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Gesundheit

"Tötet Cola nach dem Sex Spermien?": Der schlechte Zustand der Sexualpädagogik an Österreichs Schulen

Cola tötet Sperma ab? Und beim ersten Mal wird man eh nicht schwanger? Jugendliche sind oft nicht gut aufgeklärt. Sexuelle Bildung fängt nicht erst mit der Pubertät an, sondern sollte uns als Sexualpädagogik ein Leben lang begleiten. Zu wenig Geld, fehlende pädagogische Expertise, ausbleibende Konzepte: Wo es in Österreichs Schulsystem hakt, was sexualpädagogische Vereine machen und was es mit dem neuen Akkreditierungsverfahren auf sich hat. 

Wie muss Sexualpädagogik und sexuelle Bildung in Schulen aussehen? Im Grundsatzerlass für Sexualpädagogik finden sich Richtlinien dazu, die Zielsetzungen kommen von der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Und das heißt unter anderem: Einen positiven Zugang zu Sexualität vermitteln, Geschlechterrollen hinterfragen, über sexuelle Gewalt aufklären und dabei eine selbstbestimmte Sexualität ermöglichen.

Aufgedeckt: Die fünf häufigsten Verhütungsmythen 

Ein Fünftel der Jugendlichen verwendet beim ersten Mal kein Verhütungsmittel. Vor allem Buben wissen sehr wenig über Verhütung und den weiblichen Zyklus, verlassen sich auf den Coitus Interruptus oder die „Pille danach“. Die Jugendfachstelle LOGO nennt die fünf häufigsten Falschannahmen über Verhütungsmethoden. Wir stellen sie im Laufe dieses Artikels vor.

Verhütungsmythos #5: Beim Sex im heißen Wasser kann „nichts passieren“. 

Falsch! Heißes Wasser kann zwar die Qualität von Spermien verschlechtern, zeugungsfähig bleibt Mann trotzdem. 

Sexuelle Bildung mit Aufholbedarf

„In der sexuellen Bildung an Schulen gibt es Aufholbedarf. Vor allem in der LehrerInnenausbildung, da gehört Sexualpädagogik unbedingt hinein”, sagt Stefanie Rappersberger, Sexualpädagogin und Vorstandsmitglied des Vereins Plattform Sexuelle Bildung. Nur wenige LehrerInnen hätten aber eine sexualpädagogische Ausbildung. Und wenn, dann machen sie die auf Eigeninitiative. 

„SchülerInnen sprechen am liebsten mit fremden ExpertInnen, die sie nicht benoten und bei denen sie anonym sind.“ – Stefanie Rappersberger

 
Mag.a Stefanie Rappersberger ist Sexualpädagogin

Mag.a Stefanie Rappersberger ist Sexualpädagogin und Vorstandsmitglied der Plattform Sexuelle Bildung. Sie gibt Workshops an Schulen. 

Foto: Toni Rappersberger 

Verhütungsmythos #4: Kondome braucht man erst ab 16 Jahren. 

Nope! Auch davor muss man sich damit vor Krankheiten und ungewollten Schwangerschaften schützen. 

ExpertInnen müssen her

Um die Wissenslücken an den Schulen zu schließen, kommen externe sexualpädagogische ExpertInnen ins Spiel. Sie beschäftigen sich intensiv mit ihrem Fachbereich und arbeiten nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Das soll zumindest ein neues Akkreditierungsverfahren sicherstellen, das voraussichtlich ab Herbst in Österreich in Kraft tritt.

Erfüllen sexualpädagogische Vereine österreichische und internationale Standards, werden sie für die Arbeit an Schulen zugelassen. Das Verfahren soll Schulen und Lehrpersonen die Sicherheit geben, dass sie es mit einem seriösen und fortschrittlichen Verein zu tun haben. Für Unmut und Verwirrung hat 2018 der Fall des Vereins TeenStar gesorgt, der Homosexualität als “heilbar” und Selbstbefriedigung als “schädlich” propagiert haben soll. Als „Übergangslösung“ gibt es seit 2019 sogenannte “Clearingstellen”, die Schulen in der Wahl des richtigen Vereins unterstützen sollen.

“Wer professionell und qualifiziert und nach internationalen Qualitätskriterien arbeitet, hat beim Akkreditierungsverfahren nichts zu befürchten,” so Rappersberger. 

Verhütungsmythos #3: Frau und Mann können die Pille abwechselnd nehmen. 

Nein! Nur die Frau nimmt die Anti-Baby-Pille. Bei den meisten Produkten muss  das täglich und zur gleichen Zeit passieren. 

Ist doch peinlich

„SchülerInnen sprechen am liebsten mit fremden ExpertInnen, die sie nicht jeden Tag sehen, die sie nicht benoten und bei denen sie anonym sind,“ erzählt Rappersberger aus langjähriger Erfahrung. „Ein abgerundetes Gesamtkonzept mit sexualpädagogisch sensibilisiertem Lehrpersonal, innerschulischen Ansprechpersonen und externen Vereinen wäre wünschenswert.“

Das sieht auch Bettina Weidinger so. Sie ist Sexualpädagogin und pädagogische Leiterin der Instituts für Sozialpädagogik. “Frühkindliche Sexualität wird oft ignoriert. Damit erschwert man jungen Menschen die  Kompetenzentwicklung in Bezug auf Sexualität. Und wenn die Kinder zu Jugendlichen werden, dann gibt man ihnen ein paar Broschüren, macht einen Workshop und zwingt sie zur „Aufklärung“ in eine ärztliche Ordination. Und dann sollen sie sich bitte sexuell so verhalten, wie es die Gesellschaft gerne hätte”, sagt Weidinger. Dennoch seien Workshops sehr wichtig: Für manche Jugendliche bieten sie den einzigen Raum zum tabulosen Austausch und für offene Fragen. 

“Themen wie Pornografie, Menstruation oder Masturbation sind nicht peinlich. Peinlichkeit wird durch die Haltung der ReferentInnen vermittelt – oder eben nicht”, sagt Weidinger. Und dazu braucht es ausgebildete SexualpädagogInnen, für die diese Themen normal sind. 

„Wenn die Kinder zu Jugendlichen werden, dann gibt man ihnen ein paar Broschüren, macht einen Workshop und zwingt sie zur „Aufklärung“ in eine ärztliche Ordination. Und dann sollen sie sich bitte sexuell so verhalten, wie es die Gesellschaft gerne hätte.” – Bettina Weidinger 

 
Bettina Weidinger ist Sexualpädagogin

Bettina Weidinger ist Sexualpädagogin und pädagogische Leiterin des Österreichischen Instituts für Sexualpädagogik. 

Foto: Nadja Meister

Verhütungsmythos #2: Zwei Kondome bieten doppelten Schutz. 

Ganz im Gegenteil: Zwei Kondome übereinander können durch die Reibung aneinander sogar leichter reißen. 

Zu wenig Geld für Sexualpädagogik 

Bisher sind Lehrpersonen EinzelkämpferInnen. Innovation und Engagement gehen meist von einzelnen Personen aus. Ein großes Problem ist, dass Schulen in Österreich kaum eigenes Budget haben, über das sie verfügen können. Dadurch richte sich die Auswahl (sexualpädagogischer) Projekte oft nicht nach Qualitätsmerkmalen, sondern nach dem Preis. Und dieser wiederum sei abhängig davon, ob diese AnbieterInnen Förderungen bekommen. Förderungen gibt es unter anderem von religiösen Gemeinschaften. 

Schulen sollten also sexualpädagogische Konzepte haben, fordert Rappersberger. Die sollen die sexualpädagogische Haltung der Schulen beschreiben. Sexuelle Bildung solle nicht an einzelnen LehrerInnen hängen bleiben. „Die LehrerInnen müssen wissen: Was bedeutet Sexualpädagogik für meine Schule? ExpertInnen könnten die Schulen in der Konzeptentwicklung unterstützen, ihre Expertise einfließen lassen.“ Und es brauche fachlich ausgebildete Ansprechpersonen, die für die Fragen und Anliegen der SchülerInnen und LehrerInnen zur Verfügung stehen. Das muss aber finanziert werden. Wenn es nach Rappersberger und Weidinger geht, braucht es einen Budgettopf vom Bund. „Wenn schon vom Bund festgeschrieben ist, dass sexuelle Bildung Teil der schulischen Erziehung sein soll, dann muss sie auch finanziert werden.“

Das ist aber nicht so: Kommen sexualpädagogische ExpertInnenteams für Workshops in eine Schule, müssen dafür oft Elternvereine oder die Schule aufkommen. Der Grundsatzerlass ist also ein guter Leitfaden; für die konkrete Umsetzung braucht es aber Geld. 

Verhütungsmythos #1: Cola und Zitronensaft töten Spermien. 

Falsch! Bitte nicht erst ausprobieren. 

Was es laut ExpertInnen braucht

  • Unterstützung und Fortbildung: Schulen sollen sexualpädagogische Workshops für LehrerInnen anbieten. Da geht es vor allem um  Gymnasien, wo viele Lehrpersonen im Gegensatz zu Volks- und Mittelschulen keine pädagogische Ausbildung haben. Schon einzelne Fortbildungstage könnten im Schulalltag helfen. 
  • Rahmenbedingungen: Schulen müssen Konzepte erstellen, die ihre sexualpädagogische Haltung transparent definieren. Idealerweise geschieht das mit Unterstützung von ExpertInnen. 
  • Geld: Schulen brauchen ein fixes Budget vom Bund, mit dem sie ExpertInnen und Vereine bezahlen und die genannten Konzepte überhaupt erstellen können.

 

 

 

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