mir keine Alternativen zu meinem Verhalten vor. Ich weiß besser als du, wie ich mit meiner Erkrankung umgehen muss, immerhin beschäftige ich mich seit 16 Jahren damit. 

Narben durch Selbstverletzung: Wenn du nicht weißt, was du sagen sollst, sei einfach still

Menschen müssen es nicht überspielen, wenn sie von meinen Narben verunsichert sind. Das verärgert mich nicht. Für Fragen bin ich offen –  es kommt nur darauf an, wie und wann sie gestellt werden. Wenn du ehrliches Interesse zeigst und mich in einem ruhigen Moment zur Seite nimmst, freue ich mich manchmal auch darüber. Ebenso musst du allerdings akzeptieren, wenn ich auch dann keine Lust habe, über meine SVV-Narben zu reden. 

Am liebsten ist mir jedoch, wenn du meine Narben einfach ignorierst und mir mit dem gleichen Respekt begegnest, den du auch anderen Menschen ohne Narben entgegenbringst. Die oberste Faustregel lautet: Wenn du nicht weißt, was du sagen sollst, sei einfach still. Du kannst dir gern deinen Teil dazu denken, das interessiert mich nicht. Natürlich sind meine Narben ein Teil meines Lebens und meiner Identität. Ich möchte aber selbst darüber entscheiden, wann ich oder meine Mitmenschen sich damit beschäftigen. 

Ich selbst habe heute Strategien entwickelt, wie ich anders mit der Flut an Emotionen umgehe, die Borderline-Betroffene empfinden, wenn sie zu Selbstverletzung greifen. Das ist allerdings nicht immer leicht. Alte Laster verlernt man nicht von heute auf morgen. Ich bin aber stolz, dass ich diese erdrückende Scham heute nicht mehr empfinde und meinen Körper so akzeptiere, wie er ist. Bitte tu das auch.

Hilfe bei selbstverletzendem Verhalten und in Krisensituationen:

  • Rat auf Draht
  • Suizidprävention: Hier findest du Notrufnummern und Erste Hilfe bei Suizidgedanken.
  • Telefonseelsorge 142, täglich, von 0 bis 24 Uhr.
  • Kriseninterventionszentrum: 01/406 95 95 (Montag bis Freitag, 10–17 Uhr)
  • Sozialpsychiatrischer Notdienst / PSD täglich von 0 bis 24 Uhr: Tel.: 01/31330.

 

 

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