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Demokratie

Erinnerungskultur: "Straßennamen sind eine mächtige Form der Anerkennung"

Das Karl-Lueger-Denkmal in Wien wurde besschmiert mit dem Wort "Schande".
Das Karl-Lueger-Denkmal in Wien ist sehr umstritten. Aus Protest wurde es beschmiert und das Wort "Schande" draufgeschrieben.
Immer wieder wird über den Umgang bzw. die Existenz von Denkmälern oder Straßennamen mit nationalsozialistischem Hintergrund diskutiert. Wieso halten viele Leute an den Namen und Denkmälern fest, die Nationalsozialist:innen, SA- und SS-Leute ehren? Und wie erinnert man sich angemessen an die Geschichte und die Gräueltaten der Vergangenheit? Das erklärt Renée Winter vom Institut für Zeitgeschichte an der Uni Wien im Gespräch mit MOMENT.

Das Karl-Lueger-Denkmal in Wien ist ein bekanntes Beispiel für umstrittene Denkmäler. Manche wollen es abreißen, andere wollen weitere ergänzende und erläuternde Tafeln anbringen. In Salzburg wird seit Jahren diskutiert, wie man mit den vorhandenen Straßennamen zu Ehren von Nationalsozialist:innen umgehen soll. Die SPÖ schlug eine Bürgerbefragung vor, ob 13 Straßen, die die Historikerkommission als schwer belastet eingestuft hat, umbenannt werden sollen oder nicht. Nun hat Bürgermeister Harald Preuner (ÖVP) eine knappe politische Mehrheit gefunden, die gegen eine Umbenennung der Straßen ist. Offenbar soll keine umbenannt werden und in nur vier Fällen soll es Zusatztafeln mit Erläuterungen geben.

 
Renée Winter vom Institut für Zeitgeschichte an der Uni Wien spricht darüber, wie wir uns angemessen an die Gräuel des Nationalsozialismus erinnern.

Renée Winter vom Institut für Zeitgeschichte an der Uni Wien spricht darüber, wie wir uns angemessen an die Gräuel des Nationalsozialismus erinnern. Foto: Marion Wittfeld

 
MOMENT: Denkmäler von oder Straßen mit Namen von Nationalsozialist:innen sind in Österreich keine Seltenheit: Warum wird immer noch diskutiert, ob man das ändern sollte?

Renée Winter: Weil es erstens diese Straßennamen immer noch gibt und zweitens Geschichte ein konflikthaftes Feld ist, in dem Akteur:innen mit verschiedenen politischen Interessen – und unterschiedlich verteilter Macht – agieren.

Bei Straßennamen und Denkmälern geht es neben dem öffentlichen Erinnern an bestimmte Personen ja auch um eine Ehrung, es geht um Symbolik, es geht darum, wer und welche Personen im öffentlichen Raum auf welche Art und Weise repräsentiert sind. Straßennamen und Denkmäler sind eine vergleichsweise mächtige Form der Anerkennung. Und wesentlich sichtbarer als zum Beispiel Gedenktafeln.

Straßennamen und Denkmäler sind eine vergleichsweise mächtige Form der Anerkennung.

 

MOMENT: Ein konkretes Beispiel dazu ist Salzburg. Es gibt seit Jahren eine Debatte um die Straßennamen zu Ehren von Natioalsozialist:innen. Nun hat Bürgermeister Harald Preuner eine knappe Mehrheit gefunden, die gegen eine Umbenennung ist. Weshalb beharren offenbar viele Menschen auf die Namen?

Winter: Es geht bei den Benennungen und Umbenennungen eben auch um Machtfragen und Interessen. Bei vielen der Personen handelt es sich ja um welche, die nach 1945 öffentliche Funktionen und anerkannte Positionen oder klingende Namen hatten – wie zum Beispiel Ferdinand Porsche – oder denen, wie Herbert von Karajan, fast nationale Verehrung zuteilwurde und die zu einem österreichischen Aushängeschild wurden.

Umbenennungen bedeuten dann auch, sich der eigenen Geschichte oder der Geschichte der eigenen Zugehörigkeits-Gruppe oder politischen Partei zu stellen. Es heißt somit auch, selbstkritisch frühere Wertigkeiten und Positionen infrage stellen zu können. Was aber letztlich auch sein kann, ist, dass viele Menschen schlichtweg kein Problem mit Nazi-Straßennamen haben.

 

MOMENT: Erst kürzlich hatte in Salzburg die SPÖ noch vorgeschlagen, die Bürger:innen zu befragen, ob die Straßen umbenannt werden sollen oder nicht. Was halten Sie von einer solchen Bürgerbefragung?

Winter: Ich sehe dabei zwei Probleme: Erstens ist es schwierig, Mehrheiten über historische Symboliken entscheiden zu lassen, die Minderheiten abwerten oder verletzen. Insbesondere in einer Nachfolgegesellschaft des nationalsozialistischen Regimes wäre das ja besonders perfid, wenn die Entscheidung, ob Verfechter und Vertreter desjenigen Regimes, das Millionen von Menschen verfolgt und ermordet hat, geehrt werden sollen, von einer Mehrheit getroffen werden soll.

Es ist schwierig, Mehrheiten über historische Symboliken entscheiden zu lassen, die Minderheiten abwerten oder verletzen.

Das zweite Problem betrifft die Frage, auf welcher Grundlage die Menschen diese Frage beantworten sollten. Der Schlussbericht der Historiker:innen zu den Straßennamen in Salzburg hat über 1.000 Seiten, der Großteil davon befasst sich detailliert mit den Biografien der geehrten Personen. Da müsste es Überlegungen dazu geben, wie dieses Wissen vermittelt werden kann.

 

MOMENT: Sie haben von einer mächtigen Form der Anerkennung gesprochen. Sind Denkmäler von und Straßennamen mit Nationalsozialist:innen automatisch Verherrlichung, oder lassen sie sich auch umfunktionieren – als Erinnerung und Mahnung der Geschichte?

Winter: Es gab beispielsweise zum Lueger-Denkmal 2011 einen Wettbewerb, in dem viele Vorschläge zur Umdeutung präsentiert wurden, unter anderem die Übergießung mit einem gigantischen Punschkrapfen oder verschiedene Arten, das Denkmal zu kippen oder umzulegen. Ich denke, wenn eine Umfunktionierung gelingen sollte, dann müsste durch sie eine Verehrung verunmöglicht werden.

Aber viel besser fände ich, das Denkmal wie es ist – auch mit seinen Spuren der aktuellen Auseinandersetzungen („Schande“) – ins Museum zu stellen, dort gut zu kontextualisieren und sich etwas anderes für diesen öffentlichen Platz zu überlegen. Zum Beispiel ein Denkmal für jüdische Widerstandskämpfer:innen, eines für Jura Soyfer oder ein Josephine-Soliman-Denkmal. Eine Josephine-Soliman-Straße wird von Schwarzen Aktivist:innen in Wien schon seit über zehn Jahren gefordert. Oder eines für Seibane Wague, der ganz in der Nähe 2003 bei einem Polizei- und Rettungseinsatz getötet wurde.

Ein Denkmal für jüdische Widerstandskämpfer:innen, eines für Jura Soyfer oder ein Josephine-Soliman-Denkmal.

 

MOMENT: Dabei geht es ja um die Frage, wie man angemessen an historische Gräuel, besonders der Zeit des Nationalsozialismus, erinnert?

Winter: Sicher nicht, indem Denkmäler von Täter:innen bewahrt werden. Grundsätzlich sollten Nachkommen von Opfern und Betroffene von historischen und aktuellen Gräueln in diesen Fragen als geschichtspolitische Akteur:innen eine wichtige Rolle spielen. Darüber hinaus braucht es als Grundlage für Gedenken sehr viel Auseinandersetzung. Wichtig ist, neben baulichen Thematisierungen im öffentlichen Raum, dass die historische Forschung und insbesondere die Vermittlungsarbeit dazu angemessen berücksichtigt und finanziert werden. Historische Bildungsarbeit sollte sich nicht nur auf die Schule, und da nicht nur auf die AHS, konzentrieren, sondern breit aufgestellt sein und dort ansetzen, wo Menschen leben. Diese ganz konkrete Ebene betrifft dann auch Straßennamen.

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