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Gesundheit

"Verschwörungstheorien gehören zum Menschsein in der Krise dazu”

In der Corona-Krise werden viele Falschmeldungen und Verschwörungstheorien verbreitet - vor allem über soziale Medien und Nachrichtenapps.

Die Corona-Krise ist ein Nährboden für Verschwörungstheorien. Für manche Menschen sind sie nicht nur Theorien, sondern die “echte Wahrheit”. Das zeigte sich in den vergangenen Wochen daran, dass in mehreren Ländern 5G-Sendemasten angezündet wurden, weil sie angeblich den Virus verbreiten. Doch wer glaubt eigentlich an diese Geschichten? Und warum? Und wer profitiert davon?

Hälfte der Menschen glaubt an Verschwörungstheorien

Verschwörungstheorien sind beliebter, als man glaubt. In Europa würde schätzungsweise jeder zweite Mensch an zumindest eine glauben  – sei das nun im Zusammenhang mit 9/11, Echsenmenschen oder eben Corona. Das sagt der Historiker Claus Oberhauser von der Uni Innsbruck. Er ist Teil des Forschungsnetzwerks COMPACT, das Verschwörungstheorien dokumentiert und Informationen für den richtigen Umgang mit ihnen zur Verfügung stellt. 

Verschwörungstheorien entstehen oft in Zeiten einer Krise. Gibt es Unsicherheiten, suchen wir nach einem Grund, der dahinter stehen könnte. Eine Pandemie ist ein klassischer Anlass für so eine Krise. Die Verschwörungstheorien, die sie “erklären” sollen, beruhen oft auf kulturellen Gegebenheiten. Viele ranken sich etwa um einflussreiche Menschen. Im Falle von Corona ist das zum Beispiel Microsoft Gründer Bill Gates, dem beweislos unterstellt wird, er hätte den Coronavirus entwickeln lassen, um die Weltbevölkerung zu dezimieren. Ein Gerücht, für das es weder eine Begründung, noch Beweise gibt.

Kampf gegen “Infodemie”

Dazu kommt, dass Verschwörungstheorien auch von politischer Seite bewusst gestreut werden, um die Bevölkerung zu beeinflussen. Ein Beispiel dafür sind die 2015 besonders prominenten Verschwörungstheorien rund um die Flüchtlingskrise. Wie etwa die haltlosen Anschuldigungen gegen den US-amerikanischen Investor George Soros, er würde “Flüchtlingsströme nach Europa lenken”. Diese Verschwörungstheorie wurde vom ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán als Wahrheit dargestellt und sogar von hochrangigen FPÖ-Politikern unterstützt – ohne, dass es jemals Beweise für sie gegeben hätte. Auch damals fühlten sich manche Menschen von den neuen Entwicklungen verunsichert. Sie suchten nach einer für sie schlüssigen Erklärung und fanden sie in spekulativen Verschwörungstheorien.

“Zum Menschsein in der Krise gehören Verschwörungstheorien dazu”, sagt Oberhauser. Oft reichen schon neue Entwicklungen, die mitunter schwierig zu verstehen sind. Beispielsweise das neue mobile Datennetz 5G. WissenschaftlerInnen haben Gerüchte, dass die Strahlung von 5G-Masten für den Menschen auf irgendeine Art und Weise schädlich ist, wiederholt widersprochen. Dass diese Masten Menschen mit dem Virus infizieren, ist unmöglich. Gerüchte dazu verbreiten sich aber vor allem über soziale Medien wie Lauffeuer. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beklagt deshalb, auch gegen eine “Infodemie” kämpfen zu müssen.

Viele erkennen falsche Meldungen nicht

Soziale Medien stehen nun unter Beschuss, da sie bei der Verbreitung von Verschwörungstheorien und Falschinformationen zu spät eingreifen. Eine kürzlich erschienene Studie von ForscherInnen der Uni Wien suggeriert, dass Menschen, die ihre Nachrichten vor allem über soziale Medien wie YouTube und WhatsApp erhalten, Falschmeldungen weniger oft als solche erkennen. Die StudienteilnehmerInnen mussten angeben, ob sie falsche Aussagen wie “Die Regierung hält einen Impfstoff zurück” oder “Der Virus ist eine Biowaffe” Glauben schenken. Weniger als die Hälfte der TeilnehmerInnen erkannten alle Falschmeldungen. Etwa jedeR Achte konnten keine einzige der falschen Aussagen als solche erkennen.

Am schlechtesten schnitten jene ab, die sich vor allem über Privatfernsehen und YouTube informieren. Die meisten Falschmeldungen erkannten Menschen, die sich über den ORF und Der Standard ihre Nachrichten holen. Jetzt sind Fake News nicht gleich Verschwörungstheorien. Wer eine Aussage nicht als falsch erkennt, glaubt nicht automatisch daran, dass dahinter eine große Verschwörung steht. Diese Unsicherheit über den Wahrheitsgehalt von Aussagen zeichne allerdings ein “besorgniserregendes Bild”, schreiben die StudienautorInnen.

Verschwörungstheorien machen keinen Halt vor Bildung

Die Studienergebnisse legen auch nahe, dass viele Menschen sich schwer tun, Medien als vertrauenswürdig oder nicht zu erkennen. Das sei typisch für VerschwörungstheoretikerInnen, so der Experte Claus Oberhauser. Menschen, die das Vertrauen in etablierte Medien verlieren, wenden sich Alternativen zu. Wie etwa YouTube-Kanäle, wo sie von InfluencerInnen Bestätigung erfahren – während die an ihren Videos, Vorträgen und Büchern über die “echte Wahrheit” gut verdienen. Dieses Abwenden von etablierten Medien und damit auch von der Gesellschaft kann zu enormem Vertrauensverlust und Paranoia führen, so Oberhauser.

Der Experte warnt allerdings davor, VerschwörungstheoretikerInnen als ungebildet abzustempeln. Es gäbe nicht den einen Typ Mensch, der an Verschwörungstheorien glaubt. So Oberhauser: “Man kann zeigen, dass das Phänomen durch die Gesellschaft geht und weder vor Bildung noch vor sozialer Stufe halt macht.” Viel mehr sind VerschwörungstheoretikerInnen oft Menschen, die eine Krise durchmachen und verunsichert sind. Es sei vor allem an den Medien und der Politik, Vertrauen herzustellen und nicht etwa Gerüchte zu streuen, um daraus persönlichen Gewinn zu schlagen. 

Das Forschungsnetzwerk COMPACT stellt dazu (englischsprachige) Informationen und Anleitungen auf seiner Website zur Verfügung.

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