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Kapitalismus
Demokratie

Tragen wir das "Nulldefizit" feierlich zu Grabe

Das Nulldefizit ist ein sinnloses, wirtschaftspolitisches Ziel.

Vergangene Woche hat Finanzminister Müller eine ziemlich durchschaubare Posse geliefert. Er musste einen Haushaltsbericht nach Brüssel melden und nutzte das gleich für eine kurze Pressekonferenz, in der er das Ende des Nulldefizits für 2020 ankündigte. Die WirtschaftsjournalistInnen in den Gazetten sprangen empört auf: Eine Trendumkehr sei das. Die tolle türkis-blaue Anti-Schuldenpolitik hätte fortgesetzt werden müssen – und das böse Parlament sei Schuld mit seinen rücksichtslosen Beschlüssen.

Zweck des Manövers: Um den Spielraum vor den Koalitionsverhandlungen möglichst klein darzustellen, mussten andere Zahlen her. Die renommierten Wirtschaftsforschungsinstitute IHS und WIFO blieben ungeachtet der „neuen“ Zahlen aus dem Finanzministerium bei ihrer Prognose. Noch 12 Tage zuvor war alles in Ordnung – was soll sich da in so kurzer Zeit geändert haben?

Nulldefizit: Absolut sinnlos

Doch ganz egal, ob das Budgetergebnis, wie vom Finanzminister behauptet, leicht höher oder niedriger ausfällt, sollten wir ganz grundsätzlich einmal festhalten: Ein Nulldefizit ist ein absolut sinnloses wirtschaftspolitisches Ziel. Weder sollten wir euphorisch feiern, wenn der Staatshaushalt keine zusätzlichen Kredite aufnimmt, noch ist es ein Grund zur nationalen Trauer, wenn dies doch geschieht.

Warum wollen dann alle bloß ein „Nulldefizit“, dieses Wortungeheuer des ehemaligen Finanzministers Grasser unter Schwarz-Blau I? Angela Merkel hat in Deutschland als Begründung dafür die „schwäbische Hausfrau“ erfunden, die ganz genau wisse, dass man nicht mehr ausgeben als einnehmen könne. Denn man dürfe nicht „über seine Verhältnisse leben“. Hätte die deutsche Kanzlerin aber eine echte schwäbische Hausfrau gefragt, hätte die ihr vielleicht von dem aufgenommenen Kredit für das gerade im Bau befindliche Familienhaus erzählt. Auch die verschuldete schwäbische „Häuslbauerin“ würde laut Kanzlerin wohl in „Saus und Braus“ leben, obwohl sie eigentlich nur eine grundvernünftige finanzpolitische Entscheidung trifft: Schulden aufnehmen um Vermögenswerte (ein Haus) zu schaffen und sich zukünftige Kosten (Miete) zu ersparen.

Meist ist etwas zu tun

Ein „ausgeglichenes“ Budget des Staates bedeutet nur, dass der Staat in diesem Jahr keine zusätzlichen Kredite aufgenommen hat. Das kann sinnvoll sein oder nicht. Wenn viel zu tun ist (z.B. aktuell die notwendigen massiven Investitionen in öffentlichen Verkehr für Klimaschutz oder in den Ausbau professionell organisierter Pflege), dann müssten Ausgaben und Investitionen steigen. Diese zu unterlassen wäre fahrlässig, weil es Lebensqualität, Wohlstand, Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum kostet. Und meistens ist etwas zu tun.

Ein Nulldefizit sagt uns nicht einmal, ob die Staatsschulden relativ zur Wirtschaftsleistung (Staatsschuldenquote) gerade steigen oder nicht. Während eines Wirtschaftseinbruchs beispielsweise würde die Staatsschuldenquote relativ zum Bruttoinlandsprodukt trotz eines Nulldefizits steigen, weil der Nenner (die Wirtschaftsleistung) fällt, während der Zähler (die Staatsschuld) gleich bleibt. Während eines Aufschwungs aber kann sogar ein Budgetdefizit (d.h. zusätzliche Kredite) mit einer sinkenden Quote einhergehen: Immer dann, wenn die Wirtschaftsleistung noch schneller wächst.

Das Budget bleibt politische Frage

Wie sollten wir stattdessen ein Budget bewerten, wenn nicht mit dem Nulldefizit? Ein nachhaltiges staatliches Budget muss die richtigen Ausgaben in ausreichender Höhe setzen, um den Sozialstaat (Pensionen, Gesundheit, Arbeit, Schulen, Universitäten) zu erhalten und auszubauen (Pflege) sowie höhere Ausgaben für neue gesellschaftliche Herausforderungen zu tätigen (öffentlicher Verkehr, Klimaschutz). Finanzieren lassen sich diese Ausgaben entweder durch Steuern und Abgaben oder durch Kredite. Gesellschaftliche Notwendigkeiten sollten die Leitplanke dafür sein, welche und wie viele Ausgaben getätigt werden.

Dabei ist es eine permanente politische Aufgabe, unnötige, nicht mehr benötigte Ausgaben zu streichen und neue mit finanziellen Mitteln zu bedecken. Dazu gehören auch neue und andere Steuern, die statt der Vielen jene besteuern, die viel mehr als genug haben. Genauso selbstverständlich dazu gehören auch Schulden in Form von neuen Krediten. Solange mit den Krediten Werte geschaffen werden, vererben wir unseren Kindern nämlich nicht nur einen Teil der Kredite, sondern auch das gesamte damit erbaute öffentliche Vermögen.

Überlegen wir uns daher lieber, ob uns das kommende Budget ein sorgenfreies, ausgeglichenes Leben führen lässt. Das misst sich aber an ganz anderen Zahlen: An der Zahl der KrankenpflegerInnen und ÄrztInnen beim Krankenhausbesuch, an jener der Polizeistreifen in der Nacht, an der Zahl der Kindergärten in der Umgebung.  Lassen wir den Finanzminister also um das Nulldefizit trauern, wenn er möchte. Wir hingegen überlegen uns, in welcher Gesellschaft wir in Zukunft leben wollen, und wie das Budget – die in Zahlen gegossene Politik – dafür aussehen muss.

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