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Gesundheit

Spielsucht in Österreich: Wie der rechtliche Kampf um verlorene Einsätze selbst zum Glücksspiel wird

Ansicht einer Reihe von Spielautomaten.
Spielsucht ist eine psychische Krankheit. Doch die Diagnose reicht oft nicht aus, um verlorene Einsätze zurückzubekommen.

Wer an Spielsucht leidet, kann in Österreich seine verlorenen Einsätze vor Gericht einklagen. Doch ob man sein Geld zurückbekommt oder nicht, erweist sich aber oft selbst als Glücksspiel.

Fast 50 Jahre lang war die heute 76-jährige Gertraude Lampl mit ihrem Mann verheiratet, als er an Leukämie erkrankt. Das letzte halbe Jahr seines Lebens ist er ein schwerer Pflegefall, um den sie sich mit der Hilfe ihrer drei Kinder kümmert. Als ihr Mann im August 2011 stirbt, ist Gertraude alleine in ihrem Haus in Niederösterreich. Die Kinder führen ihr eigenes Leben. “Nach dem Tod ihres Mannes kam es zu einem Erschöpfungssyndrom und zur Ausbildung einer schweren depressiven Episode.” So wird es später in einem psychologischen Attest stehen. Hier beginnt Gertraudes Kampf mit der Spielsucht.

Sie habe sich an die Besuche im Casino mit ihrem Mann und Freunden erinnert, erzählt ihr Sohn. An den Spaß, den sie dort gemeinsam hatten. Und so fährt Gertraude kurz nach dem Tod ihres Mannes wieder in das Casino nach Ebreichsdorf. Sie beginnt jetzt, regelmäßig zu spielen. “Es war angenehm, ich habe an nichts gedacht, ich habe mich ablenken können. Dann habe ich mir Geld von den Kindern ausgeborgt. Dann habe ich das Auto verpfändet“, sagt sie im Gespräch mit dem Psychologen. Sie nimmt mehrere Kredite über knapp 60.000€ auf und belügt ihre Kinder und Enkelkinder, um an Geld zu kommen.

 Erst als sie die finanziellen Forderungen nicht mehr selbst stemmen kann, beichtet sie Anfang 2013 alles ihrem jüngsten Sohn Rudi. Dieser verkauft nach Rücksprache mit den Geschwistern das Elternhaus, die Mutter zieht in eine Wohnung in seiner Nähe. Damit ist für die Familie die Situation vorerst erledigt: Gertraude ist geläutert und Vermögen hat sie schließlich keines mehr zum Verspielen. Doch nur ein Jahr später steht der Pfandleiher wieder da – Gertraude hat erneut einen Kredit über 30.000€ aufgenommen. Diesmal begibt sie sich zur Behandlung in das Anton Proksch-Institut, der größten europäischen Suchtklinik, und Rudi Lampl übernimmt die Erwachsenenvertretung – damals Sachwalterschaft – der Mutter. Ihr wird eine schwere Depression und pathologische Glücksspielsucht attestiert.

Spielsucht ist eine psychische Krankheit

Glücksspiel müsste für die meisten SpielerInnen eigentlich eher Pechspiel heißen. Und es ist ein Massenphänomen. 40 Prozent der österreichischen Bevölkerung gaben 2015 an, im vergangenen Jahr an einem Glücksspiel teilgenommen zu haben. Seit 2018 wird pathologisches Spielen von der WHO als Suchterkrankung eingestuft. Wie viele Spielsüchtige es in Österreich genau gibt, ist unklar, die einzig relevante Studie dazu liegt bereits zehn Jahre zurück. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass 1,1% der Gesamtbevölkerung, etwa 90.000 Personen, an problematischem oder pathologischem Spielverhalten leiden. 

“Alleine in Wien gehen wir momentan von 10.000 bis 12.000 Personen aus, die spielsüchtig sind”, sagt Roland Mader, der die Abteilung für Alkohol-, Medikamenten- und Spielsucht am Anton Proksch-Institut leitet. Von Spielsucht könne man grundsätzlich dann sprechen, wenn die Person mehr spielt, als ihr gut tut. “Ein wesentliches Element dabei ist der dazugehörige Kontrollverlust”, sagt er. Seine PatientInnen hätten die Casinos häufig erst dann verlassen, wenn es kein Geld mehr zu verspielen gab, so Mader. 

Mangelnder SpielerInnenschutz 

Diesen Kontrollverlust hat auch Gertraude Lampl erlebt, fast 100.000€ hat sie in weniger als drei Jahren in einem einzigen Casino verspielt. Das sollte heute so eigentlich nicht mehr möglich sein. 2010 wurde das Glücksspielgesetz erneuert, dabei wurde der SpielerInnenschutz verstärkt. “Ich bin grundsätzlich froh, dass es so etwas überhaupt gibt”, sagt Roland Mader. Er sieht die Bestrebungen der legalen Anbieter in diesem Bereich als ausreichend an. 

Ganz anders sieht das Christoph Holubar, Sprecher des Vereins Spielerhilfe. Er kritisiert, dass kaum sinnvolle Schritte gesetzt wurden. “Ganz wesentlich wäre die Schaffung einer zentralen Sperrdatenbank, die eigentlich im neuen Gesetz festgeschrieben wurde. Wenn ich mich derzeit als Spieler sperren lasse oder gesperrt werde, kann ich nämlich einfach in das Casino gegenüber spazieren und dort weiterspielen”, sagt Holubar. 

Doch diese Sperrdatenbank gibt es immer noch nicht. Aus dem Finanzministerium hieß es dazu in einer Antwort auf eine parlamentarischen Anfrage, dass sich der Prozess als “komplex” erweise. Mit den Casino-Betreibern kam es zu keiner Einigung. Daher “hat das Bundesministerium für Finanzen im Jahr 2019 begonnen an einer alternativen Umsetzung zu arbeiten.” Es seien schon Arbeitsgruppen dazu gegründet worden. Ursprünglich wollte man den Aufbau dieser Datenbank also den Anbietern selbst überlassen – in dem Wissen, dass sie diesen, finanziell gesehen, natürlich schadet.

Eine bereits umgesetzte Maßnahme, um SpielerInnen zu schützen, ist die Bonitätsprüfung. Casinos sind verpflichtet, die Spieleinsätze und -verluste der BesucherInnen zu beobachten. Nehmen sie eine Gefährdung wahr, können sie Auskunft über die Bonität der SpielerInnen einholen. “Doch oft sieht man finanzielle Belastungen erst zeitverzögert. Diese Auskunft ist also nur eine Momentaufnahme”, sagt Holubar. Und auch wenn diese Prüfung anschlägt, gäbe es meistens nur geringe Konsequenzen. Man werde zu einem Gespräch über die Gefährlichkeit des Spielens eingeladen, in weiterer Folge könnten die Casinos Besuchsbeschränkungen aussprechen. “Wir wissen von einem Fall, bei dem die Person die Auflage bekam, dass sie nur mehr acht Mal im Monat dort spielen durfte. Das ist doch kein Schutzmechanismus”, sagt Holubar.

Glücksspielanbieter finanziell stark involviert

Sein Verein Spielerhilfe setzt sich aus ehemals Spielsüchtigen zusammen. Gegründet wurde er auch deswegen, weil die Mitglieder häufig selbst Verstöße der Casinos beim SpielerInnenschutz erlebt hatten. Bis heute würde dieser in Österreich kaum funktionieren. 

Dabei gibt es internationale Vorbilder. Die zentrale Sperrdatenbank wurde in manchen Ländern schon umgesetzt. Dazu gibt es etwa in Deutschland und der Schweiz die Möglichkeit der Fremdsperre: Dabei können Angehörige Familienmitglieder sperren lassen, wenn eine Glücksspielsucht oder eine finanzielle Notsituation herrscht. Und in Norwegen gibt es verpflichtende personengebundene Spielerkarten mit Einsatzlimits und Sperrfunktion.

Die Spielerhilfe kritisiert auch, dass die Glücksspielanbieter bei eigentlich unabhängigen Institutionen finanziell viel zu stark involviert seien. Dazu gehören etwa die Spielsuchthilfe Wien, die Universität Wien und auch das Anton Proksch-Institut. Das geht aus der Spendenliste der Konzessionäre hervor, auf der das Anton Proksch- Institut unter den Spendenempfängern der Admiral Casinos aufscheint. Doch laut dem Institut handle es sich hierbei um eine missverständliche Zuweisung: Die Zahlungen betreffen Schulungen für MitarbeiterInnen der Casinos, die dem SpielerInnenschutz dienen sollen. “Manche Einrichtungen können auch nur durch solche Spenden existieren”, sagt Roland Mader. Diese Zahlungen müssen also nicht immer problematisch sein – gutes Bild geben sie aber keines ab.
 

Was passiert, wenn der SpielerInnenschutz nicht greift, musste Rudi Lampl die letzten Jahre erfahren. Nachdem ein psychologisches Gutachten seiner Mutter die Geschäftsfähigkeit abspricht und er ihre Erwachsenenvertretung übernimmt, verzichtet eine Bank auf die Rückzahlung des Kredites. Eine zweite klagt jedoch die Forderung vor Gericht ein. Ein weiteres Gutachten wird erstellt, darin wird Gertraude Lampl zwar Geschäftsfähigkeit bei der Aufnahme von Krediten, nicht jedoch bei Glücksspiel zuerkannt. Die Bank senkt zumindest die Zinsen von 10% auf 4%, zurückzahlen muss die Familie den Kredit dennoch. Auch die Anwaltskosten muss Rudi Lampl erstatten. “Das war der erste Punkt, an dem ich mir dachte, dass man sich Recht und Gerechtigkeit erst leisten muss”, sagt er. 

Die Klage wird zum Glücksspiel

Er entschließt sich Anfang 2020, den Casinobetreiber auf Rückzahlung der beweisbaren Spieleinsätze zu verklagen. Das ist grundsätzlich in zwei Fällen möglich: Wenn Betreiber ihre Sorgfaltspflicht verletzen, etwa bei Unterlassung einer ausreichenden Bonitätsprüfung. Oder wenn eine partielle Geschäftsunfähigkeit wegen Spielsucht vorliegt – und die wurde Gertraude Lampl bereits zwei Mal attestiert. Kurz nach Beginn des Gerichtsprozesses bietet das Casino an, 15% der verlorenen Einsätze zu erstatten. Doch das hätte die offenen Schulden bei weitem nicht abgedeckt, Rudi Lampl lehnt das Angebot ab. Das Gericht verlangt nach einem Gutachten, welches die Geschäftsfähigkeit von Gertraude Lampl überprüfen solle – obwohl es schon zwei Atteste gibt, die beide gerichtlich angeordnet wurden. Sieben Jahre sind seit den Vorfällen inzwischen vergangen.

Das sei grundsätzlich nicht unüblich, sagt Julia Eckhart. Die Anwältin hat schon in mehreren Fällen Spielsüchtige vor Gericht gegen Casinobetreiber vertreten. RichterInnen hätten einen Ermessensspielraum und könnten selbst darüber entscheiden, ob sie neue Atteste bräuchten. Das Problem liege bei den Gutachtern. “Einige sind der Ansicht, dass Spielsucht alleine nie zu partieller Geschäftsunfähigkeit führen kann”, so Eckhart. Ob man als spielsüchtige Person auf eine Rückzahlung hoffen kann, ist also häufig ein Glücksspiel, ob man die richtigen GutachterInnen bekommt.

Trotz Spielsucht keine Geschäftsunfähigkeit

“Uns war egal, wer als Gutachter ausgewählt wird. Es gab ja schon diese zwei Atteste, die eine partielle Geschäftsunfähigkeit belegen”, sagt Rudi Lampl. Umso fassungsloser ist er, als der das Ergebnis des dritten Gutachtens erfährt: Gertraude Lampl war demnach zwar zweifellos spielsüchtig und litt auch an einer Depression, “aber eine tatsächliche Geschäftsunfähigkeit lässt sich davon nicht ableiten.” 

Im Nachhinein sei dem Sohn eigenartig vorgekommen, wie die Gegenseite auf die Auswahl des Gutachters reagiert habe. “Er hat mit einem Lächeln gemeint: ‘Ja, den kenne ich gut’”, so Lampl. Auch Julia Eckhart erkennt den Namen des Gutachters. Er entscheide bei Spielsüchtigen grundsätzlich nicht auf partielle Geschäftsunfähigkeit. Sie habe mit ihm schon vor Gericht darüber diskutiert. “Es ist doch die Definition der Sucht, nicht mehr frei entscheiden zu können”, so Eckhart. Der Gutachter blieb auch damals bei seiner Meinung. 

Ohne Geschäftsunfähigkeit keine Rückzahlung: Die Klage von Rudi Lampl wird abgewiesen. Er muss die Anwaltskosten der Gegenseite von 12.000€ bezahlen, auch auf den Schulden bleiben er und seine Mutter sitzen. Die weiß davon allerdings noch nichts: “Meine Mutter ist in einem schlechten gesundheitlichen Zustand. 2014 erlitt sie am Todestag meines Vaters einen Herzinfarkt, 2018 einen Schlaganfall. Ich habe Angst was passiert, wenn ich es ihr sage”, sagt Rudi Lampl.

An diese Stellen kannst du dich wenden, wenn du selbst oder jemand aus deinem Umfeld spielsüchtig ist:

 

 

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