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Demokratie

Blau-Schwarzer Kahlschlag im Sozialbereich: Protest in der Steiermark

Blau-Schwarzer Kahlschlag im Sozialbereich: Protest in der Steiermark
Eine Pressekonferenz der Initiative #steiermarkretten (Foto: (C) Steiermarkretten.at)
Die Landesregierung aus FPÖ und ÖVP streicht zahlreichen Sozialprojekte in der Steiermark ihre Förderungen. Viele Leistungen stehen auf dem Spiel. Und alles kam sehr plötzlich. Ein Vertrauensbruch, der Protest auslöst.

Noch vor wenigen Wochen erschütterte ein tödlicher Amoklauf die Steiermark. Sofort drehte sich die gesellschaftliche Debatte um psychische Gesundheit, Gewaltprävention und soziale Verantwortung. Doch anstatt die Unterstützungsstrukturen zu stärken, folgte ein Schritt, der viele fassungslos zurückließ: die Kürzung von Sozialförderungen in Millionenhöhe.

Die Kürzungen im steirischen Sozialbereich betreffen rund 40 Organisationen, darunter Caritas, VinziWerke, Megaphon, ZEBRA, die Antidiskriminierungsstelle Steiermark, ISOP, die AIDS-Hilfe Steiermark, Mafalda und die RosaLila PantherInnen. Diese Einrichtungen verlieren mit 1. Juli 2025 teilweise oder vollständig ihre Förderungen, was ihre Arbeit in Bereichen wie Gewaltprävention, Integration, Antidiskriminierung und psychosozialer Beratung erheblich einschränkt oder sogar zum Erliegen bringt.

Die Entscheidung der steirischen Landesregierung unter Führung von FPÖ und ÖVP, kurzfristig 2,5 Millionen Euro im Sozialbereich zu streichen, kam am Freitag, dem 13. Juni – per E-Mail. Zwei Wochen vor Inkrafttreten und nach den öffentlichen Beileidsbekundungen sehr überraschend für viele. Keine Gespräche im Vorfeld, keine nachvollziehbaren Kriterien, keine Erklärung außer “es fehlt das Geld”. Betroffene Organisationen sprechen von einem beispiellosen Schritt – und einem fundamentalen Vertrauensbruch.

Gewaltprävention auf dem Prüfstand

Die Brisanz der Kürzungen zeigt sich auch vor dem Hintergrund des jüngsten Amoklaufs in der Steiermark. In einer Zeit, in der Gewaltprävention mehr denn je in den Fokus rücken müsste, wird ausgerechnet in diesem Bereich gespart. Die Entscheidung der Landesregierung wirkt für Betroffene und Außenstehende in diesem Kontext nicht nur widersprüchlich, sondern gar gefährlich kurzsichtig.

„Das ist ein Statement, dass man unsere Arbeit nicht mehr will“ 

Antidiskriminierungsstelle Steiermark

Daniela Grabovac, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle Steiermark zeigt sich betroffen: „Das ist ein politisches Statement: Antidiskriminierungsarbeit und Extremismusprävention sind dem Land offenbar nicht wichtig.“

Sie zählt auf, was künftig nicht mehr möglich ist: „Wir bearbeiten Altersdiskriminierung, Rassismus, Hass im Netz. All das fällt ab Juli weg. Die App zur Meldung von Hasspostings wird eingestellt. Wir können keine Menschen mehr zu Gerichtsverhandlungen begleiten.” Die Übergangsfinanzierung der Stadt Graz überbrücke nur einige Wochen. „Viele Kolleg:innen wurden gekündigt. Wir versuchen zwar, über den Sommer noch weiter zu beraten – aber ab August ist Schluss.“ 

Gewaltschutz für Mädchen und Frauen wird eingeschränkt

Auch das Mädchenprojekt Mafalda ist betroffen:

„Es wurde uns zunächst gesagt, dass der Bereich der Gewaltprävention nicht angegriffen werde. Jetzt sind auch wir von Kürzungen betroffen – konkret im Bereich der Gewaltprävention für Mädchen und junge Frauen. Das ist beängstigend.“

Marianne Baumgartner

Besonders belastend sei, dass die einzige bestehende Förderung für 2026 nun ebenfalls infrage steht. „Wir wissen schlicht nicht, ob wir nächstes Jahr noch arbeiten können.“

„3.000 Menschen, 20 Gemeinden – das fällt alles weg“ – ZEBRA

Auch das interkulturelle Beratungszentrum ZEBRA ist betroffen. Geschäftsführerin Alexandra Köck berichtet:

„Wir müssen drei Angebote einstellen, die wir über zehn Jahre aufgebaut haben und das betrifft sehr viele Menschen in der ganzen Steiermark. Rund 3.000 Personen verlieren ihre Beratung. Wir hatten ein Programm für Gemeinden zur sozialen Teilhabe. 20 steirische Gemeinden haben wir betreut. Das ist gestrichen. Auch die Patenschaften für unbegleitete minderjährige Geflüchtete und unsere fremdenrechtliche Beratung fallen weg.“ 

Weiter führt sie aus: „Die Auswirkungen haben eine gewaltige Dimension. Was mir auch wichtig ist: Das alles ist professionelle soziale Arbeit. Die fremdenrechtliche Beratung ist ein Beispiel für hochspezialisierte Tätigkeit, bei der wir eng mit Behörden zusammenarbeiten. Das betrifft alle, die mit diesen Themen zu tun haben. Ab Juli gibt es dafür keine Förderung mehr – damit müssen wir auch Menschen wegschicken.“

„Wenn ich möchte, dass es uns nicht mehr gibt, kürzt man die Basis“

RosaLila PantherInnen

Joe Niedermayer, Obmann der RosaLila PantherInnen, beschreibt die Situation als Hinstellen von vollendeten Tatsachen: „Am Freitag, den 13., kam das berüchtigte E-Mail. Im ersten Moment wollten wir nicht an die Öffentlichkeit gehen, weil wir zunächst das Gespräch suchen wollten. Jetzt aber ging alles plötzlich und sehr drastisch. Das ist eine neue Qualität.“

Unter den Kürzungen leiden vor allem niederschwellige Bildungsangebote wie Schulworkshops, psychosoziale Beratungen, die Live-Chat-Beratung, administrative Infrastruktur sowie Angebote zur Community-Arbeit. Die RosaLila PantherInnen finanzieren sich nicht nur über Landesmittel, sondern auch über Spenden und selbstorganisierte Events wie den CSD, den Tuntenball oder die Fagtory. „Das macht uns in dem Fall unabhängiger – und wir sind das Kämpfen gewohnt.“

Trotzdem sei es ein harter Schlag: „Allein heuer fehlen uns 40.000 Euro, im nächsten Jahr 70.000 Euro.“ Besonders fatal sei die Kürzung der Basisförderung. „Fördermanagement ist eine eigene Wissenschaft. Man braucht Basis- und Projektförderungen. Wenn man die Basis streicht, kann man ja gar keine Projekte mehr umsetzen. Das ist technisch einfach unlogisch.“

Diese Form der Kürzung ist für ihn nicht zufällig: „Wenn ich der Meinung bin, ich möchte die RosaLila PantherInnen weghaben, dann kürzt man nicht ein Projekt, sondern die Basis. Das ist eine politische Entscheidung.“ Die große Hoffnung sei die nächste Wahl. „Aber man muss sagen: Die Mehrheit in der Steiermark – nicht die Stadt Graz selbst – steht leider hinter dieser Politik. Das Wort ’sozial‘ ist nichts Positives mehr – weil die FPÖ es ideologisch umgedeutet hat.“

Migrant:innenbeirat: „Diese Entscheidung gefährdet uns alle“

Auch der Migrant:innenbeirat der Stadt Graz äußerte sich in einer ausführlichen Stellungnahme. Dort heißt es: Die Kürzungen gefährden die Stabilität, Kontinuität und Wirksamkeit lebenswichtiger sozialer, kultureller und humanitärer Angebote. Besonders kritisiert wird, dass NGOs seit Jahren Aufgaben übernehmen, für die staatliche Strukturen nicht ausreichen – etwa in der Wohnungslosigkeit, Gewaltprävention, Inklusion, psychosozialen Beratung und Jugendarbeit.

Die Aussage ist klar: „Eine Gesellschaft, die ihre Schwächsten schützt, sichert auch ihre eigene Zukunft.“ Die Landesregierung solle ihren Kurs überdenken – es gehe hier nicht um Luxus, sondern um unser demokratisches Fundament.

Bündnis ruft zur Solidarität auf

Am Dienstag (1. Juli) um 18:00 findet im Grazer Stadtpark eine Solidaritätskundgebung statt. Unter dem Hashtag #steiermarkretten formiert sich ein wachsendes Bündnis. Das Bündnis fordert alle betroffenen Organisationen auf, sich zu vernetzen und gemeinsam aktiv zu werden.

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